Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_385.001 Schriftstellern viele Beispiele; so bei Virgil am Anfang des sechsten pwa_385.007 Buches der Aeneis V. 4-8: "Obvertunt pelago proras; tum dente tenaci pwa_385.008 Ancora fundabat navis, et litora curvae Praetexunt puppes. Juvenum pwa_385.009 manus emicat ardens Litus in Hesperium; quaerit pars semina flammae pwa_385.010 Abstrusa in venis silicis, pars densa ferarum Tecta rapit silvas pwa_385.011 inventaque flumina monstrat." [Annotation] pwa_385.012 pwa_385.019 pwa_385.001 Schriftstellern viele Beispiele; so bei Virgil am Anfang des sechsten pwa_385.007 Buches der Aeneis V. 4–8: „Obvertunt pelago proras; tum dente tenaci pwa_385.008 Ancora fundabat navis, et litora curvae Praetexunt puppes. Juvenum pwa_385.009 manus emicat ardens Litus in Hesperium; quaerit pars semina flammae pwa_385.010 Abstrusa in venis silicis, pars densa ferarum Tecta rapit silvas pwa_385.011 inventaque flumina monstrat.“ [Annotation] pwa_385.012 pwa_385.019 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0403" n="385"/><lb n="pwa_385.001"/> passen; wer aber, sei es aus Pedanterei oder aus Ueberfülle der <lb n="pwa_385.002"/> Phantasie oder aus welchem Grunde sonst, Bild auf Bild häuft, den <lb n="pwa_385.003"/> wird auch die Pedanterei immer nur auf das Einzelne achten lassen, <lb n="pwa_385.004"/> und die Phantasie wird ihm die Klüfte verbergen, die ein Bild vom <lb n="pwa_385.005"/> andern trennen. <anchor xml:id="wa036"/> <note targetEnd="#wa036" type="metapher" ana="#m1-0-1-1 #m1-8-1-6" target="#wa035"> Katachrese als parallelkategorie </note> <anchor xml:id="wa037"/> Auch für diesen Fehler giebt es bei den römischen <lb n="pwa_385.006"/> Schriftstellern viele Beispiele; so bei Virgil am Anfang des sechsten <lb n="pwa_385.007"/> Buches der Aeneis V. 4–8: „Obvertunt pelago proras; tum dente tenaci <lb n="pwa_385.008"/> Ancora fundabat navis, et litora curvae Praetexunt puppes. 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B. nicht <lb n="pwa_385.023"/> von einer Hütte spricht, sondern von einer niederen Hütte, und nicht <lb n="pwa_385.024"/> von einem Dache dieser niederen Hütte, sondern von einem bemoosten <lb n="pwa_385.025"/> Dache, und nicht von einem Landmann in derselben, sondern von <lb n="pwa_385.026"/> einem zufriedenen Landmann. Diese Epitheta bezeichnen entweder <lb n="pwa_385.027"/> allgemein gültige, den Substantiven ein für alle Mal und unter allen <lb n="pwa_385.028"/> Umständen anhangende oder doch zukommende Eigenschaften, sind <lb n="pwa_385.029"/> also stehende epische Beiwörter der Personen und Dinge; oder ihre <lb n="pwa_385.030"/> Begründung und Gültigkeit liegt erst in den grade waltenden Umständen, <lb n="pwa_385.031"/> sie hangen den Substantiven nur an, insofern sie grade hier und <lb n="pwa_385.032"/> grade so erscheinen und wirken: zu jener Art gehört die niedere <lb n="pwa_385.033"/> Hütte, der zufriedene Landmann, zu dieser dagegen das bemooste <lb n="pwa_385.034"/> Dach, weil dieses Beiwort bloss gelegentlich beigelegt ist. Die Epitheta <lb n="pwa_385.035"/> ornantia sind aller Poesie aller Völker und Zeiten geläufig, und <lb n="pwa_385.036"/> das ist auch ganz natürlich bei der grossen Einfachheit. Aber der <lb n="pwa_385.037"/> Gebrauch wird auch oft genug übertrieben: es giebt Dichter, die kaum <lb n="pwa_385.038"/> mehr ein Substantiv setzen können ohne ein Epitheton: da läuft denn <lb n="pwa_385.039"/> auch manches Müssige mit unter, mancher Pleonasmus, wie alter <lb n="pwa_385.040"/> Greis, und diese gleichmässig fortlaufende Reihe von Substantiv und <lb n="pwa_385.041"/> Adjectiv, Substantiv und Adjectiv hat für die Einbildung und sogar </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [385/0403]
