pwa_325.001 Form. Zwar ist nicht in Abrede zu stellen, und wir haben das an seinem pwa_325.002 Orte (S. 250) dargethan, dass diese äussere Form des Romans mannigfach pwa_325.003 schon auf den Inhalt zurückwirke: wir haben gesehn, wie schon pwa_325.004 da dem Verfasser eines Romans bloss eben der prosaischen Form pwa_325.005 wegen Manches gestattet wird, was dem eigentlichen Epiker verwehrt pwa_325.006 ist. Aber natürlich noch viel bedeutender ist der Einfluss, den umgekehrt pwa_325.007 das Wesen, den der dichterische Inhalt und Zweck auf die äussere Form pwa_325.008 ausüben, und so hat der Romanschreiber rücksichtlich seiner Darstellungsweise pwa_325.009 viel vor den übrigen Prosaikern voraus. Nur die Forderungen pwa_325.010 des Wohlklangs, des poetischen Rhythmus fallen weg, sonst aber pwa_325.011 liegt der Stil des Romans dicht neben dem des Epos und ist gleich pwa_325.012 diesem durch die schaffende und wiederschaffende Einbildungskraft pwa_325.013 bedingt. Wir werden also vom Stil des Romans erst bei der zweiten pwa_325.014 Hauptgattung, bei der anschaulichen Darstellungsweise der Einbildungskraft pwa_325.015 zu handeln haben. Auszuschliessen sind endlich, und pwa_325.016 auch wiederum nur als Zwitterarten, die lehrhaften Briefe und Gespräche, pwa_325.017 diejenigen lehrhaften Darstellungen, die zwar auch, ihrem didactischen pwa_325.018 Zwecke gemäss, die Form der Prosa wählen, die aber, was die ganze pwa_325.019 sonstige Gestaltung des Stoffes betrifft, sich an die dramatische Poesie pwa_325.020 anlehnen, in denen der verständige Inhalt nicht einfach abgehandelt, pwa_325.021 sondern mit der Lebendigkeit eines dramatischen Zwiegespräches entwickelt pwa_325.022 wird. Hier liegt allerdings das Poetische weit mehr auf Seiten pwa_325.023 der äussern Gestalt als des eigentlichen innern Gehaltes, dennoch pwa_325.024 kann und darf die Einwirkung davon auf den Stil nicht ausbleiben, pwa_325.025 und es gebührt diesem ziemlich dieselbe bewegte Anschaulichkeit als pwa_325.026 dem Stil des Dramas. Wir haben ja auch vorher von Quintilian vernommen: pwa_325.027 multum Plato supra prosam orationem et quam pedestrem pwa_325.028 Graeci vocant surgit, Plato in seinen Dialogen. Deshalb kann auch pwa_325.029 vom Stil der lehrhaften Dialoge und Briefe wiederum erst bei der pwa_325.030 zweiten Gattung, bei der anschaulichen Darstellungsweise die Rede sein.
pwa_325.031 Was bleibt uns nun noch nach diesen mehrfachen und nicht pwa_325.032 unbedeutenden Ausschliessungen übrig? Der Character der Prosa ist pwa_325.033 das Lehrhafte, die Mittheilung von Wahrheiten, die der Verstand sich pwa_325.034 angeeignet hat, zu dem Behufe, dass sie auch dem Verstande des pwa_325.035 Lesers oder Hörers eigen werden. Diese Wahrheiten können nun pwa_325.036 entweder in dem Gebiete der sinnlichen oder in dem der geistigen pwa_325.037 Wirklichkeit liegen; das Merkmal der sinnlichen Wirklichkeit ist die pwa_325.038 Bewegung, der geistigen das Verharren, der sinnlichen die Vergänglichkeit, pwa_325.039 der geistigen die Stätigkeit. Bemächtigt sich nun der Verstand pwa_325.040 durch die Erfahrung solcher Wahrheiten, die der bewegten sinnlichen pwa_325.041 Wirklichkeit angehören, und wird das so Gewonnene durch die
pwa_325.001 Form. Zwar ist nicht in Abrede zu stellen, und wir haben das an seinem pwa_325.002 Orte (S. 250) dargethan, dass diese äussere Form des Romans mannigfach pwa_325.003 schon auf den Inhalt zurückwirke: wir haben gesehn, wie schon pwa_325.004 da dem Verfasser eines Romans bloss eben der prosaischen Form pwa_325.005 wegen Manches gestattet wird, was dem eigentlichen Epiker verwehrt pwa_325.006 ist. Aber natürlich noch viel bedeutender ist der Einfluss, den umgekehrt pwa_325.007 das Wesen, den der dichterische Inhalt und Zweck auf die äussere Form pwa_325.008 ausüben, und so hat der Romanschreiber rücksichtlich seiner Darstellungsweise pwa_325.009 viel vor den übrigen Prosaikern voraus. Nur die Forderungen pwa_325.010 des Wohlklangs, des poetischen Rhythmus fallen weg, sonst aber pwa_325.011 liegt der Stil des Romans dicht neben dem des Epos und ist gleich pwa_325.012 diesem durch die schaffende und wiederschaffende Einbildungskraft pwa_325.013 bedingt. Wir werden also vom Stil des Romans erst bei der zweiten pwa_325.014 Hauptgattung, bei der anschaulichen