pwa_131.001 Einzelnen, sondern vom Standpuncte Aller, die das gemeinsame Staats- pwa_131.002 oder Parteiinteresse zusammenhielt. Ein Beispiel hiefür bieten die pwa_131.003 kriegerischen Elegien des Tyrtäus, eines Dichters von ionischem pwa_131.004 Blute. Nach und nach jedoch machte sich wie im Leben und sonst pwa_131.005 in der Kunst auch in dieser Dichtungsart das Individuum immer geltender, pwa_131.006 sie ward immer weniger national, immer mehr subjectiv, sie pwa_131.007 wandte sich immer mehr von den allgemeinen Interessen ab und zu pwa_131.008 den persönlich besonderen des Dichters hin und ward somit immer pwa_131.009 lyrischer. Ereignisse aus dem beschränkten Leben des Dichters selbst pwa_131.010 und diese allein wurden es nun, die ihn zu lyrischen Anschauungen erregten, pwa_131.011 seiner Freude und seiner Trauer gab er Worte. Jetzt erst entstanden pwa_131.012 auch Elegien in dem engern Sinne, welchen man diesem pwa_131.013 Worte beizulegen pflegt, Ergüsse wehmüthiger Empfindungen über pwa_131.014 irgend ein dem Dichter schmerzhaftes Ereigniss. Von dieser Art sind pwa_131.015 die Elegien des Mimnermus. Aber keineswegs blieb die Elegie auf pwa_131.016 solche Empfindungen eingeschränkt. Zwar nahm sie von jetzt an eine pwa_131.017 beinahe ausschliessliche Wendung auf die Liebe: aber innerhalb dieses pwa_131.018 Gebietes gab es keine weitere Begrenzung mehr: die Lust und das pwa_131.019 Glück der Liebe wurden in gleichem Masse der factische Grund elegischer pwa_131.020 Dichtungen als das Unglück und der Schmerz. In dieser Raum pwa_131.021 gebenden Einschränkung haben dann auch die Römer die Elegie von pwa_131.022 den Griechen übernommen. Wir endlich, die wir die ganze Dichtungsart pwa_131.023 überhaupt erst durch Nachahmung der Alten uns angeeignet pwa_131.024 haben, können auch die factische Grundlage nehmen, woher wir wollen: pwa_131.025 es steht uns frei, in der politischen Weise des Kallinus zu dichten, in pwa_131.026 der schwermüthigen des Mimnermus und in der leichteren des Ovid.
pwa_131.027 Nachdem wir die antike Elegie nach mehreren Seiten hin in pwa_131.028 verschiedenen Beziehungen und zuletzt auch in Betreff ihrer geschichtlichen pwa_131.029 Entwickelung betrachtet haben, sind jetzt noch einige Erörterungen pwa_131.030 über das Wesen derselben im Ganzen und Allgemeinen hinzuzufügen.
pwa_131.031
pwa_131.032 Jede Elegie bedarf also einer Anschauung aus der äusseren Wirklichkeit pwa_131.033 als des epischen Objectes, das der Dichter aus seinem Gemüthe pwa_131.034 heraus subjectiv betrachtet, und das so dessen Empfindungen in Bewegung pwa_131.035 und Erregung bringt: indem nun diese Empfindungen mit der pwa_131.036 vorwärts schreitenden Betrachtung des epischen Elementes selber pwa_131.037 vorwärts schreiten, entsteht die Elegie. Jene sein Gemüth anregende pwa_131.038 Wirklichkeit darf aber niemals ein ganzer längerer Verlauf von vergangenen pwa_131.039 geschichtlichen Thatsachen sein; solchen gegenüber ist nicht pwa_131.040 wohl eine anhaltende gemüthliche Beziehung möglich, bei welcher der pwa_131.041 Dichter seine individuelle Selbständigkeit bewahren könnte: das haben
pwa_131.001 Einzelnen, sondern vom Standpuncte Aller, die das gemeinsame Staats- pwa_131.002 oder Parteiinteresse zusammenhielt. Ein Beispiel hiefür bieten die pwa_131.003 kriegerischen Elegien des Tyrtäus, eines Dichters von ionischem pwa_131.004 Blute. Nach und nach jedoch machte sich wie im Leben und sonst pwa_131.005 in der Kunst auch in dieser Dichtungsart das Individuum immer geltender, pwa_131.006 sie ward immer weniger national, immer mehr subjectiv, sie pwa_131.007 wandte sich immer mehr von den allgemeinen Interessen ab und zu pwa_131.008 den persönlich besonderen des Dichters hin und ward somit immer pwa_131.009 lyrischer. Ereignisse aus dem beschränkten Leben des Dichters selbst pwa_131.010 und diese allein wurden es nun, die ihn zu lyrischen Anschauungen erregten, pwa_131.011 seiner Freude und seiner Trauer gab er Worte. Jetzt erst entstanden pwa_131.012 auch Elegien in dem engern Sinne, welchen man diesem pwa_131.013 Worte beizulegen pflegt, Ergüsse wehmüthiger Empfindungen über pwa_131.014 irgend ein dem Dichter schmerzhaftes Ereigniss. Von dieser Art sind pwa_131.015 die Elegien des Mimnermus. Aber keineswegs blieb die Elegie auf pwa_131.016 solche Empfindungen eingeschränkt. Zwar nahm sie von jetzt an eine pwa_131.017 beinahe ausschliessliche Wendung auf die Liebe: aber innerhalb dieses pwa_131.018 Gebietes gab es keine weitere Begrenzung mehr: die Lust und das pwa_131.019 Glück der Liebe wurden in gleichem Masse der factische Grund elegischer pwa_131.020 Dichtungen als das Unglück und der Schmerz. In dieser Raum pwa_131.021 gebenden Einschränkung haben dann auch die Römer die Elegie von pwa_131.022 den Griechen übernommen. Wir endlich, die wir die ganze Dichtungsart pwa_131.023 überhaupt erst durch Nachahmung der Alten uns angeeignet pwa_131.024 haben, können auch die factische Grundlage nehmen, woher wir wollen: pwa_131.025 es steht uns frei, in der politischen Weise des Kallinus zu dichten, in pwa_131.026 der schwermüthigen des Mimnermus und in der leichteren des Ovid.
pwa_131.027 Nachdem wir die antike Elegie nach mehreren Seiten hin in pwa_131.028 verschiedenen Beziehungen und zuletzt auch in Betreff ihrer geschichtlichen pwa_131.029 Entwickelung betrachtet haben, sind jetzt noch einige Erörterungen pwa_131.030 über das Wesen derselben im Ganzen und Allgemeinen hinzuzufügen.
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pwa_131.032 Jede Elegie bedarf also einer Anschauung aus der äusseren Wirklichkeit pwa_131.033 als des epischen Objectes, das der Dichter aus seinem Gemüthe pwa_131.034 heraus subjectiv betrachtet, und das so dessen Empfindungen in Bewegung pwa_131.035 und Erregung bringt: indem nun diese Empfindungen mit der pwa_131.036 vorwärts schreitenden Betrachtung des epischen Elementes selber pwa_131.037 vorwärts schreiten, entsteht die Elegie. Jene sein Gemüth anregende pwa_131.038 Wirklichkeit darf aber niemals ein ganzer längerer Verlauf von vergangenen pwa_131.039 geschichtlichen Thatsachen sein; solchen gegenüber ist nicht pwa_131.040 wohl eine anhaltende gemüthliche Beziehung möglich, bei welcher der pwa_131.041 Dichter seine individuelle Selbständigkeit bewahren könnte: das haben
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/149>, abgerufen am 22.11.2024.
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