hoven als Krone auf die Spitze seiner Tonschöpfung setzte. Dieses Wort war: -- Freude! Und mit diesem Worte ruft er den Menschen zu: "Seid umschlungen, Millio¬ nen! Diesen Kuß der ganzen Welt!" -- Und dieses Wort wird die Sprache des Kunstwerkes der Zukunft sein. --
Die letzte Symphonie Beethovens ist die Er¬ lösung der Musik aus ihrem eigensten Elemente heraus zur allgemeinsamen Kunst. Sie ist das menschliche Evangelium der Kunst der Zukunft. Auf sie ist kein Fortschritt möglich, denn auf sie unmittelbar kann nur das vollendete Kunstwerk der Zukunft: das allgemein¬ same Drama, folgen, zu dem Beethoven uns den künstlerischen Schlüssel geschmiedet hat.
So hat die Musik aus sich vollbracht, was keine der anderen geschiedenen Künste vermochte. Jede dieser Künste half sich in ihrer öden Selbstständigkeit nur durch Nehmen und egoistisches Entlehnen; und keine vermochte es daher, sie selbst zu sein und aus sich das vereinigende Band für Alle zu weben. Die Tonkunst, indem sie ganz sie selbst war und aus ihrem ureigensten Elemente sich bewegte, ge¬ langte zu der Kraft des großartigsten, liebevollsten Selbst¬ opfers, sich selbst zu beherrschen, ja zu verleugnen, um den Schwestern die erlösende Hand zu reichen. Sie hat als das Herz sich bewährt, das Kopf und Glieder verbindet;
hoven als Krone auf die Spitze ſeiner Tonſchöpfung ſetzte. Dieſes Wort war: — Freude! Und mit dieſem Worte ruft er den Menſchen zu: „Seid umſchlungen, Millio¬ nen! Dieſen Kuß der ganzen Welt!“ — Und dieſes Wort wird die Sprache des Kunſtwerkes der Zukunft ſein. —
Die letzte Symphonie Beethovens iſt die Er¬ löſung der Muſik aus ihrem eigenſten Elemente heraus zur allgemeinſamen Kunſt. Sie iſt das menſchliche Evangelium der Kunſt der Zukunft. Auf ſie iſt kein Fortſchritt möglich, denn auf ſie unmittelbar kann nur das vollendete Kunſtwerk der Zukunft: das allgemein¬ ſame Drama, folgen, zu dem Beethoven uns den künſtleriſchen Schlüſſel geſchmiedet hat.
So hat die Muſik aus ſich vollbracht, was keine der anderen geſchiedenen Künſte vermochte. Jede dieſer Künſte half ſich in ihrer öden Selbſtſtändigkeit nur durch Nehmen und egoiſtiſches Entlehnen; und keine vermochte es daher, ſie ſelbſt zu ſein und aus ſich das vereinigende Band für Alle zu weben. Die Tonkunſt, indem ſie ganz ſie ſelbſt war und aus ihrem ureigenſten Elemente ſich bewegte, ge¬ langte zu der Kraft des großartigſten, liebevollſten Selbſt¬ opfers, ſich ſelbſt zu beherrſchen, ja zu verleugnen, um den Schweſtern die erlöſende Hand zu reichen. Sie hat als das Herz ſich bewährt, das Kopf und Glieder verbindet;
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hoven als Krone auf die Spitze ſeiner Tonſchöpfung ſetzte.
Dieſes Wort war: — Freude! Und mit dieſem Worte
ruft er den Menſchen zu: „Seid umſchlungen, Millio¬
nen! Dieſen Kuß der ganzen Welt!“ — Und
dieſes Wort wird die Sprache des Kunſtwerkes der
Zukunft ſein. —
Die letzte Symphonie Beethovens iſt die Er¬
löſung der Muſik aus ihrem eigenſten Elemente heraus
zur allgemeinſamen Kunſt. Sie iſt das menſchliche
Evangelium der Kunſt der Zukunft. Auf ſie iſt kein
Fortſchritt möglich, denn auf ſie unmittelbar kann nur
das vollendete Kunſtwerk der Zukunft: das allgemein¬
ſame Drama, folgen, zu dem Beethoven uns den
künſtleriſchen Schlüſſel geſchmiedet hat.
So hat die Muſik aus ſich vollbracht, was keine der
anderen geſchiedenen Künſte vermochte. Jede dieſer Künſte
half ſich in ihrer öden Selbſtſtändigkeit nur durch Nehmen
und egoiſtiſches Entlehnen; und keine vermochte es daher,
ſie ſelbſt zu ſein und aus ſich das vereinigende Band für
Alle zu weben. Die Tonkunſt, indem ſie ganz ſie ſelbſt
war und aus ihrem ureigenſten Elemente ſich bewegte, ge¬
langte zu der Kraft des großartigſten, liebevollſten Selbſt¬
opfers, ſich ſelbſt zu beherrſchen, ja zu verleugnen, um den
Schweſtern die erlöſende Hand zu reichen. Sie hat als
das Herz ſich bewährt, das Kopf und Glieder verbindet;
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/110>, abgerufen am 22.07.2024.
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