Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850.Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachsen; sobald Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beschwichtigung Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachſen; ſobald Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beſchwichtigung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0117" n="101"/> Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachſen; ſobald<lb/> aber dieſe Aufgabe von der größten aller muſikaliſchen<lb/> Individualitäten vollſtändig gelöſt war, ſobald die Ton¬<lb/> kunſt aus ihrer tiefſten Fülle durch die Kraft jener<lb/> Individualität auch die weiteſte Form zerſchlagen hatte, in<lb/> der ſie eine egoiſtiſch ſelbſtſtändige Kunſt zu ſein ver¬<lb/> mochte, — ſobald, mit einem Worte, Beethoven ſeine letzte<lb/> Symphonie geſchrieben hatte, — konnte alle muſikaliſche<lb/> Zunftgenoſſenſchaft flicken und ſtopfen, wie ſie wollte, um<lb/> einem abſoluten muſikaliſchen Menſchen zu Stande zu<lb/> bringen: eben nur ein geflickter und geſtopfter ſcheckiger<lb/> Phantaſiemenſch, kein nervig ſtämmiger Naturmenſch konnte<lb/> aus ihrer Werkſtatt mehr hervorgehen. Auf Haydn und<lb/> Mozart konnte und mußte ein Beethoven kommen; der<lb/> Genius der Muſik verlangte ihn mit Nothwendigkeit, und<lb/> ohne auf ſich warten zu laſſen, war er da; wer will nun auf<lb/> Beethoven <hi rendition="#g">das</hi> ſein, was dieſer auf Haydn und Mozart<lb/> im Gebiete der abſoluten Muſik war? Das größte Genie<lb/> würde hier nichts mehr vermögen, eben weil der Genius<lb/> der abſoluten Muſik ſeiner nicht mehr bedarf.</p><lb/> <p>Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beſchwichtigung<lb/> Eures läppiſch-egoiſtiſchen Productionsſehnens, die ver¬<lb/> nichtende muſikweltgeſchichtliche Bedeutung der letzten Beet¬<lb/> hovenſchen Symphonie leugnen zu wollen; Euch rettet ſelbſt<lb/> Eure Dummheit nicht, durch die Ihr es ermöglicht, dieſes<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [101/0117]
Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachſen; ſobald
aber dieſe Aufgabe von der größten aller muſikaliſchen
Individualitäten vollſtändig gelöſt war, ſobald die Ton¬
kunſt aus ihrer tiefſten Fülle durch die Kraft jener
Individualität auch die weiteſte Form zerſchlagen hatte, in
der ſie eine egoiſtiſch ſelbſtſtändige Kunſt zu ſein ver¬
mochte, — ſobald, mit einem Worte, Beethoven ſeine letzte
Symphonie geſchrieben hatte, — konnte alle muſikaliſche
Zunftgenoſſenſchaft flicken und ſtopfen, wie ſie wollte, um
einem abſoluten muſikaliſchen Menſchen zu Stande zu
bringen: eben nur ein geflickter und geſtopfter ſcheckiger
Phantaſiemenſch, kein nervig ſtämmiger Naturmenſch konnte
aus ihrer Werkſtatt mehr hervorgehen. Auf Haydn und
Mozart konnte und mußte ein Beethoven kommen; der
Genius der Muſik verlangte ihn mit Nothwendigkeit, und
ohne auf ſich warten zu laſſen, war er da; wer will nun auf
Beethoven das ſein, was dieſer auf Haydn und Mozart
im Gebiete der abſoluten Muſik war? Das größte Genie
würde hier nichts mehr vermögen, eben weil der Genius
der abſoluten Muſik ſeiner nicht mehr bedarf.
Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beſchwichtigung
Eures läppiſch-egoiſtiſchen Productionsſehnens, die ver¬
nichtende muſikweltgeſchichtliche Bedeutung der letzten Beet¬
hovenſchen Symphonie leugnen zu wollen; Euch rettet ſelbſt
Eure Dummheit nicht, durch die Ihr es ermöglicht, dieſes
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