Denn sie hemmte die Nacht am Ende des Laufes, und weilte An des Ozeans Fluten die goldenthronende Aeos: Und noch spannte sie nicht die schnellen leuchtenden Roße 245 Lampos und Faethon an, das Licht den Menschen zu bringen. Aber zu seiner Gemahlin begann der weise Odüßeus:
Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kämpfe Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit, Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden! 250 Also verkündigte mir des großen Teiresias Seele, Jenes Tages, da ich in Ais Wohnung hinabstieg, Forschend nach der Gefährten und meiner eigenen Heimkehr. Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen: damit uns Beide jezo die Ruhe des süßen Schlafes erquicke. 255
Ihm antwortete drauf die kluge Pänelopeia: Jezo wird dein Lager bereit sein, wann du es wünschest; Da dir endlich die Götter verstateten, wiederzukehren In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde. Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber, 260 Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk' ich, doch einmal Hören; so ist es ja wohl nicht schlimmer, ihn gleich zu erfahren.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: Armes Weib, warum verlangst du, daß ich dir dieses Sage? Ich will es dir denn verkünden, und nichts dir verhehlen. 265 Freilich wird sich darob dein Herz nicht freuen; ich selber Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher, Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglättetes Ruder, Immerfort, bis ich komme zu Menschen, welche das Meer nicht Kennen, und keine Speise gewürzt mit Salze genießen, 270
Oduͤßee.
Denn ſie hemmte die Nacht am Ende des Laufes, und weilte An des Ozeans Fluten die goldenthronende Aeos: Und noch ſpannte ſie nicht die ſchnellen leuchtenden Roße 245 Lampos und Faethon an, das Licht den Menſchen zu bringen. Aber zu ſeiner Gemahlin begann der weiſe Oduͤßeus:
Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kaͤmpfe Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit, Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden! 250 Alſo verkuͤndigte mir des großen Teireſias Seele, Jenes Tages, da ich in Aïs Wohnung hinabſtieg, Forſchend nach der Gefaͤhrten und meiner eigenen Heimkehr. Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen: damit uns Beide jezo die Ruhe des ſuͤßen Schlafes erquicke. 255
Ihm antwortete drauf die kluge Paͤnelopeia: Jezo wird dein Lager bereit ſein, wann du es wuͤnſcheſt; Da dir endlich die Goͤtter verſtateten, wiederzukehren In dein praͤchtiges Haus und deiner Vaͤter Gefilde. Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber, 260 Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk' ich, doch einmal Hoͤren; ſo iſt es ja wohl nicht ſchlimmer, ihn gleich zu erfahren.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Armes Weib, warum verlangſt du, daß ich dir dieſes Sage? Ich will es dir denn verkuͤnden, und nichts dir verhehlen. 265 Freilich wird ſich darob dein Herz nicht freuen; ich ſelber Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher, Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglaͤttetes Ruder, Immerfort, bis ich komme zu Menſchen, welche das Meer nicht Kennen, und keine Speiſe gewuͤrzt mit Salze genießen, 270
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Oduͤßee.
Denn ſie hemmte die Nacht am Ende des Laufes, und weilte
An des Ozeans Fluten die goldenthronende Aeos:
Und noch ſpannte ſie nicht die ſchnellen leuchtenden Roße
Lampos und Faethon an, das Licht den Menſchen zu bringen.
Aber zu ſeiner Gemahlin begann der weiſe Oduͤßeus:
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Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kaͤmpfe
Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit,
Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden!
Alſo verkuͤndigte mir des großen Teireſias Seele,
Jenes Tages, da ich in Aïs Wohnung hinabſtieg,
Forſchend nach der Gefaͤhrten und meiner eigenen Heimkehr.
Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen: damit uns
Beide jezo die Ruhe des ſuͤßen Schlafes erquicke.
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Ihm antwortete drauf die kluge Paͤnelopeia:
Jezo wird dein Lager bereit ſein, wann du es wuͤnſcheſt;
Da dir endlich die Goͤtter verſtateten, wiederzukehren
In dein praͤchtiges Haus und deiner Vaͤter Gefilde.
Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber,
Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk' ich, doch einmal
Hoͤren; ſo iſt es ja wohl nicht ſchlimmer, ihn gleich zu erfahren.
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Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Armes Weib, warum verlangſt du, daß ich dir dieſes
Sage? Ich will es dir denn verkuͤnden, und nichts dir verhehlen.
Freilich wird ſich darob dein Herz nicht freuen; ich ſelber
Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher,
Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglaͤttetes Ruder,
Immerfort, bis ich komme zu Menſchen, welche das Meer nicht
Kennen, und keine Speiſe gewuͤrzt mit Salze genießen,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/450>, abgerufen am 22.11.2024.
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