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passen; wer aber, sei es aus Pedanterei oder aus Ueberfülle der pwa_385.002
Phantasie oder aus welchem Grunde sonst, Bild auf Bild häuft, den pwa_385.003
wird auch die Pedanterei immer nur auf das Einzelne achten lassen, pwa_385.004
und die Phantasie wird ihm die Klüfte verbergen, die ein Bild vom pwa_385.005
andern trennen. Katachrese als parallelkategorie Auch für diesen Fehler giebt es bei den römischen pwa_385.006
Schriftstellern viele Beispiele; so bei Virgil am Anfang des sechsten pwa_385.007
Buches der Aeneis V. 4–8: „Obvertunt pelago proras; tum dente tenaci pwa_385.008
Ancora fundabat navis, et litora curvae Praetexunt puppes. Juvenum pwa_385.009
manus emicat ardens Litus in Hesperium; quaerit pars semina flammae pwa_385.010
Abstrusa in venis silicis, pars densa ferarum Tecta rapit silvas pwa_385.011
inventaque flumina monstrat.“ Quelle Virgil, Aeneis V. 4-8, Anfang des sechsten Buches Virgil Aeneis V. 4-8 http://data.perseus.org/citations/urn:cts:latinLit:phi0690.phi003.perseus-lat1:6.1-6.13
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Und nun zur Betrachtung erst der Figuren, dann der Tropen. pwa_385.013
Die Figuren stehn also auf der niederen Stufe der Versinnlichung, pwa_385.014
insofern sie nicht die gewöhnliche Vorstellung selbst, sondern nur pwa_385.015
deren gewöhnlichen und gleich bei der Hand liegenden Ausdruck pwa_385.016
gegen einen entfernteren, minder gewöhnlichen vertauschen; die Vorstellung pwa_385.017
bleibt die gleiche, der gewählte Ausdruck giebt ihr nur ein pwa_385.018
grösseres Mass von sinnlicher Anschaulichkeit.
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Von allen Figuren die geläufigste, mit der wir deshalb den pwa_385.020
Anfang der Reihe machen wollen, ist die Versinnlichung und Veranschaulichung pwa_385.021
eines substantivischen Begriffes durch ein schmückendes pwa_385.022
Beiwort, ein sogenanntes Epitheton ornans, dass man also z. B. nicht pwa_385.023
von einer Hütte spricht, sondern von einer niederen Hütte, und nicht pwa_385.024
von einem Dache dieser niederen Hütte, sondern von einem bemoosten pwa_385.025
Dache, und nicht von einem Landmann in derselben, sondern von pwa_385.026
einem zufriedenen Landmann. Diese Epitheta bezeichnen entweder pwa_385.027
allgemein gültige, den Substantiven ein für alle Mal und unter allen pwa_385.028
Umständen anhangende oder doch zukommende Eigenschaften, sind pwa_385.029
also stehende epische Beiwörter der Personen und Dinge; oder ihre pwa_385.030
Begründung und Gültigkeit liegt erst in den grade waltenden Umständen, pwa_385.031
sie hangen den Substantiven nur an, insofern sie grade hier und pwa_385.032
grade so erscheinen und wirken: zu jener Art gehört die niedere pwa_385.033
Hütte, der zufriedene Landmann, zu dieser dagegen das bemooste pwa_385.034
Dach, weil dieses Beiwort bloss gelegentlich beigelegt ist. Die Epitheta pwa_385.035
ornantia sind aller Poesie aller Völker und Zeiten geläufig, und pwa_385.036
das ist auch ganz natürlich bei der grossen Einfachheit. Aber der pwa_385.037
Gebrauch wird auch oft genug übertrieben: es giebt Dichter, die kaum pwa_385.038
mehr ein Substantiv setzen können ohne ein Epitheton: da läuft denn pwa_385.039
auch manches Müssige mit unter, mancher Pleonasmus, wie alter pwa_385.040
Greis, und diese gleichmässig fortlaufende Reihe von Substantiv und pwa_385.041
Adjectiv, Substantiv und Adjectiv hat für die Einbildung und sogar
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