Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Wenn sie aber ganz einer andren sich giebt so bleibt sie Wenn ſie aber ganz einer andren ſich giebt ſo bleibt ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0147" n="131"/> Wenn ſie aber <hi rendition="#g">ganz</hi> einer andren ſich giebt ſo bleibt ſie<lb/> auch <hi rendition="#g">ganz</hi> in ihr enthalten, vermag <hi rendition="#g">ganz</hi> aus ihr in die<lb/> dritte überzugehen, um ſo im gemeinſamen Kunſtwerke<lb/> in höchſter Fülle <hi rendition="#g">ganz ſie ſelbſt</hi> wiederum zu ſein. —<lb/> Von allen Kunſtarten bedurfte, ihrem innerſten<lb/> Weſen nach, keine der Vermählung mit einer andern ſo<lb/> ſehr als die <hi rendition="#g">Tonkunſt</hi>, weil ſie in ihrer ſonderlichſten<lb/> Eigenthümlichkeit eben nur wie ein flüſſiges Natur¬<lb/> element zwiſchen den, beſtimmter und individueller ſich<lb/> gebenden, Weſenheiten beider anderen Kunſtarten aus¬<lb/> gegoſſen iſt. Nur durch die Rhythmen des Tanzes, oder<lb/> nur als Trägerin des Wortes, vermochte ſie aus ihrem<lb/> unendlich verſchwimmenden Weſen zu genau unterſcheid¬<lb/> barer, charakteriſtiſcher Körperlichkeit zu gelangen. Keine der<lb/> anderen Kunſtarten vermochte ſich aber unbedingt liebevoll<lb/> in das Element der Tonkunſt zu verſenken: jede ſchöpfte<lb/> nur aus ihm ſo weit, als es ihr zu einem beſtimmten egoiſti¬<lb/> ſchen Zwecke dienlich ſchien; jede nahm nur von ihr, gab<lb/> ſich ihr aber nicht, — ſo daß die Tonkunſt, die aus Lebens¬<lb/> bedürfniß überall hin die Hand ausſtreckte, ſich endlich<lb/> ſelbſt nur noch durch Nehmen zu erhalten ſuchen mußte.<lb/> So verſchlang ſie zunächſt das Wort, um nach Belieben<lb/> mit ihm zu machen, was ſie verlangte: verfügte ſie nun<lb/> über dieſes Wort in der chriſtlichen Muſik nach unbeding¬<lb/> ter Gefühlswillkür, ſo verlor ſie aber auch an ihm, ſo<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [131/0147]
Wenn ſie aber ganz einer andren ſich giebt ſo bleibt ſie
auch ganz in ihr enthalten, vermag ganz aus ihr in die
dritte überzugehen, um ſo im gemeinſamen Kunſtwerke
in höchſter Fülle ganz ſie ſelbſt wiederum zu ſein. —
Von allen Kunſtarten bedurfte, ihrem innerſten
Weſen nach, keine der Vermählung mit einer andern ſo
ſehr als die Tonkunſt, weil ſie in ihrer ſonderlichſten
Eigenthümlichkeit eben nur wie ein flüſſiges Natur¬
element zwiſchen den, beſtimmter und individueller ſich
gebenden, Weſenheiten beider anderen Kunſtarten aus¬
gegoſſen iſt. Nur durch die Rhythmen des Tanzes, oder
nur als Trägerin des Wortes, vermochte ſie aus ihrem
unendlich verſchwimmenden Weſen zu genau unterſcheid¬
barer, charakteriſtiſcher Körperlichkeit zu gelangen. Keine der
anderen Kunſtarten vermochte ſich aber unbedingt liebevoll
in das Element der Tonkunſt zu verſenken: jede ſchöpfte
nur aus ihm ſo weit, als es ihr zu einem beſtimmten egoiſti¬
ſchen Zwecke dienlich ſchien; jede nahm nur von ihr, gab
ſich ihr aber nicht, — ſo daß die Tonkunſt, die aus Lebens¬
bedürfniß überall hin die Hand ausſtreckte, ſich endlich
ſelbſt nur noch durch Nehmen zu erhalten ſuchen mußte.
So verſchlang ſie zunächſt das Wort, um nach Belieben
mit ihm zu machen, was ſie verlangte: verfügte ſie nun
über dieſes Wort in der chriſtlichen Muſik nach unbeding¬
ter Gefühlswillkür, ſo verlor ſie aber auch an ihm, ſo
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