pwa_023.001 schaffenden Einbildung. Erhaben in diesem Sinne sind viele der pwa_023.002 Klopstockischen Oden und Hymnen; ausserdem erinnere ich an eine pwa_023.003 bekannte Stelle in Shakspeares König Lear (IV, 6), wo eine Aussicht pwa_023.004 von einem Vorgebirge nach der Tiefe des Seeufers hinunter geschildert pwa_023.005 wird: die Einbildung steigt immer tiefer und tiefer, dem Verstand pwa_023.006 aber schwindelt, und er verzagt ihr zu folgen.
pwa_023.007 Beim Lächerlichen ist also ein unvermittelter Conflict vorhanden pwa_023.008 zwischen Einbildung und Verstand; beim Erhabenen wird der Verstand pwa_023.009 von der Einbildungskraft beseitigt: der umgekehrte Fall, wo die Thätigkeit pwa_023.010 der Einbildung negiert wird vom Verstande, kann in der Poesie pwa_023.011 gar nicht vorkommen, weil es ohne Einbildung keine poetische Conception pwa_023.012 geben kann: und solche Anschauungen der Einbildung, die pwa_023.013 von dem messenden und vergleichenden Verstande gänzlich verworfen pwa_023.014 werden, sind hässlich: die poetische Conception aber wie überhaupt pwa_023.015 alle künstlerische Conception ist eine Conception des Schönen.
pwa_023.016 Nun der Conflict der Einbildung mit dem Gefühl. Wenn das pwa_023.017 Gefühl im engern Sinne des Wortes, wenn die Sentimentalität unbefriedigt pwa_023.018 ist bei den Anschauungen der Einbildung, ohne sie gleichwohl pwa_023.019 gänzlich verwerfen zu können, so kommt dadurch ein leises pwa_023.020 Missbehagen in die Anschauung, das aber gleichwohl etwas Erregendes pwa_023.021 und Anreizendes hat, grade wie dort der Conflict zwischen Einbildung pwa_023.022 und Verstand. Aus dem Widerspruch zwischen Einbildung pwa_023.023 und Gefühl erwächst bald die Wehmuth, bald die Laune: die Wehmuth, pwa_023.024 wenn das Gefühl den empfundenen Widerspruch mit hingebendem pwa_023.025 schmerzlichem Ernst auf sich einwirken lässt; die Laune, wenn pwa_023.026 es sich leichtsinnig und scherzend darüber hinweg zu setzen sucht; pwa_023.027 Wehmuth ist die weinende, Laune die lachende Sentimentalität. Das pwa_023.028 Gebiet der Wehmuth ist die Elegie, man nennt sie darum auch die pwa_023.029 elegische Stimmung; die Laune ist wie der Spott zu Hause in der pwa_023.030 Satire und in der Komödie, überhaupt in aller komischen Poesie, pwa_023.031 überall wo uns die Wirklichkeit von Seite ihrer Verkehrtheiten vorgeführt pwa_023.032 wird. Also z. B. auch in der komischen Erzählung, im komischen pwa_023.033 Heldengedicht, in der Travestie. Wie es jedoch überverständige pwa_023.034 Menschen giebt, für die nichts Lächerliches vorhanden ist, die pwa_023.035 sich über den Unwerth nur ärgern können, so auch andre, die aus pwa_023.036 zu feinem und delicatem Gefühl unempfänglich sind für die Laune. pwa_023.037 Noch häufiger aber sind Dichter, welche über den blossen Conflict pwa_023.038 zwischen Einbildung und Gefühl hinausgehen und Anschauungen vorführen, pwa_023.039 die das Gefühl von vornherein hätte verwerfen und vernichten pwa_023.040 sollen, Dichter, die das Launige mit dem Unziemlichen, Unsittlichen, pwa_023.041 ja Lasterhaften verwechseln. Von der Art sind manche komische
pwa_023.001 schaffenden Einbildung. Erhaben in diesem Sinne sind viele der pwa_023.002 Klopstockischen Oden und Hymnen; ausserdem erinnere ich an eine pwa_023.003 bekannte Stelle in Shakspeares König Lear (IV, 6), wo eine Aussicht pwa_023.004 von einem Vorgebirge nach der Tiefe des Seeufers hinunter geschildert pwa_023.005 wird: die Einbildung steigt immer tiefer und tiefer, dem Verstand pwa_023.006 aber schwindelt, und er verzagt ihr zu folgen.
