Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.

Bild:
<< vorherige Seite

auch den Architekten in Sold und gebot ihm, den Götzen¬
tempel des Egoismus ihm zu bauen. Dem reichen Egoisten
genügte aber der schlanke Tempel der sinnenden Athene
für sein Privatvergnügen nicht: seine Privatgöttin war
die Wollust, die immer verschlingende, unersättliche.
Ihr mußten asiatische Massen zur Verzehrung dargereicht
werden, und ihren Launen konnten nur krause Schnörkel
und Zierrathen zu entsprechen suchen. So sehen wir denn
-- wie aus Rache für Alexanders Eroberung -- den
Despotismus Asiens seine schönheitvernichtenden Arme in
das Herz der europäischen Welt hineinstrecken, und unter
der römischen Imperatorenherrschaft glücklich seine Macht
bis dahin ausüben, daß die Schönheit nur noch aus der
Erinnerung erlernt werden konnte, weil sie aus dem leben¬
digen Bewußtsein der Menschen bereits vollkommen ent¬
schwunden war.

Wir gewahren nun, in den blühendsten Jahrhunder¬
ten der römischen Weltherrschaft, die widerliche Erscheinung
des in das Ungeheure gesteigerten Prunkes der Paläste
der Kaiser und Reichen auf der einen Seite, und der blo¬
ßen -- wenn auch kolossal sich kundgebenden -- Nützlich¬
keit
in den öffentlichen Bauwerken.

Die Oeffentlichkeit, wie sie eben nur zu einer
gemeinsamen Aeußerung des allgemeinen Egoismus herab¬

auch den Architekten in Sold und gebot ihm, den Götzen¬
tempel des Egoismus ihm zu bauen. Dem reichen Egoiſten
genügte aber der ſchlanke Tempel der ſinnenden Athene
für ſein Privatvergnügen nicht: ſeine Privatgöttin war
die Wolluſt, die immer verſchlingende, unerſättliche.
Ihr mußten aſiatiſche Maſſen zur Verzehrung dargereicht
werden, und ihren Launen konnten nur krauſe Schnörkel
und Zierrathen zu entſprechen ſuchen. So ſehen wir denn
— wie aus Rache für Alexanders Eroberung — den
Deſpotismus Aſiens ſeine ſchönheitvernichtenden Arme in
das Herz der europäiſchen Welt hineinſtrecken, und unter
der römiſchen Imperatorenherrſchaft glücklich ſeine Macht
bis dahin ausüben, daß die Schönheit nur noch aus der
Erinnerung erlernt werden konnte, weil ſie aus dem leben¬
digen Bewußtſein der Menſchen bereits vollkommen ent¬
ſchwunden war.

Wir gewahren nun, in den blühendſten Jahrhunder¬
ten der römiſchen Weltherrſchaft, die widerliche Erſcheinung
des in das Ungeheure geſteigerten Prunkes der Paläſte
der Kaiſer und Reichen auf der einen Seite, und der blo¬
ßen — wenn auch koloſſal ſich kundgebenden — Nützlich¬
keit
in den öffentlichen Bauwerken.

Die Oeffentlichkeit, wie ſie eben nur zu einer
gemeinſamen Aeußerung des allgemeinen Egoismus herab¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="146"/>
auch den <hi rendition="#g">Architekten</hi> in Sold und gebot ihm, den Götzen¬<lb/>
tempel des Egoismus ihm zu bauen. Dem reichen Egoi&#x017F;ten<lb/>
genügte aber der &#x017F;chlanke Tempel der &#x017F;innenden <hi rendition="#g">Athene</hi><lb/>
für &#x017F;ein Privatvergnügen nicht: &#x017F;eine Privatgöttin war<lb/>
die <hi rendition="#g">Wollu&#x017F;t</hi>, die immer ver&#x017F;chlingende, uner&#x017F;ättliche.<lb/>
Ihr mußten a&#x017F;iati&#x017F;che Ma&#x017F;&#x017F;en zur Verzehrung dargereicht<lb/>
werden, und ihren Launen konnten nur krau&#x017F;e Schnörkel<lb/>
und Zierrathen zu ent&#x017F;prechen &#x017F;uchen. So &#x017F;ehen wir denn<lb/>
&#x2014; wie aus Rache für Alexanders Eroberung &#x2014; den<lb/>
De&#x017F;potismus A&#x017F;iens &#x017F;eine &#x017F;chönheitvernichtenden Arme in<lb/>
das Herz der europäi&#x017F;chen Welt hinein&#x017F;trecken, und unter<lb/>
der römi&#x017F;chen Imperatorenherr&#x017F;chaft glücklich &#x017F;eine Macht<lb/>
bis dahin ausüben, daß die Schönheit nur noch aus der<lb/>
Erinnerung erlernt werden konnte, weil &#x017F;ie aus dem leben¬<lb/>
digen Bewußt&#x017F;ein der Men&#x017F;chen bereits vollkommen ent¬<lb/>
&#x017F;chwunden war.</p><lb/>
          <p>Wir gewahren nun, in den blühend&#x017F;ten Jahrhunder¬<lb/>
ten der römi&#x017F;chen Weltherr&#x017F;chaft, die widerliche Er&#x017F;cheinung<lb/>
des in das Ungeheure ge&#x017F;teigerten <hi rendition="#g">Prunkes</hi> der Palä&#x017F;te<lb/>
der Kai&#x017F;er und Reichen auf der einen Seite, und der blo¬<lb/>
ßen &#x2014; wenn auch kolo&#x017F;&#x017F;al &#x017F;ich kundgebenden &#x2014; <hi rendition="#g">Nützlich¬<lb/>
keit</hi> in den öffentlichen Bauwerken.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#g">Oeffentlichkeit</hi>, wie &#x017F;ie eben nur zu einer<lb/>
gemein&#x017F;amen Aeußerung des allgemeinen Egoismus herab¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0162] auch den Architekten in Sold und gebot ihm, den Götzen¬ tempel des Egoismus ihm zu bauen. Dem reichen Egoiſten genügte aber der ſchlanke Tempel der ſinnenden Athene für ſein Privatvergnügen nicht: ſeine Privatgöttin war die Wolluſt, die immer verſchlingende, unerſättliche. Ihr mußten aſiatiſche Maſſen zur Verzehrung dargereicht werden, und ihren Launen konnten nur krauſe Schnörkel und Zierrathen zu entſprechen ſuchen. So ſehen wir denn — wie aus Rache für Alexanders Eroberung — den Deſpotismus Aſiens ſeine ſchönheitvernichtenden Arme in das Herz der europäiſchen Welt hineinſtrecken, und unter der römiſchen Imperatorenherrſchaft glücklich ſeine Macht bis dahin ausüben, daß die Schönheit nur noch aus der Erinnerung erlernt werden konnte, weil ſie aus dem leben¬ digen Bewußtſein der Menſchen bereits vollkommen ent¬ ſchwunden war. Wir gewahren nun, in den blühendſten Jahrhunder¬ ten der römiſchen Weltherrſchaft, die widerliche Erſcheinung des in das Ungeheure geſteigerten Prunkes der Paläſte der Kaiſer und Reichen auf der einen Seite, und der blo¬ ßen — wenn auch koloſſal ſich kundgebenden — Nützlich¬ keit in den öffentlichen Bauwerken. Die Oeffentlichkeit, wie ſie eben nur zu einer gemeinſamen Aeußerung des allgemeinen Egoismus herab¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/162
Zitationshilfe: Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/162>, abgerufen am 06.05.2024.