pwa_104.001 sich bei uns die Nibelungen zu Gudrun, die auch sonst in mannigfachen pwa_104.002 Beziehungen neben einander stehn wie Ilias und Odyssee: pwa_104.003 der strengere Heldenschritt der Nibelungen mag sich bei solchen pwa_104.004 Aeusserlichkeiten nicht aufhalten, während in der Gudrun immer und pwa_104.005 immer wieder idyllische Züge, oft von der rührendsten Art, wiederkehren. pwa_104.006 Und so blieb das Idyll noch lange nur im rein epischen pwa_104.007 Epos enthalten als gelegentlicher Schmuck. Grade wie aber in der pwa_104.008 Malerei die Nebenfiguren und das zierliche Beiwerk, womit die Maler pwa_104.009 schon frühzeitig ihre historischen Hauptfiguren umgaben, sich zuletzt pwa_104.010 von diesen losgerissen haben, um als Genrebild und als Stilleben pwa_104.011 selber eine Tafel zu füllen, so wurde auch die idyllische Poesie eine pwa_104.012 selbständige Dichtart. Als solche nun hält sie von ihrem epischen pwa_104.013 Ursprunge nur noch so viel fest, als nothdürftig erforderlich ist, um pwa_104.014 die Beschreibung zu tragen; die Beschreibung aber dehnt sich, seit pwa_104.015 sie einmal die Hauptsache geworden, nun erst recht aus, zu einer pwa_104.016 Ausführlichkeit, wie sie innerhalb des eigentlichen Epos niemals wäre pwa_104.017 gestattet gewesen. Das Idyll gehört mit zu den jüngsten Absplitterungen pwa_104.018 der Poesie: bei den Griechen fällt seine Entwickelung erst in pwa_104.019 die alexandrinische Zeit. Der innere Zusammenhang aber mit dem pwa_104.020 Epos giebt sich schon durch die äussere Form kund, indem das Idyll pwa_104.021 sich desselben Versmasses bedient wie das Epos, des Hexameters. pwa_104.022 Um der Natürlichkeit willen dichteten Theocrit, Bion und Moschus pwa_104.023 ihre Idyllen in dem dorischen Dialecte Siciliens, auch zeigt sich bei pwa_104.024 ihnen, wie in den altepischen Liedern, eine Vorliebe für den Dialog; pwa_104.025 auch Virgil macht davon in seinen Nachahmungen griechischer Idyllen pwa_104.026 gerne Gebrauch. In der deutschen Litteratur hat es, um zu dem pwa_104.027 Idyll zu gelangen, vieler wiederholter und immer verfehlter Versuche pwa_104.028 bedurft; es vergieng einige Zeit, eh man nur darauf verfiel, die pwa_104.029 Idyllen in Versen abzufassen. Zuerst finden wir die metrische Form pwa_104.030 bei J. H. Voss, der sich in seinen Idyllen am liebsten der niederdeutschen pwa_104.031 Mundart bediente (LB. 2, 895); ihm folgten in Oberdeutschland pwa_104.032 J. M. Usteri mit Idyllen in Züricher Mundart (LB. 2, 1239) und pwa_104.033 J. Pet. Hebel mit solchen in dem alemannischen Dialecte des Wiesenthales. pwa_104.034 Frühere Dichter, wie Martin Opitz und Salomon Gessner, begnügten pwa_104.035 sich mit der prosaischen Form, sei es, dass sie von der halbprosaischen pwa_104.036 Natur dieser Gattung unbewusst dazu genöthigt wurden, pwa_104.037 sei es, dass sie damit grössere Natürlichkeit und ein treueres Abbild pwa_104.038 des einfachen, ungekünstelten Lebens zu erlangen meinten (LB. 3, 1, 641; pwa_104.039 3, 2, 165). Letzteres mag für den Maler Müller, den bedeutendsten pwa_104.040 Idylliker, den wir besitzen, der entscheidende Grund gewesen sein pwa_104.041 (LB. 3, 2, 771).
