Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873pwa_379.001 pwa_379.006 pwa_379.018 pwa_379.001 pwa_379.006 pwa_379.018 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0397" n="379"/><lb n="pwa_379.001"/> zusammenzufliessen, und in der Regel so, dass dabei ursprünglich vom <lb n="pwa_379.002"/> Sehen ist ausgegangen worden: so gelten z. B. <hi rendition="#i">hell</hi> und <hi rendition="#i">klar</hi> und <lb n="pwa_379.003"/> <hi rendition="#i">dunkel</hi> erstens von Farben und zweitens von Tönen, und wenn man <lb n="pwa_379.004"/> von hohen und niedern Tönen spricht, so sind dabei die Töne zuerst <lb n="pwa_379.005"/> gleichsam sichtbar gedacht worden. Vgl. J. Grimm, Kl. Schrift. 3, 302.</p> <p><lb n="pwa_379.006"/> Diese höhere Würde des Gesichtssinnes zeigt sich wie in der <lb n="pwa_379.007"/> Sprache überhaupt, so nun auch im poetischen Stil. Alle Sinnlichkeit <lb n="pwa_379.008"/> des Ausdruckes ist, sobald man auf dessen inneren geistigen Gehalt, <lb n="pwa_379.009"/> auf die Vorstellung selber sieht, die ihm innewohnt, eine Sinnlichkeit <lb n="pwa_379.010"/> für das Gesicht; eine Sinnlichkeit des Ausdruckes für das Gehör aber <lb n="pwa_379.011"/> giebt es nur, insofern der äusserliche Klang, insofern bloss die Laute <lb n="pwa_379.012"/> und die Töne eines Wortes die Einbildungskraft in Anspruch nehmen. <lb n="pwa_379.013"/> Die Sinnlichkeit für das Gehör beruht also lediglich auf einer Malerei <lb n="pwa_379.014"/> mit Lauten und Tönen. Wir wollen das Wenige, was in Bezug hierauf <lb n="pwa_379.015"/> zu bemerken ist, gleich jetzt abthun, um erst dann die Sinnlichkeit <lb n="pwa_379.016"/> für das Gesicht abzuhandeln, die eine ausgeführtere Betrachtung <lb n="pwa_379.017"/> erfordert.</p> <p><lb n="pwa_379.018"/> Malerische Nachahmung der Naturlaute ist allen Sprachen eigen, <lb n="pwa_379.019"/> wenn schon nicht, wie z. B. Herder gewollt hat, der erste Grund und <lb n="pwa_379.020"/> Anfang der menschlichen Sprache überhaupt bloss solche Nachahmung <lb n="pwa_379.021"/> ist. Worte wie <hi rendition="#i">brüllen</hi> und <hi rendition="#i">rollen, rasseln</hi> und <hi rendition="#i">prasseln, heulen</hi> und <lb n="pwa_379.022"/> <hi rendition="#i">murmeln</hi> enthalten allerdings nicht zufällig grade diese Consonanten <lb n="pwa_379.023"/> und diese Vocale. Abgesehen von solcher in der Sprache selbst schon <lb n="pwa_379.024"/> gegebenen Lautmalerei kann dieselbe auch mit bewusster Absicht noch <lb n="pwa_379.025"/> eigens gesucht werden, und in so fern hat dann auch die Stilistik <lb n="pwa_379.026"/> davon zu reden. Die Dichter verfahren mit den Lauten, auf deren <lb n="pwa_379.027"/> Darstellung sie ausgehn, in zwiefacher Weise. Entweder ahmen sie <lb n="pwa_379.028"/> dieselben nicht eigentlich nach, sondern nehmen sie lediglich in ihrer <lb n="pwa_379.029"/> unveränderten Gestalt selbst in das Gedicht mit herüber, so z. B. <lb n="pwa_379.030"/> Bürger in der Lenore: „Hurre, hurre, hopp hopp hopp“ und dergleichen. <lb n="pwa_379.031"/> Das kann man eigentlich nicht billigen: es ist bedenklich, ganze <lb n="pwa_379.032"/> Zeilen mit Worten auszufüllen, die nichts bedeuten, die sogar eigentlich <lb n="pwa_379.033"/> gar keine Worte, sondern bloss Laute sind und weiter nichts. <lb n="pwa_379.034"/> Andre und höher stehende Dichter haben sich dergleichen auch nicht in <lb n="pwa_379.035"/> den Sinn kommen lassen, ausser etwa im Scherze, wie z. B. Aristophanes <lb n="pwa_379.036"/> in den Vögeln, wo allerdings Strophen vorkommen, die beinahe ganz <lb n="pwa_379.037"/> aus <foreign xml:lang="grc">τιὸ τιὸ τιοτίξ</foreign> u. dgl. zusammengesetzt sind (V. 738 fgg.). Oder aber, <lb n="pwa_379.038"/> und dergleichen kommt mehr oder weniger bei allen Dichtern vor, <lb n="pwa_379.039"/> die gewählten Worte fügen sich in ihren Lauten und Tönen zu dem <lb n="pwa_379.040"/> Klange, der in der hörenden Einbildung des Dichters liegt, sie drücken <lb n="pwa_379.041"/> ausser dem Begriff, den sie enthalten, zugleich den Klang aus, der </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [379/0397]
pwa_379.001
zusammenzufliessen, und in der Regel so, dass dabei ursprünglich vom pwa_379.002
Sehen ist ausgegangen worden: so gelten z. B. hell und klar und pwa_379.003
dunkel erstens von Farben und zweitens von Tönen, und wenn man pwa_379.004
von hohen und niedern Tönen spricht, so sind dabei die Töne zuerst pwa_379.005
gleichsam sichtbar gedacht worden. Vgl. J. Grimm, Kl. Schrift. 3, 302.