Darstellungsweise der Einbildungskraft pwa_325.015 zu handeln haben. Auszuschliessen sind endlich, und pwa_325.016 auch wiederum nur als Zwitterarten, die lehrhaften Briefe und Gespräche, pwa_325.017 diejenigen lehrhaften Darstellungen, die zwar auch, ihrem didactischen pwa_325.018 Zwecke gemäss, die Form der Prosa wählen, die aber, was die ganze pwa_325.019 sonstige Gestaltung des Stoffes betrifft, sich an die dramatische Poesie pwa_325.020 anlehnen, in denen der verständige Inhalt nicht einfach abgehandelt, pwa_325.021 sondern mit der Lebendigkeit eines dramatischen Zwiegespräches entwickelt pwa_325.022 wird. Hier liegt allerdings das Poetische weit mehr auf Seiten pwa_325.023 der äussern Gestalt als des eigentlichen innern Gehaltes, dennoch pwa_325.024 kann und darf die Einwirkung davon auf den Stil nicht ausbleiben, pwa_325.025 und es gebührt diesem ziemlich dieselbe bewegte Anschaulichkeit als pwa_325.026 dem Stil des Dramas. Wir haben ja auch vorher von Quintilian vernommen: pwa_325.027 multum Plato supra prosam orationem et quam pedestrem pwa_325.028 Graeci vocant surgit, Plato in seinen Dialogen. Deshalb kann auch pwa_325.029 vom Stil der lehrhaften Dialoge und Briefe wiederum erst bei der pwa_325.030 zweiten Gattung, bei der anschaulichen Darstellungsweise die Rede sein.
pwa_325.031 Was bleibt uns nun noch nach diesen mehrfachen und nicht pwa_325.032 unbedeutenden Ausschliessungen übrig? Der Character der Prosa ist pwa_325.033 das Lehrhafte, die Mittheilung von Wahrheiten, die der Verstand sich pwa_325.034 angeeignet hat, zu dem Behufe, dass sie auch dem Verstande des pwa_325.035 Lesers oder Hörers eigen werden. Diese Wahrheiten können nun pwa_325.036 entweder in dem Gebiete der sinnlichen oder in dem der geistigen pwa_325.037 Wirklichkeit liegen; das Merkmal der sinnlichen Wirklichkeit ist die pwa_325.038 Bewegung, der geistigen das Verharren, der sinnlichen die Vergänglichkeit, pwa_325.039 der geistigen die Stätigkeit. Bemächtigt sich nun der Verstand pwa_325.040 durch die Erfahrung solcher Wahrheiten, die der bewegten sinnlichen pwa_325.041 Wirklichkeit angehören, und wird das so Gewonnene durch die
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schon auf den Inhalt zurückwirke: wir haben gesehn, wie schon pwa_325.004
da dem Verfasser eines Romans bloss eben der prosaischen Form pwa_325.005
wegen Manches gestattet wird, was dem eigentlichen Epiker verwehrt pwa_325.006
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viel vor den übrigen Prosaikern voraus. Nur die Forderungen pwa_325.010
des Wohlklangs, des poetischen Rhythmus fallen weg, sonst aber pwa_325.011
liegt der Stil des Romans dicht neben dem des Epos und ist gleich pwa_325.012
diesem durch die schaffende und wiederschaffende Einbildungskraft pwa_325.013
bedingt. Wir werden also vom Stil des Romans erst bei der zweiten pwa_325.014
Hauptgattung, bei der anschaulichen Darstellungsweise der Einbildungskraft pwa_325.015
zu handeln haben. Auszuschliessen sind endlich, und pwa_325.016
auch wiederum nur als Zwitterarten, die lehrhaften Briefe und Gespräche, pwa_325.017
diejenigen lehrhaften Darstellungen, die zwar auch, ihrem didactischen pwa_325.018
Zwecke gemäss, die Form der Prosa wählen, die aber, was die ganze pwa_325.019
sonstige Gestaltung des Stoffes betrifft, sich an die dramatische Poesie pwa_325.020
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sondern mit der Lebendigkeit eines dramatischen Zwiegespräches entwickelt pwa_325.022
wird. Hier liegt allerdings das Poetische weit mehr auf Seiten pwa_325.023
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vom Stil der lehrhaften Dialoge und Briefe wiederum erst bei der pwa_325.030
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Was bleibt uns nun noch nach diesen mehrfachen und nicht pwa_325.032
unbedeutenden Ausschliessungen übrig? Der Character der Prosa ist pwa_325.033
das Lehrhafte, die Mittheilung von Wahrheiten, die der Verstand sich pwa_325.034
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Lesers oder Hörers eigen werden. Diese Wahrheiten können nun pwa_325.036
entweder in dem Gebiete der sinnlichen oder in dem der geistigen pwa_325.037
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/343>, abgerufen am 23.11.2024.
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