da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt sie sich rein, frei und selbstständig als das, was sie ist. Der mimische Tänzer wird seines Unvermögens ledig, sobald er singen und sprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunst ge¬ winnen allverständigende Deutung durch den Mimiker wie durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße, als sie selbst in der Bewegung des Mimikers und dem Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter aber wird wahrhaft erst Mensch durch sein Uebergehen in das Fleisch und Blut des Darstellers; weist er jeder künstlerischen Erscheinung erst die sie alle bindende, und zu einem gemeinsamen Ziele hinleitende Absicht an, so wird diese Absicht aus einem Wollen zum Können erst dadurch, daß eben dieses dichterische Wollen im Können der Darstellung untergeht.
Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen Künste wird in dem Gesammtkunstwerke der Zukunft unbe¬ nützt verbleiben, gerade in ihm erst wird sie zur vollen Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der Instrumentalmusik so eigenthümlich mannigfaltig ent¬ wickelte Tonkunst nach ihrem reichsten Vermögen in diesem Kunstwerke sich entfalten können, ja sie wird die mimische Tanzkunst wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen, wie nicht minder den Athem der Dichtkunst zu ungeahnter Fülle ausdehnen. In ihrer Einsamkeit hat die Musik sich
da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt ſie ſich rein, frei und ſelbſtſtändig als das, was ſie iſt. Der mimiſche Tänzer wird ſeines Unvermögens ledig, ſobald er ſingen und ſprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunſt ge¬ winnen allverſtändigende Deutung durch den Mimiker wie durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße, als ſie ſelbſt in der Bewegung des Mimikers und dem Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter aber wird wahrhaft erſt Menſch durch ſein Uebergehen in das Fleiſch und Blut des Darſtellers; weiſt er jeder künſtleriſchen Erſcheinung erſt die ſie alle bindende, und zu einem gemeinſamen Ziele hinleitende Abſicht an, ſo wird dieſe Abſicht aus einem Wollen zum Können erſt dadurch, daß eben dieſes dichteriſche Wollen im Können der Darſtellung untergeht.
Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen Künſte wird in dem Geſammtkunſtwerke der Zukunft unbe¬ nützt verbleiben, gerade in ihm erſt wird ſie zur vollen Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der Inſtrumentalmuſik ſo eigenthümlich mannigfaltig ent¬ wickelte Tonkunſt nach ihrem reichſten Vermögen in dieſem Kunſtwerke ſich entfalten können, ja ſie wird die mimiſche Tanzkunſt wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen, wie nicht minder den Athem der Dichtkunſt zu ungeahnter Fülle ausdehnen. In ihrer Einſamkeit hat die Muſik ſich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="197"/>
da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt ſie ſich rein,<lb/>
frei und ſelbſtſtändig als <hirendition="#g">das</hi>, was ſie iſt. Der <hirendition="#g">mimiſche<lb/>
Tänzer</hi> wird ſeines Unvermögens ledig, ſobald er ſingen<lb/>
und ſprechen kann; die Schöpfungen der <hirendition="#g">Tonkunſt</hi> ge¬<lb/>
winnen allverſtändigende Deutung durch den Mimiker wie<lb/>
durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße,<lb/>
als ſie ſelbſt in der Bewegung des Mimikers und dem<lb/>
Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der <hirendition="#g">Dichter</hi><lb/>
aber wird wahrhaft erſt Menſch durch ſein Uebergehen in<lb/>
das Fleiſch und Blut des <hirendition="#g">Darſtellers</hi>; weiſt er jeder<lb/>
künſtleriſchen Erſcheinung erſt die ſie alle bindende, und zu<lb/>
einem gemeinſamen Ziele hinleitende Abſicht an, ſo wird<lb/>
dieſe Abſicht aus einem Wollen zum Können erſt dadurch,<lb/><hirendition="#g">daß eben dieſes dichteriſche Wollen im Können<lb/>
der Darſtellung untergeht</hi>.</p><lb/><p>Nicht <hirendition="#g">eine</hi> reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen<lb/>
Künſte wird in dem Geſammtkunſtwerke der Zukunft unbe¬<lb/>
nützt verbleiben, gerade in ihm erſt wird ſie zur vollen<lb/>
Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der<lb/>
Inſtrumentalmuſik ſo eigenthümlich mannigfaltig ent¬<lb/>
wickelte Tonkunſt nach ihrem reichſten Vermögen in dieſem<lb/>
Kunſtwerke ſich entfalten können, ja ſie wird die mimiſche<lb/>
Tanzkunſt wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen,<lb/>
wie nicht minder den Athem der Dichtkunſt zu ungeahnter<lb/>
Fülle ausdehnen. In ihrer Einſamkeit hat die Muſik ſich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0213]
da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt ſie ſich rein,
frei und ſelbſtſtändig als das, was ſie iſt. Der mimiſche
Tänzer wird ſeines Unvermögens ledig, ſobald er ſingen
und ſprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunſt ge¬
winnen allverſtändigende Deutung durch den Mimiker wie
durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße,
als ſie ſelbſt in der Bewegung des Mimikers und dem
Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter
aber wird wahrhaft erſt Menſch durch ſein Uebergehen in
das Fleiſch und Blut des Darſtellers; weiſt er jeder
künſtleriſchen Erſcheinung erſt die ſie alle bindende, und zu
einem gemeinſamen Ziele hinleitende Abſicht an, ſo wird
dieſe Abſicht aus einem Wollen zum Können erſt dadurch,
daß eben dieſes dichteriſche Wollen im Können
der Darſtellung untergeht.
Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen
Künſte wird in dem Geſammtkunſtwerke der Zukunft unbe¬
nützt verbleiben, gerade in ihm erſt wird ſie zur vollen
Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der
Inſtrumentalmuſik ſo eigenthümlich mannigfaltig ent¬
wickelte Tonkunſt nach ihrem reichſten Vermögen in dieſem
Kunſtwerke ſich entfalten können, ja ſie wird die mimiſche
Tanzkunſt wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen,
wie nicht minder den Athem der Dichtkunſt zu ungeahnter
Fülle ausdehnen. In ihrer Einſamkeit hat die Muſik ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/213>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.