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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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bezeichnendsten erscheint, in Betracht ziehen dürfen, um uns
in ihnen nicht zu verlieren, und so den größeren allgemei¬
nen Zweck im Auge zu behalten. Gerade umgekehrt ist es
der Fall, wenn wir einen zukünftigen Zustand nur dar¬
stellen wollen; wir haben zu solchem Verfahren, nur einen
Maßstab, und der liegt gerade eben nicht in dem Raume
der Zukunft, auf dem der Zustand sich gestalten soll, son¬
dern in der Vergangenheit und Gegenwart, also da, wo
alle die Bedingungen noch lebendig vorhanden sind, die
den ersehnten zukünftigen Zustand heute eben noch unmöglich
machen, und gerade sein volles Gegentheil nothwendig er¬
scheinen lassen. Die Kraft des Bedürfnisses drängt uns
zu einer nur ganz allgemeinen Vorstellung hin, wie wir
sie nicht nur mit dem Wunsche des Herzens, sondern viel¬
mehr nach einem nothwendigen Verstandesschlusse auf den
Gegensatz zu dem heutigen, als schlecht erkannten Zustande
zu fassen haben. Alle einzelnen Züge *)müssen aus dieser

*) Wer sich aus seiner Befangenheit in dem trivialen, unna¬
türlichen Wesen unserer modernen Kunstzustände durchaus nicht zu
erheben vermag, wird um dieser Einzelnheiten willen die abgeschmack¬
testen Fragen aufwerfen, Zweifel kundgeben, nicht begreifen können
und wollen; auf die Tausend Möglichkeiten von Zweifel und Fra¬
gen dieser Art im Voraus etwa hier antworten zu sollen, wird Nie¬
mand von Demjenigen verlangen, der sich überhaupt nur dem den¬
kenden Künstler
, nicht aber dem stumpfsinnigen modernen
Kunstindustriellen -- möge dieser nun in Literatur, Kritik oder
Production machen: -- mittheilt.

bezeichnendſten erſcheint, in Betracht ziehen dürfen, um uns
in ihnen nicht zu verlieren, und ſo den größeren allgemei¬
nen Zweck im Auge zu behalten. Gerade umgekehrt iſt es
der Fall, wenn wir einen zukünftigen Zuſtand nur dar¬
ſtellen wollen; wir haben zu ſolchem Verfahren, nur einen
Maßſtab, und der liegt gerade eben nicht in dem Raume
der Zukunft, auf dem der Zuſtand ſich geſtalten ſoll, ſon¬
dern in der Vergangenheit und Gegenwart, alſo da, wo
alle die Bedingungen noch lebendig vorhanden ſind, die
den erſehnten zukünftigen Zuſtand heute eben noch unmöglich
machen, und gerade ſein volles Gegentheil nothwendig er¬
ſcheinen laſſen. Die Kraft des Bedürfniſſes drängt uns
zu einer nur ganz allgemeinen Vorſtellung hin, wie wir
ſie nicht nur mit dem Wunſche des Herzens, ſondern viel¬
mehr nach einem nothwendigen Verſtandesſchluſſe auf den
Gegenſatz zu dem heutigen, als ſchlecht erkannten Zuſtande
zu faſſen haben. Alle einzelnen Züge *)müſſen aus dieſer

*) Wer ſich aus ſeiner Befangenheit in dem trivialen, unna¬
türlichen Weſen unſerer modernen Kunſtzuſtände durchaus nicht zu
erheben vermag, wird um dieſer Einzelnheiten willen die abgeſchmack¬
teſten Fragen aufwerfen, Zweifel kundgeben, nicht begreifen können
und wollen; auf die Tauſend Möglichkeiten von Zweifel und Fra¬
gen dieſer Art im Voraus etwa hier antworten zu ſollen, wird Nie¬
mand von Demjenigen verlangen, der ſich überhaupt nur dem den¬
kenden Künſtler
, nicht aber dem ſtumpfſinnigen modernen
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[221/0237] bezeichnendſten erſcheint, in Betracht ziehen dürfen, um uns in ihnen nicht zu verlieren, und ſo den größeren allgemei¬ nen Zweck im Auge zu behalten. Gerade umgekehrt iſt es der Fall, wenn wir einen zukünftigen Zuſtand nur dar¬ ſtellen wollen; wir haben zu ſolchem Verfahren, nur einen Maßſtab, und der liegt gerade eben nicht in dem Raume der Zukunft, auf dem der Zuſtand ſich geſtalten ſoll, ſon¬ dern in der Vergangenheit und Gegenwart, alſo da, wo alle die Bedingungen noch lebendig vorhanden ſind, die den erſehnten zukünftigen Zuſtand heute eben noch unmöglich machen, und gerade ſein volles Gegentheil nothwendig er¬ ſcheinen laſſen. Die Kraft des Bedürfniſſes drängt uns zu einer nur ganz allgemeinen Vorſtellung hin, wie wir ſie nicht nur mit dem Wunſche des Herzens, ſondern viel¬ mehr nach einem nothwendigen Verſtandesſchluſſe auf den Gegenſatz zu dem heutigen, als ſchlecht erkannten Zuſtande zu faſſen haben. Alle einzelnen Züge *)müſſen aus dieſer *) Wer ſich aus ſeiner Befangenheit in dem trivialen, unna¬ türlichen Weſen unſerer modernen Kunſtzuſtände durchaus nicht zu erheben vermag, wird um dieſer Einzelnheiten willen die abgeſchmack¬ teſten Fragen aufwerfen, Zweifel kundgeben, nicht begreifen können und wollen; auf die Tauſend Möglichkeiten von Zweifel und Fra¬ gen dieſer Art im Voraus etwa hier antworten zu ſollen, wird Nie¬ mand von Demjenigen verlangen, der ſich überhaupt nur dem den¬ kenden Künſtler, nicht aber dem ſtumpfſinnigen modernen Kunſtinduſtriellen — möge dieſer nun in Literatur, Kritik oder Production machen: — mittheilt.

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/237>, abgerufen am 22.11.2024.