Bildung auszugießen. Unsre Kunst, wie unsre ganze Kul¬ tur verhält sich zum Leben der europäischen Gegenwart nicht anders, wie die von Außen in Rußland eingeführte Civilisation zum Nationalcharakter des Russen: nicht nur daß unter der äußerlichsten Tünche dieser Civilisation der eigentliche Russe Barbar, und zwar gerade furchtbar- geknechteter Barbar bleibt, sondern der an ihr Theil¬ nehmende aus dem Volke, wird durch sie zugleich der nichtswürdigste, verworfenste Hallunke, indem er in ihr nur die Schule der Heuchelei und Abseimung erkennt und durchmacht. Im besten Falle gleicht aber unsere Kultur¬ kunst doch nur demjenigen, der in einer fremden Sprache einem Volke sich mittheilen will, das diese nicht kennt: Alles, und namentlich auch das Geistreichste, was er her¬ vorbringt, kann nur zu den lächerlichsten Verwirrungen und Mißverständnissen führen. --
Stellen wir uns zunächst dar, wie die moderne Kunst zu verfahren haben müßte, um theoretisch zu ihrer Erlösung aus der einsamen Stellung ihres unbegriffenen Wesens heraus und zum allgemeinsten Verständniß des öffentlichen Lebens vorzuschreiten: wie diese Erlösung aber durch die praktische Vermittelung des öffentlichen Lebens allein möglich werden kann, wird sich dann leicht von selbst herausstellen.
Bildung auszugießen. Unſre Kunſt, wie unſre ganze Kul¬ tur verhält ſich zum Leben der europäiſchen Gegenwart nicht anders, wie die von Außen in Rußland eingeführte Civiliſation zum Nationalcharakter des Ruſſen: nicht nur daß unter der äußerlichſten Tünche dieſer Civiliſation der eigentliche Ruſſe Barbar, und zwar gerade furchtbar- geknechteter Barbar bleibt, ſondern der an ihr Theil¬ nehmende aus dem Volke, wird durch ſie zugleich der nichtswürdigſte, verworfenſte Hallunke, indem er in ihr nur die Schule der Heuchelei und Abſeimung erkennt und durchmacht. Im beſten Falle gleicht aber unſere Kultur¬ kunſt doch nur demjenigen, der in einer fremden Sprache einem Volke ſich mittheilen will, das dieſe nicht kennt: Alles, und namentlich auch das Geiſtreichſte, was er her¬ vorbringt, kann nur zu den lächerlichſten Verwirrungen und Mißverſtändniſſen führen. —
Stellen wir uns zunächſt dar, wie die moderne Kunſt zu verfahren haben müßte, um theoretiſch zu ihrer Erlöſung aus der einſamen Stellung ihres unbegriffenen Weſens heraus und zum allgemeinſten Verſtändniß des öffentlichen Lebens vorzuſchreiten: wie dieſe Erlöſung aber durch die praktiſche Vermittelung des öffentlichen Lebens allein möglich werden kann, wird ſich dann leicht von ſelbſt herausſtellen.
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Bildung auszugießen. Unſre Kunſt, wie unſre ganze Kul¬
tur verhält ſich zum Leben der europäiſchen Gegenwart
nicht anders, wie die von Außen in Rußland eingeführte
Civiliſation zum Nationalcharakter des Ruſſen: nicht nur
daß unter der äußerlichſten Tünche dieſer Civiliſation der
eigentliche Ruſſe Barbar, und zwar gerade furchtbar-
geknechteter Barbar bleibt, ſondern der an ihr Theil¬
nehmende aus dem Volke, wird durch ſie zugleich der
nichtswürdigſte, verworfenſte Hallunke, indem er in ihr
nur die Schule der Heuchelei und Abſeimung erkennt und
durchmacht. Im beſten Falle gleicht aber unſere Kultur¬
kunſt doch nur demjenigen, der in einer fremden Sprache
einem Volke ſich mittheilen will, das dieſe nicht kennt:
Alles, und namentlich auch das Geiſtreichſte, was er her¬
vorbringt, kann nur zu den lächerlichſten Verwirrungen
und Mißverſtändniſſen führen. —
Stellen wir uns zunächſt dar, wie die moderne
Kunſt zu verfahren haben müßte, um theoretiſch zu ihrer
Erlöſung aus der einſamen Stellung ihres unbegriffenen
Weſens heraus und zum allgemeinſten Verſtändniß des
öffentlichen Lebens vorzuſchreiten: wie dieſe Erlöſung aber
durch die praktiſche Vermittelung des öffentlichen Lebens
allein möglich werden kann, wird ſich dann leicht von ſelbſt
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/201>, abgerufen am 16.02.2025.
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