entsprungen, die wir während des byzantinischen Kaiser¬ thumes in einem Grade gewahren, der uns den hellenischen Charakter gar nicht mehr erkennen läßt, und der im Grunde doch nur die normale Krankheit seines Wesens war. Die Philosophie mochte mit noch so redlichem Be¬ mühen den Zusammenhang der Natur zu erfassen suchen: hier gerade zeigte es sich, wie unfähig die Macht der ab¬ strakten Intelligenz ist. Allen Aristotelessen zum Hohn schuf sich das Volk, das aus dem millionenfachen allgemei¬ nen Egoismus heraus absolut selig werden wollte, eine Religion, in der die Natur zum reinen Spielball mensch¬ lich raffinirender Glückseligkeitssucht gemacht wurde. Mit der Ansicht des Griechen, welche der Natur menschlich willkürliche Gestaltungsmotive unterstellte, brauchte sich nur die jüdisch-orientalische Nützlichkeitsvorstellung von ihr zu begatten, um die Disputationen und Dekrete der Concilien über das Wesen der Trinität und die deshalb unaufhörlich geführten Streitigkeiten, ja Volkskriege, als Früchte dieser Begattung der staunenden Geschichte als unwiderlegliche Thatsachen zuzuführen.
Die römische Kirche machte nach Ablauf des Mittel¬ alters aus der Annahme der Unbeweglichkeit der Erde zwar noch einen Glaubensartikel, vermochte es dennoch aber nicht zu wehren, daß Amerika entdeckt, die Gestalt der Erde erforscht und endlich die Natur soweit der Erkenntniß
entſprungen, die wir während des byzantiniſchen Kaiſer¬ thumes in einem Grade gewahren, der uns den helleniſchen Charakter gar nicht mehr erkennen läßt, und der im Grunde doch nur die normale Krankheit ſeines Weſens war. Die Philoſophie mochte mit noch ſo redlichem Be¬ mühen den Zuſammenhang der Natur zu erfaſſen ſuchen: hier gerade zeigte es ſich, wie unfähig die Macht der ab¬ ſtrakten Intelligenz iſt. Allen Ariſtoteleſſen zum Hohn ſchuf ſich das Volk, das aus dem millionenfachen allgemei¬ nen Egoismus heraus abſolut ſelig werden wollte, eine Religion, in der die Natur zum reinen Spielball menſch¬ lich raffinirender Glückſeligkeitsſucht gemacht wurde. Mit der Anſicht des Griechen, welche der Natur menſchlich willkürliche Geſtaltungsmotive unterſtellte, brauchte ſich nur die jüdiſch-orientaliſche Nützlichkeitsvorſtellung von ihr zu begatten, um die Disputationen und Dekrete der Concilien über das Weſen der Trinität und die deshalb unaufhörlich geführten Streitigkeiten, ja Volkskriege, als Früchte dieſer Begattung der ſtaunenden Geſchichte als unwiderlegliche Thatſachen zuzuführen.
Die römiſche Kirche machte nach Ablauf des Mittel¬ alters aus der Annahme der Unbeweglichkeit der Erde zwar noch einen Glaubensartikel, vermochte es dennoch aber nicht zu wehren, daß Amerika entdeckt, die Geſtalt der Erde erforſcht und endlich die Natur ſoweit der Erkenntniß
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entſprungen, die wir während des byzantiniſchen Kaiſer¬
thumes in einem Grade gewahren, der uns den helleniſchen
Charakter gar nicht mehr erkennen läßt, und der im
Grunde doch nur die normale Krankheit ſeines Weſens
war. Die Philoſophie mochte mit noch ſo redlichem Be¬
mühen den Zuſammenhang der Natur zu erfaſſen ſuchen:
hier gerade zeigte es ſich, wie unfähig die Macht der ab¬
ſtrakten Intelligenz iſt. Allen Ariſtoteleſſen zum Hohn
ſchuf ſich das Volk, das aus dem millionenfachen allgemei¬
nen Egoismus heraus abſolut ſelig werden wollte, eine
Religion, in der die Natur zum reinen Spielball menſch¬
lich raffinirender Glückſeligkeitsſucht gemacht wurde. Mit
der Anſicht des Griechen, welche der Natur menſchlich
willkürliche Geſtaltungsmotive unterſtellte, brauchte ſich
nur die jüdiſch-orientaliſche Nützlichkeitsvorſtellung von
ihr zu begatten, um die Disputationen und Dekrete der
Concilien über das Weſen der Trinität und die deshalb
unaufhörlich geführten Streitigkeiten, ja Volkskriege, als
Früchte dieſer Begattung der ſtaunenden Geſchichte als
unwiderlegliche Thatſachen zuzuführen.
Die römiſche Kirche machte nach Ablauf des Mittel¬
alters aus der Annahme der Unbeweglichkeit der Erde
zwar noch einen Glaubensartikel, vermochte es dennoch
aber nicht zu wehren, daß Amerika entdeckt, die Geſtalt der
Erde erforſcht und endlich die Natur ſoweit der Erkenntniß
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/194>, abgerufen am 22.07.2024.
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