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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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diese. O bei Allem, Rodrigo, Was du und ich dereinst im Himmel pwa_428.002
hoffen, Von dieser Stelle, Rodrigo, verjage, verjage (Epanodos) mich pwa_428.003
von dieser Stelle nicht!"

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Wir wenden uns nun zur zweiten Hauptgattung dieser Wiederholungen; pwa_428.005
hier kehrt nicht dasselbe Wort in unveränderter Form und pwa_428.006
Bedeutung wieder, sondern mit wechselnder Form und demgemäss auch pwa_428.007
mit noch mehr oder weniger veränderter Bedeutung. Wenn zuerst die pwa_428.008
Flexionsform wechselt, wenn das wiederholt gebrauchte Wort verschiedene pwa_428.009
Declinations- oder Conjugationsformen zeigt, so nennt man das pwa_428.010
ein Polyptoton (poluptoton). Eigentlich passt dieser Name nur, wo pwa_428.011
vielerlei verschiedene Declinationsformen vorkommen, da ptosis Fall, pwa_428.012
Casus bedeutet; aber die Benennung gilt auch, wo es die wechselnde pwa_428.013
Conjugationsweise betrifft. Ein reiches Beispiel bietet Homers Odyssee pwa_428.014
19, 204 fgg., wo in fünf Versen1 der Begriff tekein, schmelzen, in den pwa_428.015
Formen teketo, katateketo, katetexen, tekomenos, teketo wiederkehrt. pwa_428.016
Voss hat dieses Polyptoton in seiner Uebersetzung trefflich nachgeahmt: pwa_428.017
"Aber den Hörenden floss die schmelzende Thrän' auf die Wang' pwa_428.018
hin; So wie der Schnee hinschmilzt auf hochgescheitelten Bergen, pwa_428.019
Welchen der Ost hinschmelzte, nachdem ihn geschüttelt der Westwind; pwa_428.020
Dass von geschmolzener Nässe gedrängt abfliessen die Bäche: Also pwa_428.021
schmolz in Thränen der Gattin liebliches Antlitz." Mit Epizeuxis verbunden pwa_428.022
erscheint das Polyptoton in einem Xenion Göthes auf Nicolai pwa_428.023
(LB. 2, 1086, 30): "Seine Meinung sagt er von seinem Jahrhundert, er pwa_428.024
sagt sie, Nochmals sagt er sie laut, hat sie gesagt und geht ab." pwa_428.025
Nicht so häufige Wiederkehr und doch das stärkste Beispiel bietet pwa_428.026
Ovid Metam. 1, 325: "Et superesse videt de tot modo millibus unum, pwa_428.027
Et superesse videt de tot modo millibus unam:" hier verbindet sich mit pwa_428.028
dem Polyptoton noch die Anaphora, oder wie man es nennen wolle.

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Geht der Wechsel der Form weiter, wechselt sie, weil ein anderes pwa_428.030
von der gleichen Wurzel oder dem gleichen Stamm gebildetes Wort eintritt, pwa_428.031
so heisst das Annominatio, ein Name, der, wie wir früher (S. 391) pwa_428.032
gesehen, auch das Wortspiel bezeichnet. Z. B. bei Klopstock: "Die Stille pwa_428.033
ward stiller;" oder wiederum Klopstock (Mess. 6, 190): "Lass, den meine pwa_428.034
Seele geliebt hat, Den ich liebe mit viel mehr Liebe wie Liebe der Brüder, pwa_428.035
Lass mich mit dir, du Heiligster, sterben!" So auch Voss: "Schreibend

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1) tes d' ar akououses Ree dakrua, teketo de khros. pwa_428.037
os de khion katateket' en akropoloisin oressin, pwa_428.038
en t' Euros katetexen, epen Zephuros katakheue; pwa_428.039
tekomenos d' ara tes potamoi plethousi Reontes; pwa_428.040
os tes teketo kala pareia dakru kheouses.