pwa_104.001 sich bei uns die Nibelungen zu Gudrun, die auch sonst in mannigfachen pwa_104.002 Beziehungen neben einander stehn wie Ilias und Odyssee: pwa_104.003 der strengere Heldenschritt der Nibelungen mag sich bei solchen pwa_104.004 Aeusserlichkeiten nicht aufhalten, während in der Gudrun immer und pwa_104.005 immer wieder idyllische Züge, oft von der rührendsten Art, wiederkehren. pwa_104.006 Und so blieb das Idyll noch lange nur im rein epischen pwa_104.007 Epos enthalten als gelegentlicher Schmuck. Grade wie aber in der pwa_104.008 Malerei die Nebenfiguren und das zierliche Beiwerk, womit die Maler pwa_104.009 schon frühzeitig ihre historischen Hauptfiguren umgaben, sich zuletzt pwa_104.010 von diesen losgerissen haben, um als Genrebild und als Stilleben pwa_104.011 selber eine Tafel zu füllen, so wurde auch die idyllische Poesie eine pwa_104.012 selbständige Dichtart. Als solche nun hält sie von ihrem epischen pwa_104.013 Ursprunge nur noch so viel fest, als nothdürftig erforderlich ist, um pwa_104.014 die Beschreibung zu tragen; die Beschreibung aber dehnt sich, seit pwa_104.015 sie einmal die Hauptsache geworden, nun erst recht aus, zu einer pwa_104.016 Ausführlichkeit, wie sie innerhalb des eigentlichen Epos niemals wäre pwa_104.017 gestattet gewesen. Das Idyll gehört mit zu den jüngsten Absplitterungen pwa_104.018 der Poesie: bei den Griechen fällt seine Entwickelung erst in pwa_104.019 die alexandrinische Zeit. Der innere Zusammenhang aber mit dem pwa_104.020 Epos giebt sich schon durch die äussere Form kund, indem das Idyll pwa_104.021 sich desselben Versmasses bedient wie das Epos, des Hexameters. pwa_104.022 Um der Natürlichkeit willen dichteten Theocrit, Bion und Moschus pwa_104.023 ihre Idyllen in dem dorischen Dialecte Siciliens, auch zeigt sich bei pwa_104.024 ihnen, wie in den altepischen Liedern, eine Vorliebe für den Dialog; pwa_104.025 auch Virgil macht davon in seinen Nachahmungen griechischer Idyllen pwa_104.026 gerne Gebrauch. In der deutschen Litteratur hat es, um zu dem pwa_104.027 Idyll zu gelangen, vieler wiederholter und immer verfehlter Versuche pwa_104.028 bedurft; es vergieng einige Zeit, eh man nur darauf verfiel, die pwa_104.029 Idyllen in Versen abzufassen. Zuerst finden wir die metrische Form pwa_104.030 bei J. H. Voss, der sich in seinen Idyllen am liebsten der niederdeutschen pwa_104.031 Mundart bediente (LB. 2, 895); ihm folgten in Oberdeutschland pwa_104.032 J. M. Usteri mit Idyllen in Züricher Mundart (LB. 2, 1239) und pwa_104.033 J. Pet. Hebel mit solchen in dem alemannischen Dialecte des Wiesenthales. pwa_104.034 Frühere Dichter, wie Martin Opitz und Salomon Gessner, begnügten pwa_104.035 sich mit der prosaischen Form, sei es, dass sie von der halbprosaischen pwa_104.036 Natur dieser Gattung unbewusst dazu genöthigt wurden, pwa_104.037 sei es, dass sie damit grössere Natürlichkeit und ein treueres Abbild pwa_104.038 des einfachen, ungekünstelten Lebens zu erlangen meinten (LB. 3, 1, 641; pwa_104.039 3, 2, 165). Letzteres mag für den Maler Müller, den bedeutendsten pwa_104.040 Idylliker, den wir besitzen, der entscheidende Grund gewesen sein pwa_104.041 (LB. 3, 2, 771).
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Wackernagel, Wilhelm: Poetik, Rhetorik und Stilistik: Academische Vorlesungen. Hrsg. v. L. Sieber. Halle, 1873, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackernagel_poetik_1873/122>, abgerufen am 25.11.2024.
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