pwa_023.007 Beim Lächerlichen ist also ein unvermittelter Conflict vorhanden pwa_023.008 zwischen Einbildung und Verstand; beim Erhabenen wird der Verstand pwa_023.009 von der Einbildungskraft beseitigt: der umgekehrte Fall, wo die Thätigkeit pwa_023.010 der Einbildung negiert wird vom Verstande, kann in der Poesie pwa_023.011 gar nicht vorkommen, weil es ohne Einbildung keine poetische Conception pwa_023.012 geben kann: und solche Anschauungen der Einbildung, die pwa_023.013 von dem messenden und vergleichenden Verstande gänzlich verworfen pwa_023.014 werden, sind hässlich: die poetische Conception aber wie überhaupt pwa_023.015 alle künstlerische Conception ist eine Conception des Schönen.
pwa_023.016 Nun der Conflict der Einbildung mit dem Gefühl. Wenn das pwa_023.017 Gefühl im engern Sinne des Wortes, wenn die Sentimentalität unbefriedigt pwa_023.018 ist bei den Anschauungen der Einbildung, ohne sie gleichwohl pwa_023.019 gänzlich verwerfen zu können, so kommt dadurch ein leises pwa_023.020 Missbehagen in die Anschauung, das aber gleichwohl etwas Erregendes pwa_023.021 und Anreizendes hat, grade wie dort der Conflict zwischen Einbildung pwa_023.022 und Verstand. Aus dem Widerspruch zwischen Einbildung pwa_023.023 und Gefühl erwächst bald die Wehmuth, bald die Laune: die Wehmuth, pwa_023.024 wenn das Gefühl den empfundenen Widerspruch mit hingebendem pwa_023.025 schmerzlichem Ernst auf sich einwirken lässt; die Laune, wenn pwa_023.026 es sich leichtsinnig und scherzend darüber hinweg zu setzen sucht; pwa_023.027 Wehmuth ist die weinende, Laune die lachende Sentimentalität. Das pwa_023.028 Gebiet der Wehmuth ist die Elegie, man nennt sie darum auch die pwa_023.029 elegische Stimmung; die Laune ist wie der Spott zu Hause in der pwa_023.030 Satire und in der Komödie, überhaupt in aller komischen Poesie, pwa_023.031 überall wo uns die Wirklichkeit von Seite ihrer Verkehrtheiten vorgeführt pwa_023.032 wird. Also z. B. auch in der komischen Erzählung, im komischen pwa_023.033 Heldengedicht, in der Travestie. Wie es jedoch überverständige pwa_023.034 Menschen giebt, für die nichts Lächerliches vorhanden ist, die pwa_023.035 sich über den Unwerth nur ärgern können, so auch andre, die aus pwa_023.036 zu feinem und delicatem Gefühl unempfänglich sind für die Laune. pwa_023.037 Noch häufiger aber sind Dichter, welche über den blossen Conflict pwa_023.038 zwischen Einbildung und Gefühl hinausgehen und Anschauungen vorführen, pwa_023.039 die das Gefühl von vornherein hätte verwerfen und vernichten pwa_023.040 sollen, Dichter, die das Launige mit dem Unziemlichen, Unsittlichen, pwa_023.041 ja Lasterhaften verwechseln. Von der Art sind manche komische
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schaffenden Einbildung. Erhaben in diesem Sinne sind viele der pwa_023.002
Klopstockischen Oden und Hymnen; ausserdem erinnere ich an eine pwa_023.003
bekannte Stelle in Shakspeares König Lear (IV, 6), wo eine Aussicht pwa_023.004
von einem Vorgebirge nach der Tiefe des Seeufers hinunter geschildert pwa_023.005
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Noch häufiger aber sind Dichter, welche über den blossen Conflict pwa_023.038
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/41>, abgerufen am 24.11.2024.
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