sondern auch im inneren Geiste, dieses ernst¬ hafte, grade und kräftige Wesen des deut¬ schen Charakters treu und deutlich einge¬ prägt. In unsern Zeiten ist dieser festbe¬ stimmte deutsche Charakter, und eben so die deutsche Kunst, verloren gegangen. Der junge Deutsche lernt die Sprachen aller Völ¬ ker Europa's, und soll prüfend und richtend aus dem Geiste aller Nationen Nahrung ziehen; -- und der Schüler der Kunst wird belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und die Farben der venezianischen Schule, und die Wahrheit der Niederländer, und das Zauberlicht des Correggio, alles zusammen nachahmen, und auf diesem Wege zur al¬ les übertreffenden Vollkommenheit gelangen solle. -- O traurige Afterweisheit! O blin¬ der Glaube des Zeitalters, daß man jede Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche aller großen Künstler der Erde, zusammen¬
ſondern auch im inneren Geiſte, dieſes ernſt¬ hafte, grade und kräftige Weſen des deut¬ ſchen Charakters treu und deutlich einge¬ prägt. In unſern Zeiten iſt dieſer feſtbe¬ ſtimmte deutſche Charakter, und eben ſo die deutſche Kunſt, verloren gegangen. Der junge Deutſche lernt die Sprachen aller Völ¬ ker Europa's, und ſoll prüfend und richtend aus dem Geiſte aller Nationen Nahrung ziehen; — und der Schüler der Kunſt wird belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und die Farben der venezianiſchen Schule, und die Wahrheit der Niederländer, und das Zauberlicht des Correggio, alles zuſammen nachahmen, und auf dieſem Wege zur al¬ les übertreffenden Vollkommenheit gelangen ſolle. — O traurige Afterweisheit! O blin¬ der Glaube des Zeitalters, daß man jede Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche aller großen Künſtler der Erde, zuſammen¬
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ſondern auch im inneren Geiſte, dieſes ernſt¬
hafte, grade und kräftige Weſen des deut¬
ſchen Charakters treu und deutlich einge¬
prägt. In unſern Zeiten iſt dieſer feſtbe¬
ſtimmte deutſche Charakter, und eben ſo die
deutſche Kunſt, verloren gegangen. Der
junge Deutſche lernt die Sprachen aller Völ¬
ker Europa's, und ſoll prüfend und richtend
aus dem Geiſte aller Nationen Nahrung
ziehen; — und der Schüler der Kunſt wird
belehrt, wie er den Ausdruck Raphaels, und
die Farben der venezianiſchen Schule, und
die Wahrheit der Niederländer, und das
Zauberlicht des Correggio, alles zuſammen
nachahmen, und auf dieſem Wege zur al¬
les übertreffenden Vollkommenheit gelangen
ſolle. — O traurige Afterweisheit! O blin¬
der Glaube des Zeitalters, daß man jede
Art der Schönheit, und jedes Vorzügliche
aller großen Künſtler der Erde, zuſammen¬
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Wackenroder, Wilhelm Heinrich; Tieck, Ludwig: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Berlin, 1797, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wackenroder_herzensergiessungen_1797/130>, abgerufen am 24.11.2024.
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