Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Nicht Eitelkeit, sondern ein unabweisbares Bedürf¬ Nicht Eitelkeit, ſondern ein unabweisbares Bedürf¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0012" n="VI"/> <p>Nicht Eitelkeit, ſondern ein unabweisbares Bedürf¬<lb/> niß, hat mich — für kurze Zeit — zum Schriftſteller<lb/> gemacht. In früheſter Jugend machte ich Gedichte und<lb/> Schauſpiele; zu einem dieſer Schauſpiele verlangte es<lb/> mich Muſik zu ſchreiben: um dieſe Kunſt zu erlernen<lb/> ward ich Muſiker. Später ſchrieb ich Opern, indem<lb/> ich meine eigenen dramatiſchen Dichtungen in Muſik<lb/> ſetzte. Muſiker von Fach, denen ich meiner äußeren<lb/> Stellung nach angehörte, ſprachen mir dichteriſches<lb/> Talent zu; Dichter von Fach ließen meine muſikaliſchen<lb/> Fähigkeiten gelten. Das Publikum gelang es mir oft<lb/> lebhaft zu erregen: Kritiker von Fach haben mich ſtets<lb/> heruntergeriſſen. So erhielt ich an mir und meinen<lb/> Gegenſätzen viel Stoff zum Denken: wenn ich laut<lb/> dachte, brachte ich den Philiſter gegen mich auf, der den<lb/> Künſtler ſich nur albern, nie aber denkend vorſtellen<lb/> will. Von Freunden wurde ich oft aufgefordert, meine<lb/> Gedanken über Kunſt und das, was ich in ihr wolle,<lb/> ſchriftſtelleriſch kundzugeben: ich zog das Streben vor,<lb/> nur durch künſtleriſche Thaten mein Wollen zu bezeu¬<lb/> gen. Daran, daß mir dieß nie vollſtändig gelingen<lb/> durfte, mußte ich erkennen, daß nicht der <hi rendition="#g">Einzelne</hi>,<lb/> ſondern nur die <hi rendition="#g">Gemeinſamkeit</hi> unwiderleglich ſinn¬<lb/> fällige, wirkliche künſtleriſche Thaten zu vollbringen ver¬<lb/> mag. Dieß <hi rendition="#g">erkennen</hi> heißt, ſobald dabei im Allge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [VI/0012]
Nicht Eitelkeit, ſondern ein unabweisbares Bedürf¬
niß, hat mich — für kurze Zeit — zum Schriftſteller
gemacht. In früheſter Jugend machte ich Gedichte und
Schauſpiele; zu einem dieſer Schauſpiele verlangte es
mich Muſik zu ſchreiben: um dieſe Kunſt zu erlernen
ward ich Muſiker. Später ſchrieb ich Opern, indem
ich meine eigenen dramatiſchen Dichtungen in Muſik
ſetzte. Muſiker von Fach, denen ich meiner äußeren
Stellung nach angehörte, ſprachen mir dichteriſches
Talent zu; Dichter von Fach ließen meine muſikaliſchen
Fähigkeiten gelten. Das Publikum gelang es mir oft
lebhaft zu erregen: Kritiker von Fach haben mich ſtets
heruntergeriſſen. So erhielt ich an mir und meinen
Gegenſätzen viel Stoff zum Denken: wenn ich laut
dachte, brachte ich den Philiſter gegen mich auf, der den
Künſtler ſich nur albern, nie aber denkend vorſtellen
will. Von Freunden wurde ich oft aufgefordert, meine
Gedanken über Kunſt und das, was ich in ihr wolle,
ſchriftſtelleriſch kundzugeben: ich zog das Streben vor,
nur durch künſtleriſche Thaten mein Wollen zu bezeu¬
gen. Daran, daß mir dieß nie vollſtändig gelingen
durfte, mußte ich erkennen, daß nicht der Einzelne,
ſondern nur die Gemeinſamkeit unwiderleglich ſinn¬
fällige, wirkliche künſtleriſche Thaten zu vollbringen ver¬
mag. Dieß erkennen heißt, ſobald dabei im Allge¬
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