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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

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Die Scenen, die am Todbette seines Va¬
ters vorfielen, will ich nicht schildern. Man
glaube nicht, daß es zu weitläuftigen und
wehmüthigen gegenseitigen Erörterungen kam;
sie verstanden sich ohne viele Worte sehr in¬
niglich; -- wie denn darin überhaupt die
Natur unserer recht zu spotten scheinet, daß
die Menschen sich erst in solchen kritischen
letzten Augenblicken recht verstehen. Dennoch
ward Joseph von Allem bis ins Innerste
zerrissen. Seine Geschwister waren im be¬
trübtesten Zustande; zwey davon hatten
schlecht gelebt, und waren entlaufen; die äl¬
teste, der er immer Geld schickte, hatte das
meiste verthan, und den Vater darben las¬
sen; diesen sah er endlich vor seinen Augen
elendiglich sterben: -- ach! es war entsetzlich,
wie sein armes Herz durch und durch ver¬
wundet und zerstochen ward. Er sorgte für

Die Scenen, die am Todbette ſeines Va¬
ters vorfielen, will ich nicht ſchildern. Man
glaube nicht, daß es zu weitläuftigen und
wehmüthigen gegenſeitigen Erörterungen kam;
ſie verſtanden ſich ohne viele Worte ſehr in¬
niglich; — wie denn darin überhaupt die
Natur unſerer recht zu ſpotten ſcheinet, daß
die Menſchen ſich erſt in ſolchen kritiſchen
letzten Augenblicken recht verſtehen. Dennoch
ward Joſeph von Allem bis ins Innerſte
zerriſſen. Seine Geſchwiſter waren im be¬
trübteſten Zuſtande; zwey davon hatten
ſchlecht gelebt, und waren entlaufen; die äl¬
teſte, der er immer Geld ſchickte, hatte das
meiſte verthan, und den Vater darben laſ¬
ſen; dieſen ſah er endlich vor ſeinen Augen
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[270/0278] Die Scenen, die am Todbette ſeines Va¬ ters vorfielen, will ich nicht ſchildern. Man glaube nicht, daß es zu weitläuftigen und wehmüthigen gegenſeitigen Erörterungen kam; ſie verſtanden ſich ohne viele Worte ſehr in¬ niglich; — wie denn darin überhaupt die Natur unſerer recht zu ſpotten ſcheinet, daß die Menſchen ſich erſt in ſolchen kritiſchen letzten Augenblicken recht verſtehen. Dennoch ward Joſeph von Allem bis ins Innerſte zerriſſen. Seine Geſchwiſter waren im be¬ trübteſten Zuſtande; zwey davon hatten ſchlecht gelebt, und waren entlaufen; die äl¬ teſte, der er immer Geld ſchickte, hatte das meiſte verthan, und den Vater darben laſ¬ ſen; dieſen ſah er endlich vor ſeinen Augen elendiglich ſterben: — ach! es war entſetzlich, wie ſein armes Herz durch und durch ver¬ wundet und zerſtochen ward. Er ſorgte für

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Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/278>, abgerufen am 24.11.2024.