vergessen hatten, daß einst ein armer Hirtensohn durch sei¬ nen klugen Rath sie und ihr Land vor dem Hungertode bewahrte! Das Volk, das auserwählte Volk, zog aber unversehrt durch das rothe Meer nach dem Lande der Ver¬ heißung, das es erreichte nachdem der Sand der Wüste die letzten Flecken knechtischen Schmutzes von seinem Leibe ge¬ waschen hatte. --
Da die armen Israeliten mich einmal in das Gebiet der schönsten aller Dichtung, der ewig neuen, ewig wahren Volksdichtung geleitet haben, so will ich zum Abschiede noch den Inhalt einer herrlichen Sage zur Deutung geben, die sich einst das rohe, uncivilisirte Volk der alten Ger¬ manen, aus keinem anderen Grunde als dem innerer Noth¬ wendigkeit, gedichtet hat.
Wiland der Schmied schuf aus Lust und Freude an seinem Thun die kunstreichsten Geschmeide, herrliche Waffen scharf und schön. Da er am Meeresstrande badete, gewahrte er eine Schwanenjungfrau, die mit ihren Schwestern durch die Lüfte geflogen kam, ihr Schwanenge¬ wand ablegte, und ebenfalls in die Wellen des Meeres sich tauchte. Von heißer Liebe entbrannte Wiland; er stürzte
vergeſſen hatten, daß einſt ein armer Hirtenſohn durch ſei¬ nen klugen Rath ſie und ihr Land vor dem Hungertode bewahrte! Das Volk, das auserwählte Volk, zog aber unverſehrt durch das rothe Meer nach dem Lande der Ver¬ heißung, das es erreichte nachdem der Sand der Wüſte die letzten Flecken knechtiſchen Schmutzes von ſeinem Leibe ge¬ waſchen hatte. —
Da die armen Iſraeliten mich einmal in das Gebiet der ſchönſten aller Dichtung, der ewig neuen, ewig wahren Volksdichtung geleitet haben, ſo will ich zum Abſchiede noch den Inhalt einer herrlichen Sage zur Deutung geben, die ſich einſt das rohe, unciviliſirte Volk der alten Ger¬ manen, aus keinem anderen Grunde als dem innerer Noth¬ wendigkeit, gedichtet hat.
Wiland der Schmied ſchuf aus Luſt und Freude an ſeinem Thun die kunſtreichſten Geſchmeide, herrliche Waffen ſcharf und ſchön. Da er am Meeresſtrande badete, gewahrte er eine Schwanenjungfrau, die mit ihren Schweſtern durch die Lüfte geflogen kam, ihr Schwanenge¬ wand ablegte, und ebenfalls in die Wellen des Meeres ſich tauchte. Von heißer Liebe entbrannte Wiland; er ſtürzte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="229"/>
vergeſſen hatten, daß einſt ein armer Hirtenſohn durch ſei¬<lb/>
nen klugen Rath ſie und ihr Land vor dem Hungertode<lb/>
bewahrte! Das <hirendition="#g">Volk</hi>, das <hirendition="#g">auserwählte Volk</hi>, zog aber<lb/>
unverſehrt durch das rothe Meer nach dem Lande der Ver¬<lb/>
heißung, das es erreichte nachdem der Sand der Wüſte die<lb/>
letzten Flecken knechtiſchen Schmutzes von ſeinem Leibe ge¬<lb/>
waſchen hatte. —</p><lb/><p>Da die armen Iſraeliten mich einmal in das Gebiet<lb/>
der ſchönſten aller Dichtung, der ewig neuen, ewig wahren<lb/><hirendition="#g">Volksdichtung</hi> geleitet haben, ſo will ich zum Abſchiede<lb/>
noch den Inhalt einer herrlichen Sage zur Deutung geben,<lb/>
die ſich einſt das rohe, unciviliſirte Volk der alten Ger¬<lb/>
manen, aus keinem anderen Grunde als dem innerer Noth¬<lb/>
wendigkeit, gedichtet hat.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#g">Wiland der Schmied</hi>ſchuf aus Luſt und Freude<lb/>
an ſeinem Thun die kunſtreichſten Geſchmeide, herrliche<lb/>
Waffen ſcharf und ſchön. Da er am Meeresſtrande badete,<lb/>
gewahrte er eine <hirendition="#g">Schwanenjungfrau</hi>, die mit ihren<lb/>
Schweſtern durch die Lüfte geflogen kam, ihr Schwanenge¬<lb/>
wand ablegte, und ebenfalls in die Wellen des Meeres ſich<lb/>
tauchte. Von heißer Liebe entbrannte Wiland; er ſtürzte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[229/0245]
vergeſſen hatten, daß einſt ein armer Hirtenſohn durch ſei¬
nen klugen Rath ſie und ihr Land vor dem Hungertode
bewahrte! Das Volk, das auserwählte Volk, zog aber
unverſehrt durch das rothe Meer nach dem Lande der Ver¬
heißung, das es erreichte nachdem der Sand der Wüſte die
letzten Flecken knechtiſchen Schmutzes von ſeinem Leibe ge¬
waſchen hatte. —
Da die armen Iſraeliten mich einmal in das Gebiet
der ſchönſten aller Dichtung, der ewig neuen, ewig wahren
Volksdichtung geleitet haben, ſo will ich zum Abſchiede
noch den Inhalt einer herrlichen Sage zur Deutung geben,
die ſich einſt das rohe, unciviliſirte Volk der alten Ger¬
manen, aus keinem anderen Grunde als dem innerer Noth¬
wendigkeit, gedichtet hat.
Wiland der Schmied ſchuf aus Luſt und Freude
an ſeinem Thun die kunſtreichſten Geſchmeide, herrliche
Waffen ſcharf und ſchön. Da er am Meeresſtrande badete,
gewahrte er eine Schwanenjungfrau, die mit ihren
Schweſtern durch die Lüfte geflogen kam, ihr Schwanenge¬
wand ablegte, und ebenfalls in die Wellen des Meeres ſich
tauchte. Von heißer Liebe entbrannte Wiland; er ſtürzte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/245>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.