Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithäs, und fragte:
Ist es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen, Ob Tälemachos bald aus der sandigen Pülos zurückkehrt? Mir gehöret das Schiff; und jezo brauch' ich es selber, Nach den Anen von Aelis hinüber zu fahren. Es weiden 635 Dort zwölf Stuten für mich, mit jungen lastbaren Mäulern: Davon möcht' ich mir eins abholen, und zähmen zur Arbeit.
Sprachs; da erstaunten die Freier, daß er die Reise vollendet Zur näläischen Pülos: sie glaubten, er wär' auf dem Lande, Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. 640 Und Eupeithäs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Sage mir ohne Falsch: Wann reist' er? Welche Genoßen Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne, Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieses vollenden! Dann erzähle mir auch aufrichtig, damit ich es wisse: 645 Brauchte der Jüngling Gewalt, dir das schwarze Schiff zu entreißen; Oder gabst du es ihm gutwillig, als er dich ansprach?
Aber Fronios Sohn Noämon sagte dagegen: Selber gab ich es ihm! Wie würd' ein Anderer handeln, Wenn ihn ein solcher Mann, mit so bekümmertem Herzen, 650 Bäte? Es wäre ja schwer, ihm seine Bitte zu weigern! Aber die Jünglinge waren die Tapfersten unseres Volkes, Die ihm folgten; es ging mit diesen, als Führer des Schiffes, Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Gestalt war. Aber das wundert mich: ich sah den treflichen Mentor 655 Gestern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Pülos!
Also sprach Noämon, und ging zum Hause des Vaters. Aber den beiden wühlte der Schmerz in der stolzen Seele.
Vierter Geſang.
Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithaͤs, und fragte:
Iſt es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen, Ob Taͤlemachos bald aus der ſandigen Puͤlos zuruͤckkehrt? Mir gehoͤret das Schiff; und jezo brauch' ich es ſelber, Nach den Anen von Aelis hinuͤber zu fahren. Es weiden 635 Dort zwoͤlf Stuten fuͤr mich, mit jungen laſtbaren Maͤulern: Davon moͤcht' ich mir eins abholen, und zaͤhmen zur Arbeit.
Sprachs; da erſtaunten die Freier, daß er die Reiſe vollendet Zur naͤlaͤiſchen Puͤlos: ſie glaubten, er waͤr' auf dem Lande, Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt. 640 Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
Sage mir ohne Falſch: Wann reiſt' er? Welche Genoßen Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne, Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieſes vollenden! Dann erzaͤhle mir auch aufrichtig, damit ich es wiſſe: 645 Brauchte der Juͤngling Gewalt, dir das ſchwarze Schiff zu entreißen; Oder gabſt du es ihm gutwillig, als er dich anſprach?
Aber Fronios Sohn Noaͤmon ſagte dagegen: Selber gab ich es ihm! Wie wuͤrd' ein Anderer handeln, Wenn ihn ein ſolcher Mann, mit ſo bekuͤmmertem Herzen, 650 Baͤte? Es waͤre ja ſchwer, ihm ſeine Bitte zu weigern! Aber die Juͤnglinge waren die Tapferſten unſeres Volkes, Die ihm folgten; es ging mit dieſen, als Fuͤhrer des Schiffes, Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Geſtalt war. Aber das wundert mich: ich ſah den treflichen Mentor 655 Geſtern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Puͤlos!
Alſo ſprach Noaͤmon, und ging zum Hauſe des Vaters. Aber den beiden wuͤhlte der Schmerz in der ſtolzen Seele.
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Vierter Geſang.
Redet' Antinoos an, den Sohn Eupeithaͤs, und fragte:
Iſt es uns etwa bekannt, Antinoos, oder verborgen,
Ob Taͤlemachos bald aus der ſandigen Puͤlos zuruͤckkehrt?
Mir gehoͤret das Schiff; und jezo brauch' ich es ſelber,
Nach den Anen von Aelis hinuͤber zu fahren. Es weiden
Dort zwoͤlf Stuten fuͤr mich, mit jungen laſtbaren Maͤulern:
Davon moͤcht' ich mir eins abholen, und zaͤhmen zur Arbeit.
635
Sprachs; da erſtaunten die Freier, daß er die Reiſe vollendet
Zur naͤlaͤiſchen Puͤlos: ſie glaubten, er waͤr' auf dem Lande,
Wo ihn die weidende Heerd' erfreute, oder der Sauhirt.
Und Eupeithaͤs Sohn Antinoos gab ihm zur Antwort:
640
Sage mir ohne Falſch: Wann reiſt' er? Welche Genoßen
Folgten aus Ithaka ihm; Freiwillige, oder Gedungne,
Und leibeigene Knechte? Wie konnt' er doch dieſes vollenden!
Dann erzaͤhle mir auch aufrichtig, damit ich es wiſſe:
Brauchte der Juͤngling Gewalt, dir das ſchwarze Schiff zu entreißen;
Oder gabſt du es ihm gutwillig, als er dich anſprach?
645
Aber Fronios Sohn Noaͤmon ſagte dagegen:
Selber gab ich es ihm! Wie wuͤrd' ein Anderer handeln,
Wenn ihn ein ſolcher Mann, mit ſo bekuͤmmertem Herzen,
Baͤte? Es waͤre ja ſchwer, ihm ſeine Bitte zu weigern!
Aber die Juͤnglinge waren die Tapferſten unſeres Volkes,
Die ihm folgten; es ging mit dieſen, als Fuͤhrer des Schiffes,
Mentor, oder ein Gott, der jenen gleich an Geſtalt war.
Aber das wundert mich: ich ſah den treflichen Mentor
Geſtern Morgen noch hier, und damals fuhr er gen Puͤlos!
650
655
Alſo ſprach Noaͤmon, und ging zum Hauſe des Vaters.
Aber den beiden wuͤhlte der Schmerz in der ſtolzen Seele.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/93>, abgerufen am 28.11.2024.
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