Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

größeres, allgemeineres Verständniß hervorrufen, als das
frühere landschaftliche Bildstück.

Das Organ zu allem Naturverständniß ist der
Mensch: der Landschaftsmaler hatte dieses Verständniß
nicht nur an den Menschen mitzutheilen, sondern durch
Darstellung des Menschen in seinem Naturgemälde auch
erst deutlich zu machen. Dadurch, daß er sein Kunstwerk
nun in den Rahmen der tragischen Bühne stellt, wird er
den Menschen, an den er sich mittheilen will, zum gemein¬
samen Menschen der vollen Oeffentlichkeit erweitern und
die Befriedigung haben, sein Verständniß aud diesen aus¬
gedehnt, ihn zum Mitfühlenden seiner Freude gemacht zu
haben; zugleich aber wird er dieß öffentliche Verständniß
dadurch erst vollkommen herbeiführen, daß er sein Werk
einer gemeinsamen höchsten und allverständlichsten Kunst¬
absicht zuordnet, diese Absicht aber von dem wirklichen
leibhaftigen Menschen mit aller Wärme seines Wesens
dem gemeinsamen Verständnisse unfehlbar erschlossen wird.
Das allverständlichste ist die dramatische Handlung, eben
weil sie erst künstlerisch vollendet ist, wenn im Drama
gleichsam alle Hülfsmittel der Kunst hinter sich geworfen
sind, und das wirkliche Leben auf das Treueste und Be¬
greiflichste zur unmittelbaren Anschauung gelangt. Jede
Kunstart theilt sich verständlich nur in dem Grade mit,
als der Kern in ihr, der nur durch seinen Bezug auf den

9

größeres, allgemeineres Verſtändniß hervorrufen, als das
frühere landſchaftliche Bildstück.

Das Organ zu allem Naturverſtändniß iſt der
Mensch: der Landſchaftsmaler hatte dieſes Verſtändniß
nicht nur an den Menſchen mitzutheilen, ſondern durch
Darſtellung des Menſchen in ſeinem Naturgemälde auch
erſt deutlich zu machen. Dadurch, daß er ſein Kunſtwerk
nun in den Rahmen der tragiſchen Bühne ſtellt, wird er
den Menſchen, an den er ſich mittheilen will, zum gemein¬
ſamen Menſchen der vollen Oeffentlichkeit erweitern und
die Befriedigung haben, ſein Verſtändniß aud dieſen aus¬
gedehnt, ihn zum Mitfühlenden ſeiner Freude gemacht zu
haben; zugleich aber wird er dieß öffentliche Verſtändniß
dadurch erſt vollkommen herbeiführen, daß er ſein Werk
einer gemeinſamen höchſten und allverſtändlichſten Kunſt¬
abſicht zuordnet, dieſe Abſicht aber von dem wirklichen
leibhaftigen Menſchen mit aller Wärme ſeines Weſens
dem gemeinſamen Verſtändniſſe unfehlbar erſchloſſen wird.
Das allverſtändlichſte iſt die dramatiſche Handlung, eben
weil ſie erſt künſtlerisch vollendet iſt, wenn im Drama
gleichſam alle Hülfsmittel der Kunſt hinter ſich geworfen
ſind, und das wirkliche Leben auf das Treueſte und Be¬
greiflichſte zur unmittelbaren Anſchauung gelangt. Jede
Kunſtart theilt ſich verſtändlich nur in dem Grade mit,
als der Kern in ihr, der nur durch ſeinen Bezug auf den

