Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

sammen. Dieser hatte wohl gemerkt, daß
Joseph sich gar nicht mehr mit Ernst und
Eifer in seiner Wissenschaft anlegen wollte,
hatte ihn auch schon halb aufgegeben, und
sich in seinen Mißmuth, der mit zunehmen¬
dem Alter immer stärker ward, zurückgezo¬
gen. Er gab sich wenig mehr mit dem Kna¬
ben ab. Joseph indessen verlor darum sein
kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit
seiner Neigung, und er konnte immer nicht
das Herz fassen, in des Vaters Gegenwart
über die Lippen zu bringen, was er ihm zu
entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte
er sich, alles gegen einander abzuwägen,
aber er konnte und konnte aus dem entsetz¬
lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬
kommen, all' sein inbrünstiges Beten wollte
nichts fruchten: das stieß ihm beynahe das
Herz ab. Von dem über alles trübseligen
und peinlichen Zustande, worin er sich da¬

ſammen. Dieſer hatte wohl gemerkt, daß
Joſeph ſich gar nicht mehr mit Ernſt und
Eifer in ſeiner Wiſſenſchaft anlegen wollte,
hatte ihn auch ſchon halb aufgegeben, und
ſich in ſeinen Mißmuth, der mit zunehmen¬
dem Alter immer ſtärker ward, zurückgezo¬
gen. Er gab ſich wenig mehr mit dem Kna¬
ben ab. Joſeph indeſſen verlor darum ſein
kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit
ſeiner Neigung, und er konnte immer nicht
das Herz faſſen, in des Vaters Gegenwart
über die Lippen zu bringen, was er ihm zu
entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte
er ſich, alles gegen einander abzuwägen,
aber er konnte und konnte aus dem entſetz¬
lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬
kommen, all' ſein inbrünſtiges Beten wollte
nichts fruchten: das ſtieß ihm beynahe das
Herz ab. Von dem über alles trübſeligen
und peinlichen Zuſtande, worin er ſich da¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0259" n="251"/>
&#x017F;ammen. Die&#x017F;er hatte wohl gemerkt, daß<lb/>
Jo&#x017F;eph &#x017F;ich gar nicht mehr mit Ern&#x017F;t und<lb/>
Eifer in &#x017F;einer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft anlegen wollte,<lb/>
hatte ihn auch &#x017F;chon halb aufgegeben, und<lb/>
&#x017F;ich in &#x017F;einen Mißmuth, der mit zunehmen¬<lb/>
dem Alter immer &#x017F;tärker ward, zurückgezo¬<lb/>
gen. Er gab &#x017F;ich wenig mehr mit dem Kna¬<lb/>
ben ab. Jo&#x017F;eph inde&#x017F;&#x017F;en verlor darum &#x017F;ein<lb/>
kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit<lb/>
&#x017F;einer Neigung, und er konnte immer nicht<lb/>
das Herz fa&#x017F;&#x017F;en, in des Vaters Gegenwart<lb/>
über die Lippen zu bringen, was er ihm zu<lb/>
entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte<lb/>
er &#x017F;ich, alles gegen einander abzuwägen,<lb/>
aber er konnte und konnte aus dem ent&#x017F;etz¬<lb/>
lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬<lb/>
kommen, all' &#x017F;ein inbrün&#x017F;tiges Beten wollte<lb/>
nichts fruchten: das &#x017F;tieß ihm beynahe das<lb/>
Herz ab. Von dem über alles trüb&#x017F;eligen<lb/>
und peinlichen Zu&#x017F;tande, worin er &#x017F;ich da¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0259] ſammen. Dieſer hatte wohl gemerkt, daß Joſeph ſich gar nicht mehr mit Ernſt und Eifer in ſeiner Wiſſenſchaft anlegen wollte, hatte ihn auch ſchon halb aufgegeben, und ſich in ſeinen Mißmuth, der mit zunehmen¬ dem Alter immer ſtärker ward, zurückgezo¬ gen. Er gab ſich wenig mehr mit dem Kna¬ ben ab. Joſeph indeſſen verlor darum ſein kindliches Gefühl nicht; es kämpfte ewig mit ſeiner Neigung, und er konnte immer nicht das Herz faſſen, in des Vaters Gegenwart über die Lippen zu bringen, was er ihm zu entdecken hatte. Ganze Tage lang peinigte er ſich, alles gegen einander abzuwägen, aber er konnte und konnte aus dem entſetz¬ lichen Abgrunde von Zweifeln nicht heraus¬ kommen, all' ſein inbrünſtiges Beten wollte nichts fruchten: das ſtieß ihm beynahe das Herz ab. Von dem über alles trübſeligen und peinlichen Zuſtande, worin er ſich da¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/259
Zitationshilfe: Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/259>, abgerufen am 24.11.2024.