alles Uebrige läßt ihn kalt oder beunruhigt ihn auf kon¬ fuse Weise, weil er es sehr einfach nicht versteht und nicht verstehen kann. Unser modernes Concertpublikum, welches der Kunstsymphonie gegenüber sich warm und befriedigt anstellt, lügt und heuchelt, und die Probe dieser Lüge und Heuchelei können wir jeden Augenblick erhalten, sobald -- wie es denn auch in den berühmtesten Conzertinstituten geschieht, -- nach einer solchen Symphonie irgend ein modern melodiöses Operntonstück vorgetragen wird, wo wir denn den eigentlichen musikalischen Puls des Auditoriums in ungeheuchelter Freude sogleich schlagen hören.
Ein durch sie bedingter Zusammenhang unserer Kunstmusik mit der Oeffentlichkeit ist durchaus zu leugnen: wo er sich kundgeben will, ist er affektirt und unwahr, oder bei einem gewissen Volkspublikum, welches ohne Affectation von dem Drastischen einer Beethovenschen Symphonie zuweilen ergriffen zu werden vermag, minde¬ stens unklar und der Eindruck dieser Tonwerke sicher ein unvollständiger, lückenhafter. Wo dieser Zusammenhang aber nicht vorhanden ist, kann der zünftige Zusammenhang der Kunstgenossenschaft nur ein äußerlicher sein; das Wachsen und Gestalten der Kunst aus Innen heraus kann nicht aus der Gemeinschaft sich bedingen, die eben nur eine künstlich systematische ist, -- sondern nur in dem Einzel¬ nen, aus der Individualität des besonderen Wesens, ver¬
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alles Uebrige läßt ihn kalt oder beunruhigt ihn auf kon¬ fuſe Weiſe, weil er es ſehr einfach nicht verſteht und nicht verſtehen kann. Unſer modernes Concertpublikum, welches der Kunſtſymphonie gegenüber ſich warm und befriedigt anſtellt, lügt und heuchelt, und die Probe dieſer Lüge und Heuchelei können wir jeden Augenblick erhalten, ſobald — wie es denn auch in den berühmteſten Conzertinſtituten geſchieht, — nach einer ſolchen Symphonie irgend ein modern melodiöſes Operntonſtück vorgetragen wird, wo wir denn den eigentlichen muſikaliſchen Puls des Auditoriums in ungeheuchelter Freude ſogleich ſchlagen hören.
Ein durch ſie bedingter Zuſammenhang unſerer Kunſtmuſik mit der Oeffentlichkeit iſt durchaus zu leugnen: wo er ſich kundgeben will, iſt er affektirt und unwahr, oder bei einem gewiſſen Volkspublikum, welches ohne Affectation von dem Draſtiſchen einer Beethovenſchen Symphonie zuweilen ergriffen zu werden vermag, minde¬ ſtens unklar und der Eindruck dieſer Tonwerke ſicher ein unvollſtändiger, lückenhafter. Wo dieſer Zuſammenhang aber nicht vorhanden iſt, kann der zünftige Zuſammenhang der Kunſtgenoſſenſchaft nur ein äußerlicher ſein; das Wachſen und Geſtalten der Kunſt aus Innen heraus kann nicht aus der Gemeinſchaft ſich bedingen, die eben nur eine künſtlich ſyſtematiſche iſt, — ſondern nur in dem Einzel¬ nen, aus der Individualität des beſonderen Weſens, ver¬
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alles Uebrige läßt ihn kalt oder beunruhigt ihn auf kon¬
fuſe Weiſe, weil er es ſehr einfach nicht verſteht und nicht
verſtehen kann. Unſer modernes Concertpublikum, welches
der Kunſtſymphonie gegenüber ſich warm und befriedigt
anſtellt, lügt und heuchelt, und die Probe dieſer Lüge und
Heuchelei können wir jeden Augenblick erhalten, ſobald —
wie es denn auch in den berühmteſten Conzertinſtituten
geſchieht, — nach einer ſolchen Symphonie irgend ein
modern melodiöſes Operntonſtück vorgetragen wird, wo wir
denn den eigentlichen muſikaliſchen Puls des Auditoriums
in ungeheuchelter Freude ſogleich ſchlagen hören.
Ein durch ſie bedingter Zuſammenhang unſerer
Kunſtmuſik mit der Oeffentlichkeit iſt durchaus zu leugnen:
wo er ſich kundgeben will, iſt er affektirt und unwahr,
oder bei einem gewiſſen Volkspublikum, welches ohne
Affectation von dem Draſtiſchen einer Beethovenſchen
Symphonie zuweilen ergriffen zu werden vermag, minde¬
ſtens unklar und der Eindruck dieſer Tonwerke ſicher ein
unvollſtändiger, lückenhafter. Wo dieſer Zuſammenhang
aber nicht vorhanden iſt, kann der zünftige Zuſammenhang
der Kunſtgenoſſenſchaft nur ein äußerlicher ſein; das
Wachſen und Geſtalten der Kunſt aus Innen heraus kann
nicht aus der Gemeinſchaft ſich bedingen, die eben nur eine
künſtlich ſyſtematiſche iſt, — ſondern nur in dem Einzel¬
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/115>, abgerufen am 22.07.2024.
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