uns in der neuesten Zeit fast nur den Schülern Moliere's entnommen.
Bei dem lebhaften, jeder Abstraction im Grunde immer feindlichen Volke der Franzosen, lebte die Schau¬ spielkunst -- soweit sie nicht vom Einflusse des Hofes be¬ herrscht wurde -- meist von sich selbst: was unter all dem übermächtigen, kunstfeindlichen Einwirken unserer allgemei¬ nen socialen Zustände aus der modernen Schauspielkunst Gesundes sich entwickeln konnte, haben wir, seit dem Er¬ sterben des shakespeareschen Drama's einzig den Franzosen zu verdanken. Aber auch bei ihnen hat -- unter dem Drucke des, allem Gemeinsamen tödtlichen, herrschenden Weltgeistes, dessen Wesen der Luxus und die Mode ist, -- das wirkliche, vollendete, dramatische Kunstwerk auch nicht nur annähernd sich erzeugen können: das einzige Gemein¬ same in der modernen Welt, der Spekulations- und Schachergeist, hat auch bei ihnen alle Keime der wahren dramatischen Kunst in egoistischer Zerspaltung gehalten. Kunstformen, die diesem kümmerlichen Wesen entsprechen, hat die französische Dramatik allerdings aber gewonnen: bei aller Unsittlichkeit des Inhaltes, spricht sich ungemeines Geschick in ihnen aus, diesen Inhalt so schmackhaft wie möglich zu machen und immer haben sie das Auszeichnende daß sie aus dem Wesen gerade der französischen Schau¬
uns in der neueſten Zeit faſt nur den Schülern Molière's entnommen.
Bei dem lebhaften, jeder Abſtraction im Grunde immer feindlichen Volke der Franzoſen, lebte die Schau¬ ſpielkunſt — ſoweit ſie nicht vom Einfluſſe des Hofes be¬ herrſcht wurde — meiſt von ſich ſelbſt: was unter all dem übermächtigen, kunſtfeindlichen Einwirken unſerer allgemei¬ nen ſocialen Zuſtände aus der modernen Schauſpielkunſt Geſundes ſich entwickeln konnte, haben wir, ſeit dem Er¬ ſterben des ſhakeſpeareſchen Drama's einzig den Franzoſen zu verdanken. Aber auch bei ihnen hat — unter dem Drucke des, allem Gemeinſamen tödtlichen, herrſchenden Weltgeiſtes, deſſen Weſen der Luxus und die Mode iſt, — das wirkliche, vollendete, dramatiſche Kunſtwerk auch nicht nur annähernd ſich erzeugen können: das einzige Gemein¬ ſame in der modernen Welt, der Spekulations- und Schachergeiſt, hat auch bei ihnen alle Keime der wahren dramatiſchen Kunſt in egoiſtiſcher Zerſpaltung gehalten. Kunſtformen, die dieſem kümmerlichen Weſen entſprechen, hat die franzöſiſche Dramatik allerdings aber gewonnen: bei aller Unſittlichkeit des Inhaltes, ſpricht ſich ungemeines Geſchick in ihnen aus, dieſen Inhalt ſo ſchmackhaft wie möglich zu machen und immer haben ſie das Auszeichnende daß ſie aus dem Weſen gerade der franzöſiſchen Schau¬
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uns in der neueſten Zeit faſt nur den Schülern Moli è re's
entnommen.
Bei dem lebhaften, jeder Abſtraction im Grunde
immer feindlichen Volke der Franzoſen, lebte die Schau¬
ſpielkunſt — ſoweit ſie nicht vom Einfluſſe des Hofes be¬
herrſcht wurde — meiſt von ſich ſelbſt: was unter all dem
übermächtigen, kunſtfeindlichen Einwirken unſerer allgemei¬
nen ſocialen Zuſtände aus der modernen Schauſpielkunſt
Geſundes ſich entwickeln konnte, haben wir, ſeit dem Er¬
ſterben des ſhakeſpeareſchen Drama's einzig den Franzoſen
zu verdanken. Aber auch bei ihnen hat — unter dem
Drucke des, allem Gemeinſamen tödtlichen, herrſchenden
Weltgeiſtes, deſſen Weſen der Luxus und die Mode iſt, —
das wirkliche, vollendete, dramatiſche Kunſtwerk auch nicht
nur annähernd ſich erzeugen können: das einzige Gemein¬
ſame in der modernen Welt, der Spekulations- und
Schachergeiſt, hat auch bei ihnen alle Keime der wahren
dramatiſchen Kunſt in egoiſtiſcher Zerſpaltung gehalten.
Kunſtformen, die dieſem kümmerlichen Weſen entſprechen,
hat die franzöſiſche Dramatik allerdings aber gewonnen:
bei aller Unſittlichkeit des Inhaltes, ſpricht ſich ungemeines
Geſchick in ihnen aus, dieſen Inhalt ſo ſchmackhaft wie
möglich zu machen und immer haben ſie das Auszeichnende
daß ſie aus dem Weſen gerade der franzöſiſchen Schau¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/142>, abgerufen am 22.07.2024.
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