9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0209" n="193"/>
größeres, allgemeineres Ver&#x017F;tändniß hervorrufen, als das<lb/>
frühere land&#x017F;chaftliche Bildstück.</p><lb/>
        <p>Das Organ zu allem Naturver&#x017F;tändniß i&#x017F;t der<lb/>
Mensch: der Land&#x017F;chaftsmaler hatte die&#x017F;es Ver&#x017F;tändniß<lb/>
nicht nur an den Men&#x017F;chen mitzutheilen, &#x017F;ondern durch<lb/>
Dar&#x017F;tellung des Men&#x017F;chen in &#x017F;einem Naturgemälde auch<lb/>
er&#x017F;t deutlich zu machen. Dadurch, daß er &#x017F;ein Kun&#x017F;twerk<lb/>
nun in den Rahmen der tragi&#x017F;chen Bühne &#x017F;tellt, wird er<lb/>
den Men&#x017F;chen, an den er &#x017F;ich mittheilen will, zum gemein¬<lb/>
&#x017F;amen Men&#x017F;chen der vollen Oeffentlichkeit erweitern und<lb/>
die Befriedigung haben, &#x017F;ein Ver&#x017F;tändniß aud die&#x017F;en aus¬<lb/>
gedehnt, ihn zum Mitfühlenden &#x017F;einer Freude gemacht zu<lb/>
haben; zugleich aber wird er dieß öffentliche Ver&#x017F;tändniß<lb/>
dadurch er&#x017F;t vollkommen herbeiführen, daß er &#x017F;ein Werk<lb/>
einer gemein&#x017F;amen höch&#x017F;ten und allver&#x017F;tändlich&#x017F;ten Kun&#x017F;<lb/>
ab&#x017F;icht zuordnet, die&#x017F;e Ab&#x017F;icht aber von dem wirklichen<lb/>
leibhaftigen Men&#x017F;chen mit aller Wärme &#x017F;eines We&#x017F;ens<lb/>
dem gemein&#x017F;amen Ver&#x017F;tändni&#x017F;&#x017F;e unfehlbar er&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en wird.<lb/>
Das allver&#x017F;tändlich&#x017F;te i&#x017F;t die dramati&#x017F;che Handlung, eben<lb/>
weil &#x017F;ie er&#x017F;t kün&#x017F;tlerisch vollendet i&#x017F;t, wenn im Drama<lb/>
gleich&#x017F;am alle Hülfsmittel der Kun&#x017F;t hinter &#x017F;ich geworfen<lb/>
&#x017F;ind, und das wirkliche Leben auf das Treue&#x017F;te und Be¬<lb/>
greiflich&#x017F;te zur unmittelbaren An&#x017F;chauung gelangt. Jede<lb/>
Kun&#x017F;tart theilt &#x017F;ich <hi rendition="#g">ver&#x017F;tändlich</hi> nur in dem Grade mit,<lb/>
als der Kern in ihr, der nur durch &#x017F;einen Bezug auf den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0209] größeres, allgemeineres Verſtändniß hervorrufen, als das frühere landſchaftliche Bildstück. Das Organ zu allem Naturverſtändniß iſt der Mensch: der Landſchaftsmaler hatte dieſes Verſtändniß nicht nur an den Menſchen mitzutheilen, ſondern durch Darſtellung des Menſchen in ſeinem Naturgemälde auch erſt deutlich zu machen. Dadurch, daß er ſein Kunſtwerk nun in den Rahmen der tragiſchen Bühne ſtellt, wird er den Menſchen, an den er ſich mittheilen will, zum gemein¬ ſamen Menſchen der vollen Oeffentlichkeit erweitern und die Befriedigung haben, ſein Verſtändniß aud dieſen aus¬ gedehnt, ihn zum Mitfühlenden ſeiner Freude gemacht zu haben; zugleich aber wird er dieß öffentliche Verſtändniß dadurch erſt vollkommen herbeiführen, daß er ſein Werk einer gemeinſamen höchſten und allverſtändlichſten Kunſt¬ abſicht zuordnet, dieſe Abſicht aber von dem wirklichen leibhaftigen Menſchen mit aller Wärme ſeines Weſens dem gemeinſamen Verſtändniſſe unfehlbar erſchloſſen wird. Das allverſtändlichſte iſt die dramatiſche Handlung, eben weil ſie erſt künſtlerisch vollendet iſt, wenn im Drama gleichſam alle Hülfsmittel der Kunſt hinter ſich geworfen ſind, und das wirkliche Leben auf das Treueſte und Be¬ greiflichſte zur unmittelbaren Anſchauung gelangt. Jede Kunſtart theilt ſich verſtändlich nur in dem Grade mit, als der Kern in ihr, der nur durch ſeinen Bezug auf den 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/209
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/209>, abgerufen am 22.11.2024.