Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachsen; sobald aber diese Aufgabe von der größten aller musikalischen Individualitäten vollständig gelöst war, sobald die Ton¬ kunst aus ihrer tiefsten Fülle durch die Kraft jener Individualität auch die weiteste Form zerschlagen hatte, in der sie eine egoistisch selbstständige Kunst zu sein ver¬ mochte, -- sobald, mit einem Worte, Beethoven seine letzte Symphonie geschrieben hatte, -- konnte alle musikalische Zunftgenossenschaft flicken und stopfen, wie sie wollte, um einem absoluten musikalischen Menschen zu Stande zu bringen: eben nur ein geflickter und gestopfter scheckiger Phantasiemensch, kein nervig stämmiger Naturmensch konnte aus ihrer Werkstatt mehr hervorgehen. Auf Haydn und Mozart konnte und mußte ein Beethoven kommen; der Genius der Musik verlangte ihn mit Nothwendigkeit, und ohne auf sich warten zu lassen, war er da; wer will nun auf Beethoven das sein, was dieser auf Haydn und Mozart im Gebiete der absoluten Musik war? Das größte Genie würde hier nichts mehr vermögen, eben weil der Genius der absoluten Musik seiner nicht mehr bedarf.
Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beschwichtigung Eures läppisch-egoistischen Productionssehnens, die ver¬ nichtende musikweltgeschichtliche Bedeutung der letzten Beet¬ hovenschen Symphonie leugnen zu wollen; Euch rettet selbst Eure Dummheit nicht, durch die Ihr es ermöglicht, dieses
Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachſen; ſobald aber dieſe Aufgabe von der größten aller muſikaliſchen Individualitäten vollſtändig gelöſt war, ſobald die Ton¬ kunſt aus ihrer tiefſten Fülle durch die Kraft jener Individualität auch die weiteſte Form zerſchlagen hatte, in der ſie eine egoiſtiſch ſelbſtſtändige Kunſt zu ſein ver¬ mochte, — ſobald, mit einem Worte, Beethoven ſeine letzte Symphonie geſchrieben hatte, — konnte alle muſikaliſche Zunftgenoſſenſchaft flicken und ſtopfen, wie ſie wollte, um einem abſoluten muſikaliſchen Menſchen zu Stande zu bringen: eben nur ein geflickter und geſtopfter ſcheckiger Phantaſiemenſch, kein nervig ſtämmiger Naturmenſch konnte aus ihrer Werkſtatt mehr hervorgehen. Auf Haydn und Mozart konnte und mußte ein Beethoven kommen; der Genius der Muſik verlangte ihn mit Nothwendigkeit, und ohne auf ſich warten zu laſſen, war er da; wer will nun auf Beethoven das ſein, was dieſer auf Haydn und Mozart im Gebiete der abſoluten Muſik war? Das größte Genie würde hier nichts mehr vermögen, eben weil der Genius der abſoluten Muſik ſeiner nicht mehr bedarf.
Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beſchwichtigung Eures läppiſch-egoiſtiſchen Productionsſehnens, die ver¬ nichtende muſikweltgeſchichtliche Bedeutung der letzten Beet¬ hovenſchen Symphonie leugnen zu wollen; Euch rettet ſelbſt Eure Dummheit nicht, durch die Ihr es ermöglicht, dieſes
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Befruchtung zu neuen Stämmen zu verwachſen; ſobald
aber dieſe Aufgabe von der größten aller muſikaliſchen
Individualitäten vollſtändig gelöſt war, ſobald die Ton¬
kunſt aus ihrer tiefſten Fülle durch die Kraft jener
Individualität auch die weiteſte Form zerſchlagen hatte, in
der ſie eine egoiſtiſch ſelbſtſtändige Kunſt zu ſein ver¬
mochte, — ſobald, mit einem Worte, Beethoven ſeine letzte
Symphonie geſchrieben hatte, — konnte alle muſikaliſche
Zunftgenoſſenſchaft flicken und ſtopfen, wie ſie wollte, um
einem abſoluten muſikaliſchen Menſchen zu Stande zu
bringen: eben nur ein geflickter und geſtopfter ſcheckiger
Phantaſiemenſch, kein nervig ſtämmiger Naturmenſch konnte
aus ihrer Werkſtatt mehr hervorgehen. Auf Haydn und
Mozart konnte und mußte ein Beethoven kommen; der
Genius der Muſik verlangte ihn mit Nothwendigkeit, und
ohne auf ſich warten zu laſſen, war er da; wer will nun auf
Beethoven das ſein, was dieſer auf Haydn und Mozart
im Gebiete der abſoluten Muſik war? Das größte Genie
würde hier nichts mehr vermögen, eben weil der Genius
der abſoluten Muſik ſeiner nicht mehr bedarf.
Ihr gebt Euch vergebene Mühe, zur Beſchwichtigung
Eures läppiſch-egoiſtiſchen Productionsſehnens, die ver¬
nichtende muſikweltgeſchichtliche Bedeutung der letzten Beet¬
hovenſchen Symphonie leugnen zu wollen; Euch rettet ſelbſt
Eure Dummheit nicht, durch die Ihr es ermöglicht, dieſes
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/117>, abgerufen am 22.07.2024.
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