Und die Freier verließen ihr Spiel, und sezten sich nieder. Aber Eupeithäs Sohn Antinoos sprach zur Versammlung, 660 Glühend vor Zorn; ihm schwoll von schwarzer strömender Galle Hoch die Brust, und den Augen entfunkelte stralendes Feuer:
Wahrlich ein großes Werk hat Tälemachos kühnlich vollendet! Diese Reise! Wir dachten, er würde sie nimmer vollenden; Und troz allen entwischt er, der junge Knabe, wie spielend, 665 Rüstet ein Schiff, und wählt sich die tapfersten Männer im Volke! Der verspricht uns hinfort erst Unheil! Aber ihm tilge Zeus die mutige Kraft, bevor er uns Schaden bereitet! Auf! und gebt mir ein rüstiges Schiff und zwanzig Gefährten, Daß ich dem Reisenden selbst auflaure, wann er zurückkehrt, 670 In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos; Daß die Fahrt nach dem Vater ein jämmerlich Ende gewinne!
Also sprach er; sie lobten ihn all', und reizten ihn stärker, Standen dann auf, und gingen ins Haus des edlen Odüßeus.
Pänelopeia blieb nicht lang' unkundig des Rathes, 675 Welchen die Freier jezt in tückischer Seele beschloßen. Denn ihr verkündete Medon, der Herold, welcher den Rathschluß Außer dem Hause belauscht, als jene sich drinnen besprachen. Schnell durcheilt' er die Burg, und brachte der Königin Botschaft. Als er die Schwelle betrat, da fragt' ihn Pänelopeia: 680
Herold, sage, warum dich die stolzen Freier gesendet! Etwa daß du den Mägden des hohen Odüßeus befehlest, Von der Arbeit zu ruhn, und ihnen das Mahl zu bereiten? Möchten die trozigen Freier sich niemals wieder versammeln, Sondern ihr leztes Mahl, ihr leztes! heute genießen! 685 Die ihr hier täglich in Schaaren das große Vermögen hinabschlingt,
Oduͤßee.
Und die Freier verließen ihr Spiel, und ſezten ſich nieder. Aber Eupeithaͤs Sohn Antinoos ſprach zur Verſammlung, 660 Gluͤhend vor Zorn; ihm ſchwoll von ſchwarzer ſtroͤmender Galle Hoch die Bruſt, und den Augen entfunkelte ſtralendes Feuer:
Wahrlich ein großes Werk hat Taͤlemachos kuͤhnlich vollendet! Dieſe Reiſe! Wir dachten, er wuͤrde ſie nimmer vollenden; Und troz allen entwiſcht er, der junge Knabe, wie ſpielend, 665 Ruͤſtet ein Schiff, und waͤhlt ſich die tapferſten Maͤnner im Volke! Der verſpricht uns hinfort erſt Unheil! Aber ihm tilge Zeus die mutige Kraft, bevor er uns Schaden bereitet! Auf! und gebt mir ein ruͤſtiges Schiff und zwanzig Gefaͤhrten, Daß ich dem Reiſenden ſelbſt auflaure, wann er zuruͤckkehrt, 670 In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos; Daß die Fahrt nach dem Vater ein jaͤmmerlich Ende gewinne!
Alſo ſprach er; ſie lobten ihn all', und reizten ihn ſtaͤrker, Standen dann auf, und gingen ins Haus des edlen Oduͤßeus.
Paͤnelopeia blieb nicht lang' unkundig des Rathes, 675 Welchen die Freier jezt in tuͤckiſcher Seele beſchloßen. Denn ihr verkuͤndete Medon, der Herold, welcher den Rathſchluß Außer dem Hauſe belauſcht, als jene ſich drinnen beſprachen. Schnell durcheilt' er die Burg, und brachte der Koͤnigin Botſchaft. Als er die Schwelle betrat, da fragt' ihn Paͤnelopeia: 680
Herold, ſage, warum dich die ſtolzen Freier geſendet! Etwa daß du den Maͤgden des hohen Oduͤßeus befehleſt, Von der Arbeit zu ruhn, und ihnen das Mahl zu bereiten? Moͤchten die trozigen Freier ſich niemals wieder verſammeln, Sondern ihr leztes Mahl, ihr leztes! heute genießen! 685 Die ihr hier taͤglich in Schaaren das große Vermoͤgen hinabſchlingt,
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Oduͤßee.
Und die Freier verließen ihr Spiel, und ſezten ſich nieder.
Aber Eupeithaͤs Sohn Antinoos ſprach zur Verſammlung,
Gluͤhend vor Zorn; ihm ſchwoll von ſchwarzer ſtroͤmender Galle
Hoch die Bruſt, und den Augen entfunkelte ſtralendes Feuer:
660
Wahrlich ein großes Werk hat Taͤlemachos kuͤhnlich vollendet!
Dieſe Reiſe! Wir dachten, er wuͤrde ſie nimmer vollenden;
Und troz allen entwiſcht er, der junge Knabe, wie ſpielend,
Ruͤſtet ein Schiff, und waͤhlt ſich die tapferſten Maͤnner im Volke!
Der verſpricht uns hinfort erſt Unheil! Aber ihm tilge
Zeus die mutige Kraft, bevor er uns Schaden bereitet!
Auf! und gebt mir ein ruͤſtiges Schiff und zwanzig Gefaͤhrten,
Daß ich dem Reiſenden ſelbſt auflaure, wann er zuruͤckkehrt,
In dem Sunde, der Ithaka trennt und die bergichte Samos;
Daß die Fahrt nach dem Vater ein jaͤmmerlich Ende gewinne!
665
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Alſo ſprach er; ſie lobten ihn all', und reizten ihn ſtaͤrker,
Standen dann auf, und gingen ins Haus des edlen Oduͤßeus.
Paͤnelopeia blieb nicht lang' unkundig des Rathes,
Welchen die Freier jezt in tuͤckiſcher Seele beſchloßen.
Denn ihr verkuͤndete Medon, der Herold, welcher den Rathſchluß
Außer dem Hauſe belauſcht, als jene ſich drinnen beſprachen.
Schnell durcheilt' er die Burg, und brachte der Koͤnigin Botſchaft.
Als er die Schwelle betrat, da fragt' ihn Paͤnelopeia:
675
680
Herold, ſage, warum dich die ſtolzen Freier geſendet!
Etwa daß du den Maͤgden des hohen Oduͤßeus befehleſt,
Von der Arbeit zu ruhn, und ihnen das Mahl zu bereiten?
Moͤchten die trozigen Freier ſich niemals wieder verſammeln,
Sondern ihr leztes Mahl, ihr leztes! heute genießen!
Die ihr hier taͤglich in Schaaren das große Vermoͤgen hinabſchlingt,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/94>, abgerufen am 07.05.2024.
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