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diese. O bei Allem, Rodrigo, Was du und ich dereinst im Himmel pwa_428.002
hoffen, Von dieser Stelle, Rodrigo, verjage, verjage (Epanodos) mich pwa_428.003
von dieser Stelle nicht!“

pwa_428.004
Wir wenden uns nun zur zweiten Hauptgattung dieser Wiederholungen; pwa_428.005
hier kehrt nicht dasselbe Wort in unveränderter Form und pwa_428.006
Bedeutung wieder, sondern mit wechselnder Form und demgemäss auch pwa_428.007
mit noch mehr oder weniger veränderter Bedeutung. Wenn zuerst die pwa_428.008
Flexionsform wechselt, wenn das wiederholt gebrauchte Wort verschiedene pwa_428.009
Declinations- oder Conjugationsformen zeigt, so nennt man das pwa_428.010
ein Polyptoton (πολύπτωτον). Eigentlich passt dieser Name nur, wo pwa_428.011
vielerlei verschiedene Declinationsformen vorkommen, da πτῶσις Fall, pwa_428.012
Casus bedeutet; aber die Benennung gilt auch, wo es die wechselnde pwa_428.013
Conjugationsweise betrifft. Ein reiches Beispiel bietet Homers Odyssee pwa_428.014
19, 204 fgg., wo in fünf Versen1 der Begriff τήκειν, schmelzen, in den pwa_428.015
Formen τήκετο, κατατήκετο, κατέτηξεν, τηκόμενος, τήκετο wiederkehrt. pwa_428.016
Voss hat dieses Polyptoton in seiner Uebersetzung trefflich nachgeahmt: pwa_428.017
„Aber den Hörenden floss die schmelzende Thrän' auf die Wang' pwa_428.018
hin; So wie der Schnee hinschmilzt auf hochgescheitelten Bergen, pwa_428.019
Welchen der Ost hinschmelzte, nachdem ihn geschüttelt der Westwind; pwa_428.020
Dass von geschmolzener Nässe gedrängt abfliessen die Bäche: Also pwa_428.021
schmolz in Thränen der Gattin liebliches Antlitz.“ Mit Epizeuxis verbunden pwa_428.022
erscheint das Polyptoton in einem Xenion Göthes auf Nicolai pwa_428.023
(LB. 2, 1086, 30): „Seine Meinung sagt er von seinem Jahrhundert, er pwa_428.024
sagt sie, Nochmals sagt er sie laut, hat sie gesagt und geht ab.“ pwa_428.025
Nicht so häufige Wiederkehr und doch das stärkste Beispiel bietet pwa_428.026
Ovid Metam. 1, 325: „Et superesse videt de tot modo millibus unum, pwa_428.027
Et superesse videt de tot modo millibus unam:“ hier verbindet sich mit pwa_428.028
dem Polyptoton noch die Anaphora, oder wie man es nennen wolle.

pwa_428.029
Geht der Wechsel der Form weiter, wechselt sie, weil ein anderes pwa_428.030
von der gleichen Wurzel oder dem gleichen Stamm gebildetes Wort eintritt, pwa_428.031
so heisst das Annominatio, ein Name, der, wie wir früher (S. 391) pwa_428.032
gesehen, auch das Wortspiel bezeichnet. Z. B. bei Klopstock: „Die Stille pwa_428.033
ward stiller;“ oder wiederum Klopstock (Mess. 6, 190): „Lass, den meine pwa_428.034
Seele geliebt hat, Den ich liebe mit viel mehr Liebe wie Liebe der Brüder, pwa_428.035
Lass mich mit dir, du Heiligster, sterben!“ So auch Voss: „Schreibend

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1) τῆς δ' ἄρ ἀκουούσης ῥέε δάκρυα, τήκετο δὲ χρώς. pwa_428.037
ὡς δὲ χιὼν κατατήκετ' ἐν ἀκροπόλοισιν ὄρεσσιν, pwa_428.038
ἥν τ' Εὖρος κατέτηξεν, ἐπὴν Ζέφυρος καταχεύῃ· pwa_428.039
τήκομενος δ' ἄρα τῆς ποταμοὶ πλήθουσι ῥέοντες· pwa_428.040
ὧς τῆς τήκετο καλὰ παρήϊα δάκρυ χεούσης.
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/446>, abgerufen am 23.11.2024.