Werk nicht einmal zu verstehen! Macht was Ihr wollt; seht neben Beethoven ganz hinweg, tappt nach Mozart, umgürtet Euch mit Sebastian Bach; schreibt Symphonieen -- mit oder ohne Gesang, schreibt Messen, Oratorien -- diese geschlechtslosen Opernembryonen! -- macht Lieder ohne Worte, Opern ohne Text --: Ihr bringt nichts zu Stande, das wahres Leben in sich habe, -- denn seht -- Euch fehlt der Glaube! Der große Glaube an die Nothwendigkeit dessen, was Ihr thut! Ihr habt nur den Glauben der Albernheitm den Aberglauben an die Möglich¬ keit der Nothwendigkeit Eurer egoistischen Willkühr!
Beim Ueberblicke der geschäftigen Einöde unsrer musi¬ kalischen Kunstwelt; beim Gewahren der unbedingtesten Zeu¬ gungsunfähigkeit dieser gleichwohl ewig sich beliebäugelnden Kunstmasse; beim Anblicke dieses gestaltlosen Breies, dessen Bodensatz verstockte, pedantische Unverschämtheit ist, und aus dem (bei allem tiefsinnenden, urmusikalischen Meister¬ dünkel, endlich doch nur gefühlslüderliche, italienische Opernarien oder freche französische Kankantanzweisen an das volle Tageslicht der modernen Oeffentlichkeit als künst¬ lich destillirte Dünste zu steigen vermögen; -- kurz, bei Erwägung dieses vollkommenen schöpferischen Unvermögens, sehen wir und ohne Schreck nach dem großen vernichtenden Schicksalsschlage um, der diesem ganzen, unmaßen ausge¬ breiteten Musikkrame ein Ende mache, um Raum zu
Werk nicht einmal zu verſtehen! Macht was Ihr wollt; ſeht neben Beethoven ganz hinweg, tappt nach Mozart, umgürtet Euch mit Sebaſtian Bach; ſchreibt Symphonieen — mit oder ohne Geſang, ſchreibt Meſſen, Oratorien — dieſe geſchlechtsloſen Opernembryonen! — macht Lieder ohne Worte, Opern ohne Text —: Ihr bringt nichts zu Stande, das wahres Leben in ſich habe, — denn ſeht — Euch fehlt der Glaube! Der große Glaube an die Nothwendigkeit deſſen, was Ihr thut! Ihr habt nur den Glauben der Albernheitm den Aberglauben an die Möglich¬ keit der Nothwendigkeit Eurer egoiſtiſchen Willkühr!
Beim Ueberblicke der geſchäftigen Einöde unſrer muſi¬ kaliſchen Kunſtwelt; beim Gewahren der unbedingteſten Zeu¬ gungsunfähigkeit dieſer gleichwohl ewig ſich beliebäugelnden Kunſtmaſſe; beim Anblicke dieſes geſtaltloſen Breies, deſſen Bodenſatz verſtockte, pedantiſche Unverſchämtheit iſt, und aus dem (bei allem tiefſinnenden, urmuſikaliſchen Meiſter¬ dünkel, endlich doch nur gefühlslüderliche, italieniſche Opernarien oder freche franzöſiſche Kankantanzweiſen an das volle Tageslicht der modernen Oeffentlichkeit als künſt¬ lich deſtillirte Dünſte zu ſteigen vermögen; — kurz, bei Erwägung dieſes vollkommenen ſchöpferiſchen Unvermögens, ſehen wir und ohne Schreck nach dem großen vernichtenden Schickſalsſchlage um, der dieſem ganzen, unmaßen ausge¬ breiteten Muſikkrame ein Ende mache, um Raum zu
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[102/0118]
Werk nicht einmal zu verſtehen! Macht was Ihr wollt;
ſeht neben Beethoven ganz hinweg, tappt nach Mozart,
umgürtet Euch mit Sebaſtian Bach; ſchreibt Symphonieen
— mit oder ohne Geſang, ſchreibt Meſſen, Oratorien —
dieſe geſchlechtsloſen Opernembryonen! — macht Lieder
ohne Worte, Opern ohne Text —: Ihr bringt nichts zu
Stande, das wahres Leben in ſich habe, — denn ſeht —
Euch fehlt der Glaube! Der große Glaube an die
Nothwendigkeit deſſen, was Ihr thut! Ihr habt nur den
Glauben der Albernheitm den Aberglauben an die Möglich¬
keit der Nothwendigkeit Eurer egoiſtiſchen Willkühr!
Beim Ueberblicke der geſchäftigen Einöde unſrer muſi¬
kaliſchen Kunſtwelt; beim Gewahren der unbedingteſten Zeu¬
gungsunfähigkeit dieſer gleichwohl ewig ſich beliebäugelnden
Kunſtmaſſe; beim Anblicke dieſes geſtaltloſen Breies, deſſen
Bodenſatz verſtockte, pedantiſche Unverſchämtheit iſt, und
aus dem (bei allem tiefſinnenden, urmuſikaliſchen Meiſter¬
dünkel, endlich doch nur gefühlslüderliche, italieniſche
Opernarien oder freche franzöſiſche Kankantanzweiſen an
das volle Tageslicht der modernen Oeffentlichkeit als künſt¬
lich deſtillirte Dünſte zu ſteigen vermögen; — kurz, bei
Erwägung dieſes vollkommenen ſchöpferiſchen Unvermögens,
ſehen wir und ohne Schreck nach dem großen vernichtenden
Schickſalsſchlage um, der dieſem ganzen, unmaßen ausge¬
breiteten Muſikkrame ein Ende mache, um Raum zu
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/118>, abgerufen am 22.07.2024.
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