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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873

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und fallen so leicht in einander, wie Wörterbuch und Grammatik. pwa_328.002
Es kann z. B. ein Ausdruck dadurch gegen die Sprachreinheit verstossen, pwa_328.003
dass er veraltet ist; das Veraltete kann aber sehr wohl nur pwa_328.004
darin bestehn, dass er nicht gebildet ist nach der Weise der jetzigen pwa_328.005
Sprache. Es wird aber zum Behufe der Deutlichkeit Reinheit und pwa_328.006
Richtigkeit im Ausdruck gefordert, weil nichts so sehr von vorn herein pwa_328.007
das Verstehn erschwert, ja sogar vorübergehend unmöglich macht und pwa_328.008
aufhebt, als wenn Worte und Wendungen vorkommen, die entweder pwa_328.009
einer gänzlich fremden, unverständlichen Sprache angehören, oder pwa_328.010
obgleich der heimischen Sprache, doch einem Zeitalter oder einem pwa_328.011
Dialect derselben, in welchem sie ebenfalls für uns nichts viel Besseres pwa_328.012
als eine fremde ist, oder wenn die Worte auf eine Art flectiert werden, pwa_328.013
die gradezu unerhört und unmöglich ist, oder wenigstens an pwa_328.014
diesem Orte falsch und dadurch das Verständniss irre leitend. Diese pwa_328.015
erste Regel der Reinheit und Richtigkeit ist in sich durchaus negativer pwa_328.016
Natur, und wir können sie deshalb nur abhandeln, indem wir von pwa_328.017
den verschiedenen Verstössen reden, die gegen sie möglich sind. Die pwa_328.018
alten Rhetoriker und Grammatiker theilten diese Fehler und Verstösse pwa_328.019
in zwei Classen: Barbarismen und Solöcismen. Sie unterscheiden sich pwa_328.020
so, dass der Barbarismus, d. h. Fremdartigkeit, gegen die Reinheit pwa_328.021
der Sprache fehlt, der Solöcismus (von Soli, einer Stadt in Cilicien, pwa_328.022
deren Einwohner ein sehr verdorbenes Griechisch sollen gesprochen pwa_328.023
haben) allgemein betrachtet gegen die Richtigkeit derselben. So haben pwa_328.024
die Alten selbst den Begriff des einen und des anderen Wortes aufgefasst pwa_328.025
und bestimmt: es mag in dieser Beziehung namentlich auf pwa_328.026
Quintilian (1, 5) verwiesen werden. Barbarismen sind nach der Auseinandersetzung pwa_328.027
Quintilians und Anderer solche Fehler, die in einzelnen pwa_328.028
Worten für sich betrachtet liegen, nämlich die Einmischung fremdartiger pwa_328.029
Worte, die einer ganz anderen Sprache angehören, die sprachwidrige pwa_328.030
Weglassung nothwendiger oder die sprachwidrige Hinzusetzung pwa_328.031
überflüssiger Buchstaben oder Silben, oder die Vertauschung und Versetzung pwa_328.032
von Buchstaben und Silben. Die Solöcismen dagegen zeigen pwa_328.033
sich bei Worten, insofern sie mit anderen in Verbindung stehn, also pwa_328.034
Unrichtigkeiten im Gebrauch des numerus, des casus, des tempus, pwa_328.035
des modus, fehlerhafte Beugungen und Constructionen, sprach- und pwa_328.036
gedankenwidrige Ellipsen oder Pleonasmen. Das Gebiet des Solöcismus pwa_328.037
erstreckt sich somit doch theilweise noch hinaus über die Unrichtigkeit pwa_328.038
der einzelnen Worte und Wortformen an und für sich; es wird pwa_328.039
auch Vieles so genannt, womit man sich gegen die Verknüpfung und pwa_328.040
Anordnung der Worte verfehlt. Schon dieser Weitläuftigkeit und pwa_328.041
Unbestimmtheit wegen, die dem Begriffe des Solöcismus eigen ist,

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und fallen so leicht in einander, wie Wörterbuch und Grammatik. pwa_328.002
Es kann z. B. ein Ausdruck dadurch gegen die Sprachreinheit verstossen, pwa_328.003
dass er veraltet ist; das Veraltete kann aber sehr wohl nur pwa_328.004
darin bestehn, dass er nicht gebildet ist nach der Weise der jetzigen pwa_328.005
Sprache. Es wird aber zum Behufe der Deutlichkeit Reinheit und pwa_328.006
Richtigkeit im Ausdruck gefordert, weil nichts so sehr von vorn herein pwa_328.007
das Verstehn erschwert, ja sogar vorübergehend unmöglich macht und pwa_328.008
aufhebt, als wenn Worte und Wendungen vorkommen, die entweder pwa_328.009
einer gänzlich fremden, unverständlichen Sprache angehören, oder pwa_328.010
obgleich der heimischen Sprache, doch einem Zeitalter oder einem pwa_328.011
Dialect derselben, in welchem sie ebenfalls für uns nichts viel Besseres pwa_328.012
als eine fremde ist, oder wenn die Worte auf eine Art flectiert werden, pwa_328.013
die gradezu unerhört und unmöglich ist, oder wenigstens an pwa_328.014
diesem Orte falsch und dadurch das Verständniss irre leitend. Diese pwa_328.015
erste Regel der Reinheit und Richtigkeit ist in sich durchaus negativer pwa_328.016
Natur, und wir können sie deshalb nur abhandeln, indem wir von pwa_328.017
den verschiedenen Verstössen reden, die gegen sie möglich sind. Die pwa_328.018
alten Rhetoriker und Grammatiker theilten diese Fehler und Verstösse pwa_328.019
in zwei Classen: Barbarismen und Solöcismen. Sie unterscheiden sich pwa_328.020
so, dass der Barbarismus, d. h. Fremdartigkeit, gegen die Reinheit pwa_328.021
der Sprache fehlt, der Solöcismus (von Soli, einer Stadt in Cilicien, pwa_328.022
deren Einwohner ein sehr verdorbenes Griechisch sollen gesprochen pwa_328.023
haben) allgemein betrachtet gegen die Richtigkeit derselben. So haben pwa_328.024
die Alten selbst den Begriff des einen und des anderen Wortes aufgefasst pwa_328.025
und bestimmt: es mag in dieser Beziehung namentlich auf pwa_328.026
Quintilian (1, 5) verwiesen werden. Barbarismen sind nach der Auseinandersetzung pwa_328.027
Quintilians und Anderer solche Fehler, die in einzelnen pwa_328.028
Worten für sich betrachtet liegen, nämlich die Einmischung fremdartiger pwa_328.029
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Weglassung nothwendiger oder die sprachwidrige Hinzusetzung pwa_328.031
überflüssiger Buchstaben oder Silben, oder die Vertauschung und Versetzung pwa_328.032
von Buchstaben und Silben. Die Solöcismen dagegen zeigen pwa_328.033
sich bei Worten, insofern sie mit anderen in Verbindung stehn, also pwa_328.034
Unrichtigkeiten im Gebrauch des numerus, des casus, des tempus, pwa_328.035
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gedankenwidrige Ellipsen oder Pleonasmen. Das Gebiet des Solöcismus pwa_328.037
erstreckt sich somit doch theilweise noch hinaus über die Unrichtigkeit pwa_328.038
der einzelnen Worte und Wortformen an und für sich; es wird pwa_328.039
auch Vieles so genannt, womit man sich gegen die Verknüpfung und pwa_328.040
Anordnung der Worte verfehlt. Schon dieser Weitläuftigkeit und pwa_328.041
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Zitationshilfe: Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/346>, abgerufen am 23.11.2024.