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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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Phaethon an Theodor.

Bruder! ich bin glücklich, überschwänglich glück-
lich! Rettung, Rettung, ruft der Gott in meinem
Jnnern!

O die Worte fließen mir zusammen, die ich
schreibe, vor meinen nassen Augen. Was ist all'
mein Leiden gegen dieses Glück?

Jch gieng heut Abend hinüber. Es war als
triebe mich eine Ahnung dessen, was mir begegnen
würde. Meine Seele war voll Licht, und das letz-
te schmerzliche Gefühl entschwebte, wie die Wolke
über die sonnige Wiese.

Caton lag auf einem alten grauen Stein vor
seinem Mausoleum und spielte mit einem frischge-
broch'nen Zweig in seinen Händen. Lange bemerkt'
er mich nicht. Da bückt' ich mich über ihn hinein,
und sagte: Guten Abend!

Phaethon an Theodor.

Bruder! ich bin gluͤcklich, uͤberſchwaͤnglich gluͤck-
lich! Rettung, Rettung, ruft der Gott in meinem
Jnnern!

O die Worte fließen mir zuſammen, die ich
ſchreibe, vor meinen naſſen Augen. Was iſt all’
mein Leiden gegen dieſes Gluͤck?

Jch gieng heut Abend hinuͤber. Es war als
triebe mich eine Ahnung deſſen, was mir begegnen
wuͤrde. Meine Seele war voll Licht, und das letz-
te ſchmerzliche Gefuͤhl entſchwebte, wie die Wolke
uͤber die ſonnige Wieſe.

Caton lag auf einem alten grauen Stein vor
ſeinem Mauſoleum und ſpielte mit einem friſchge-
broch’nen Zweig in ſeinen Haͤnden. Lange bemerkt’
er mich nicht. Da buͤckt’ ich mich uͤber ihn hinein,
und ſagte: Guten Abend!

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[96/0106] Phaethon an Theodor. Bruder! ich bin gluͤcklich, uͤberſchwaͤnglich gluͤck- lich! Rettung, Rettung, ruft der Gott in meinem Jnnern! O die Worte fließen mir zuſammen, die ich ſchreibe, vor meinen naſſen Augen. Was iſt all’ mein Leiden gegen dieſes Gluͤck? Jch gieng heut Abend hinuͤber. Es war als triebe mich eine Ahnung deſſen, was mir begegnen wuͤrde. Meine Seele war voll Licht, und das letz- te ſchmerzliche Gefuͤhl entſchwebte, wie die Wolke uͤber die ſonnige Wieſe. Caton lag auf einem alten grauen Stein vor ſeinem Mauſoleum und ſpielte mit einem friſchge- broch’nen Zweig in ſeinen Haͤnden. Lange bemerkt’ er mich nicht. Da buͤckt’ ich mich uͤber ihn hinein, und ſagte: Guten Abend!

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/106>, abgerufen am 08.05.2024.