pwa_379.006
Diese höhere Würde des Gesichtssinnes zeigt sich wie in der pwa_379.007
Sprache überhaupt, so nun auch im poetischen Stil. Alle Sinnlichkeit pwa_379.008
des Ausdruckes ist, sobald man auf dessen inneren geistigen Gehalt, pwa_379.009
auf die Vorstellung selber sieht, die ihm innewohnt, eine Sinnlichkeit pwa_379.010
für das Gesicht; eine Sinnlichkeit des Ausdruckes für das Gehör aber pwa_379.011
giebt es nur, insofern der äusserliche Klang, insofern bloss die Laute pwa_379.012
und die Töne eines Wortes die Einbildungskraft in Anspruch nehmen. pwa_379.013
Die Sinnlichkeit für das Gehör beruht also lediglich auf einer Malerei pwa_379.014
mit Lauten und Tönen. Wir wollen das Wenige, was in Bezug hierauf pwa_379.015
zu bemerken ist, gleich jetzt abthun, um erst dann die Sinnlichkeit pwa_379.016
für das Gesicht abzuhandeln, die eine ausgeführtere Betrachtung pwa_379.017
erfordert.
pwa_379.018
Malerische Nachahmung der Naturlaute ist allen Sprachen eigen, pwa_379.019
wenn schon nicht, wie z. B. Herder gewollt hat, der erste Grund und pwa_379.020
Anfang der menschlichen Sprache überhaupt bloss solche Nachahmung pwa_379.021
ist. Worte wie brüllen und rollen, rasseln und prasseln, heulen und pwa_379.022
murmeln enthalten allerdings nicht zufällig grade diese Consonanten pwa_379.023
und diese Vocale. Abgesehen von solcher in der Sprache selbst schon pwa_379.024
gegebenen Lautmalerei kann dieselbe auch mit bewusster Absicht noch pwa_379.025
eigens gesucht werden, und in so fern hat dann auch die Stilistik pwa_379.026
davon zu reden. Die Dichter verfahren mit den Lauten, auf deren pwa_379.027
Darstellung sie ausgehn, in zwiefacher Weise. Entweder ahmen sie pwa_379.028
dieselben nicht eigentlich nach, sondern nehmen sie lediglich in ihrer pwa_379.029
unveränderten Gestalt selbst in das Gedicht mit herüber, so z. B. pwa_379.030
Bürger in der Lenore: „Hurre, hurre, hopp hopp hopp“ und dergleichen. pwa_379.031
Das kann man eigentlich nicht billigen: es ist bedenklich, ganze pwa_379.032
Zeilen mit Worten auszufüllen, die nichts bedeuten, die sogar eigentlich pwa_379.033
gar keine Worte, sondern bloss Laute sind und weiter nichts. pwa_379.034
Andre und höher stehende Dichter haben sich dergleichen auch nicht in pwa_379.035
den Sinn kommen lassen, ausser etwa im Scherze, wie z. B. Aristophanes pwa_379.036
in den Vögeln, wo allerdings Strophen vorkommen, die beinahe ganz pwa_379.037
aus τιὸ τιὸ τιοτίξ u. dgl. zusammengesetzt sind (V. 738 fgg.). Oder aber, pwa_379.038
und dergleichen kommt mehr oder weniger bei allen Dichtern vor, pwa_379.039
die gewählten Worte fügen sich in ihren Lauten und Tönen zu dem pwa_379.040
Klange, der in der hörenden Einbildung des Dichters liegt, sie drücken pwa_379.041
ausser dem Begriff, den sie enthalten, zugleich den Klang aus, der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |