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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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im Umgang mit guten Menschen aufgewachsen, haben ihn pwa_368.002
seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen musste, um das pwa_368.003
Uebrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen pwa_368.004
braucht, wurden seine ersten Hoffnungen so getrübt, dass er das Gute pwa_368.005
kräftig, leicht und bequem vollbringen kann, ohne sich irgend etwas pwa_368.006
abgewöhnen zu müssen: so wird dieser Mensch ein reineres, vollkommeneres pwa_368.007
und glücklicheres Leben führen als ein Anderer, der seine pwa_368.008
ersten Jugendkräfte im Widerstand gegen den Irrthum zugesetzt hat."

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Wenn endlich die Glieder einer Periode nicht im Verhältniss von pwa_368.010
Vordersatz und Nachsatz stehn, wenn sie einander beigeordnet sind, pwa_368.011
so kann von jenem rhythmischen Gesetze nicht die Rede sein. Bei pwa_368.012
der Verbindung von Hauptsätzen durch und, oder u. s. f. bildet jedes pwa_368.013
Glied der Periode ein rhythmisches Ganzes für sich: z. B. "Wünsche pwa_368.014
können ohne Kraft und ohne Talente sein: aber nie sind Kraft und pwa_368.015
Talente ohne Wünsche." Hier bildet die Periode einen Ditrochäus pwa_368.016
(_ _ _ _), jedes Glied derselben hat eine Hebung und eine Senkung. pwa_368.017
Bei so gestalteten Perioden fallen denn auch für den zweiten Theil pwa_368.018
die Beschränkungen weg, die sonst für den Nachsatz gelten: hier pwa_368.019
erregt die Mehrgliedrigkeit keinerlei Bedenken: z. B. "Gott ist die pwa_368.020
Liebe; also können wir ihm uns und unser Schicksal ruhig übergeben; pwa_368.021
also dürfen wir nicht ängstlich für die Zukunft sorgen."

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2. DER STIL DER EINBILDUNG.

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Wir gelangen nunmehr zu der zweiten Gattung des Stils, die pwa_368.024
wir im Anschluss an einen altüberlieferten Sprachgebrauch auch den pwa_368.025
mittleren Stil nennen mögen. Die bisher besprochene erste Gattung, pwa_368.026
der niedere Stil, dient den Mittheilungen des Verstandes, deren Gegenstand pwa_368.027
die Wahrheit, deren Zweck die Belehrung ist: demgemäss ist pwa_368.028
die characteristische Eigenschaft des niederen Stils die Deutlichkeit, pwa_368.029
Deutlichkeit sowohl in der Wahl der Worte als in deren Anordnung; pwa_368.030
diese verständige Deutlichkeit zum Behuf der Belehrung duldet keine pwa_368.031
anderen Worte als die eigentlichsten, seien das auch zugleich die pwa_368.032
unsinnlichsten, und keinen anderen Rhythmus als den, welcher der pwa_368.033
Sprache von Natur eigenthümlich ist, und auch diesen nur im Verhältniss pwa_368.034
der Worte zu Worten, der Satzglieder zu Satzgliedern, nicht pwa_368.035
aber der Silben zu Silben.

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Bei der zweiten Stilgattung treten uns ganz andere Zwecke und pwa_368.037
Mittel entgegen, ganz andere Merkmale und Forderungen. Hier liegt pwa_368.038
als Gegenstand nicht unmittelbar das Wahre vor, sondern das Schöne,

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im Umgang mit guten Menschen aufgewachsen, haben ihn pwa_368.002
seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen musste, um das pwa_368.003
Uebrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen pwa_368.004
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kräftig, leicht und bequem vollbringen kann, ohne sich irgend etwas pwa_368.006
abgewöhnen zu müssen: so wird dieser Mensch ein reineres, vollkommeneres pwa_368.007
und glücklicheres Leben führen als ein Anderer, der seine pwa_368.008
ersten Jugendkräfte im Widerstand gegen den Irrthum zugesetzt hat.“

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Wenn endlich die Glieder einer Periode nicht im Verhältniss von pwa_368.010
Vordersatz und Nachsatz stehn, wenn sie einander beigeordnet sind, pwa_368.011
so kann von jenem rhythmischen Gesetze nicht die Rede sein. Bei pwa_368.012
der Verbindung von Hauptsätzen durch und, oder u. s. f. bildet jedes pwa_368.013
Glied der Periode ein rhythmisches Ganzes für sich: z. B. „Wünsche pwa_368.014
können ohne Kraft und ohne Talente sein: aber nie sind Kraft und pwa_368.015
Talente ohne Wünsche.“ Hier bildet die Periode einen Ditrochäus pwa_368.016
(_ ‿ _ ‿), jedes Glied derselben hat eine Hebung und eine Senkung. pwa_368.017
Bei so gestalteten Perioden fallen denn auch für den zweiten Theil pwa_368.018
die Beschränkungen weg, die sonst für den Nachsatz gelten: hier pwa_368.019
erregt die Mehrgliedrigkeit keinerlei Bedenken: z. B. „Gott ist die pwa_368.020
Liebe; also können wir ihm uns und unser Schicksal ruhig übergeben; pwa_368.021
also dürfen wir nicht ängstlich für die Zukunft sorgen.“

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2. DER STIL DER EINBILDUNG.

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Wir gelangen nunmehr zu der zweiten Gattung des Stils, die pwa_368.024
wir im Anschluss an einen altüberlieferten Sprachgebrauch auch den pwa_368.025
mittleren Stil nennen mögen. Die bisher besprochene erste Gattung, pwa_368.026
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die Wahrheit, deren Zweck die Belehrung ist: demgemäss ist pwa_368.028
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Deutlichkeit sowohl in der Wahl der Worte als in deren Anordnung; pwa_368.030
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aber der Silben zu Silben.

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Bei der zweiten Stilgattung treten uns ganz andere Zwecke und pwa_368.037
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[368/0386] pwa_368.001 im Umgang mit guten Menschen aufgewachsen, haben ihn pwa_368.002 seine Meister das gelehrt, was er zuerst wissen musste, um das pwa_368.003 Uebrige leichter zu begreifen, hat er gelernt, was er nie zu verlernen pwa_368.004 braucht, wurden seine ersten Hoffnungen so getrübt, dass er das Gute pwa_368.005 kräftig, leicht und bequem vollbringen kann, ohne sich irgend etwas pwa_368.006 abgewöhnen zu müssen: so wird dieser Mensch ein reineres, vollkommeneres pwa_368.007 und glücklicheres Leben führen als ein Anderer, der seine pwa_368.008 ersten Jugendkräfte im Widerstand gegen den Irrthum zugesetzt hat.“ pwa_368.009 Wenn endlich die Glieder einer Periode nicht im Verhältniss von pwa_368.010 Vordersatz und Nachsatz stehn, wenn sie einander beigeordnet sind, pwa_368.011 so kann von jenem rhythmischen Gesetze nicht die Rede sein. Bei pwa_368.012 der Verbindung von Hauptsätzen durch und, oder u. s. f. bildet jedes pwa_368.013 Glied der Periode ein rhythmisches Ganzes für sich: z. B. „Wünsche pwa_368.014 können ohne Kraft und ohne Talente sein: aber nie sind Kraft und pwa_368.015 Talente ohne Wünsche.“ Hier bildet die Periode einen Ditrochäus pwa_368.016 (_ ‿ _ ‿), jedes Glied derselben hat eine Hebung und eine Senkung. pwa_368.017 Bei so gestalteten Perioden fallen denn auch für den zweiten Theil pwa_368.018 die Beschränkungen weg, die sonst für den Nachsatz gelten: hier pwa_368.019 erregt die Mehrgliedrigkeit keinerlei Bedenken: z. B. „Gott ist die pwa_368.020 Liebe; also können wir ihm uns und unser Schicksal ruhig übergeben; pwa_368.021 also dürfen wir nicht ängstlich für die Zukunft sorgen.“ pwa_368.022 2. DER STIL DER EINBILDUNG. pwa_368.023 Wir gelangen nunmehr zu der zweiten Gattung des Stils, die pwa_368.024 wir im Anschluss an einen altüberlieferten Sprachgebrauch auch den pwa_368.025 mittleren Stil nennen mögen. Die bisher besprochene erste Gattung, pwa_368.026 der niedere Stil, dient den Mittheilungen des Verstandes, deren Gegenstand pwa_368.027 die Wahrheit, deren Zweck die Belehrung ist: demgemäss ist pwa_368.028 die characteristische Eigenschaft des niederen Stils die Deutlichkeit, pwa_368.029 Deutlichkeit sowohl in der Wahl der Worte als in deren Anordnung; pwa_368.030 diese verständige Deutlichkeit zum Behuf der Belehrung duldet keine pwa_368.031 anderen Worte als die eigentlichsten, seien das auch zugleich die pwa_368.032 unsinnlichsten, und keinen anderen Rhythmus als den, welcher der pwa_368.033 Sprache von Natur eigenthümlich ist, und auch diesen nur im Verhältniss pwa_368.034 der Worte zu Worten, der Satzglieder zu Satzgliedern, nicht pwa_368.035 aber der Silben zu Silben. pwa_368.036 Bei der zweiten Stilgattung treten uns ganz andere Zwecke und pwa_368.037 Mittel entgegen, ganz andere Merkmale und Forderungen. Hier liegt pwa_368.038 als Gegenstand nicht unmittelbar das Wahre vor, sondern das Schöne,

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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/386>, abgerufen am 22.11.2024.