Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bey Personen, welche zum Mahlen sitzen, sich gewöhnlich eine trockene und leere Ernsthaftigkeit auf ihrem Gesichte einzufinden pflegt, und daß eine solche Mie¬ ne, wenn sie im Gemählde in bleibenden Zügen festgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finsteres Ansehen gewinnt. Dage¬ gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Musik, wie sie sich in den Mienen des Ge¬ sichts abspiegelt, wie sie alle Züge auflöst, und in ein liebliches, reges Spiel setzt. So trug er die sprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bey Ausübung der einen Kunst sich der an¬ dern so glücklich als Gehülfinn zu bedienen, daß diese auf jene ihren Wiederschein warf.
Wie viele geschickte Mahler aus des Leo¬ nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬ sehen und allgemein verehrt er in seinem Le¬
F 2
Leonardo immer bewundert habe. Er wußte nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬ ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬ gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬ ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt, und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes lebendig auf die Tafel über, und wußte bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬ dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen, daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf.
Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬ nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬ ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬
F 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0091"n="83"/>
Leonardo immer bewundert habe. Er wußte<lb/>
nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum<lb/>
Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene<lb/>
und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte<lb/>
einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬<lb/>
ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden<lb/>
Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder<lb/>
wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬<lb/>
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen<lb/>
Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬<lb/>ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt,<lb/>
und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So<lb/>
trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes<lb/><hirendition="#g">lebendig</hi> auf die Tafel über, und wußte<lb/>
bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬<lb/>
dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen,<lb/>
daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf.</p><lb/><p>Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬<lb/>
nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬<lb/>ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 2<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[83/0091]
Leonardo immer bewundert habe. Er wußte
nur zu wohl, daß bey Perſonen, welche zum
Mahlen ſitzen, ſich gewöhnlich eine trockene
und leere Ernſthaftigkeit auf ihrem Geſichte
einzufinden pflegt, und daß eine ſolche Mie¬
ne, wenn ſie im Gemählde in bleibenden
Zügen feſtgehalten wird, ein ungefälliges oder
wohl gar finſteres Anſehen gewinnt. Dage¬
gen kannte er die Wirkung einer fröhlichen
Muſik, wie ſie ſich in den Mienen des Ge¬
ſichts abſpiegelt, wie ſie alle Züge auflöſt,
und in ein liebliches, reges Spiel ſetzt. So
trug er die ſprechenden Reize des Antlitzes
lebendig auf die Tafel über, und wußte
bey Ausübung der einen Kunſt ſich der an¬
dern ſo glücklich als Gehülfinn zu bedienen,
daß dieſe auf jene ihren Wiederſchein warf.
Wie viele geſchickte Mahler aus des Leo¬
nardo Schule ausgegangen, und wie ange¬
ſehen und allgemein verehrt er in ſeinem Le¬
F 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/91>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.