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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

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da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt sie sich rein,
frei und selbstständig als das, was sie ist. Der mimische
Tänzer
wird seines Unvermögens ledig, sobald er singen
und sprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunst ge¬
winnen allverständigende Deutung durch den Mimiker wie
durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße,
als sie selbst in der Bewegung des Mimikers und dem
Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter
aber wird wahrhaft erst Mensch durch sein Uebergehen in
das Fleisch und Blut des Darstellers; weist er jeder
künstlerischen Erscheinung erst die sie alle bindende, und zu
einem gemeinsamen Ziele hinleitende Absicht an, so wird
diese Absicht aus einem Wollen zum Können erst dadurch,
daß eben dieses dichterische Wollen im Können
der Darstellung untergeht
.

Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen
Künste wird in dem Gesammtkunstwerke der Zukunft unbe¬
nützt verbleiben, gerade in ihm erst wird sie zur vollen
Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der
Instrumentalmusik so eigenthümlich mannigfaltig ent¬
wickelte Tonkunst nach ihrem reichsten Vermögen in diesem
Kunstwerke sich entfalten können, ja sie wird die mimische
Tanzkunst wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen,
wie nicht minder den Athem der Dichtkunst zu ungeahnter
Fülle ausdehnen. In ihrer Einsamkeit hat die Musik sich

da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt ſie ſich rein,
frei und ſelbſtſtändig als das, was ſie iſt. Der mimiſche
Tänzer
wird ſeines Unvermögens ledig, ſobald er ſingen
und ſprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunſt ge¬
winnen allverſtändigende Deutung durch den Mimiker wie
durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße,
als ſie ſelbſt in der Bewegung des Mimikers und dem
Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter
aber wird wahrhaft erſt Menſch durch ſein Uebergehen in
das Fleiſch und Blut des Darſtellers; weiſt er jeder
künſtleriſchen Erſcheinung erſt die ſie alle bindende, und zu
einem gemeinſamen Ziele hinleitende Abſicht an, ſo wird
dieſe Abſicht aus einem Wollen zum Können erſt dadurch,
daß eben dieſes dichteriſche Wollen im Können
der Darſtellung untergeht
.

Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen
Künſte wird in dem Geſammtkunſtwerke der Zukunft unbe¬
nützt verbleiben, gerade in ihm erſt wird ſie zur vollen
Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der
Inſtrumentalmuſik ſo eigenthümlich mannigfaltig ent¬
wickelte Tonkunſt nach ihrem reichſten Vermögen in dieſem
Kunſtwerke ſich entfalten können, ja ſie wird die mimiſche
Tanzkunſt wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen,
wie nicht minder den Athem der Dichtkunſt zu ungeahnter
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[197/0213] da ab vermögende, aufgehen kann, bewahrt ſie ſich rein, frei und ſelbſtſtändig als das, was ſie iſt. Der mimiſche Tänzer wird ſeines Unvermögens ledig, ſobald er ſingen und ſprechen kann; die Schöpfungen der Tonkunſt ge¬ winnen allverſtändigende Deutung durch den Mimiker wie durch das gedichtete Wort, und zwar ganz in dem Maße, als ſie ſelbſt in der Bewegung des Mimikers und dem Worte des Dichters aufzugehen vermag. Der Dichter aber wird wahrhaft erſt Menſch durch ſein Uebergehen in das Fleiſch und Blut des Darſtellers; weiſt er jeder künſtleriſchen Erſcheinung erſt die ſie alle bindende, und zu einem gemeinſamen Ziele hinleitende Abſicht an, ſo wird dieſe Abſicht aus einem Wollen zum Können erſt dadurch, daß eben dieſes dichteriſche Wollen im Können der Darſtellung untergeht. Nicht eine reich entwickelte Fähigkeit der einzelnen Künſte wird in dem Geſammtkunſtwerke der Zukunft unbe¬ nützt verbleiben, gerade in ihm erſt wird ſie zur vollen Geltung gelangen. So wird namentlich auch die in der Inſtrumentalmuſik ſo eigenthümlich mannigfaltig ent¬ wickelte Tonkunſt nach ihrem reichſten Vermögen in dieſem Kunſtwerke ſich entfalten können, ja ſie wird die mimiſche Tanzkunſt wiederum zu ganz neuen Erfindungen anregen, wie nicht minder den Athem der Dichtkunſt zu ungeahnter Fülle ausdehnen. In ihrer Einſamkeit hat die Muſik ſich

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Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/213>, abgerufen am 04.05.2024.