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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Zweyter Gesang.
Ob ich gen Pülos geh, oder hier in Ithaka bleibe!
Reisen will ich, und nichts soll meinen Entschluß mir vereiteln,
Im gedungenen Schiffe! Denn weder Schiffe noch Rudrer 320
Hab' ich in meiner Gewalt: so schien es euch freilich am beßten!

Also sprach er, und zog die Hand aus der Hand des Verräthers
Leicht. Die Freier im Saale bereiteten ämsig die Mahlzeit.
Und sie spotteten seiner, und redeten höhnende Worte.
Unter dem Schwarme begann ein übermütiger Jüngling: 325

Wahrlich, Tälemachos sinnt recht ernstlich auf unsre Ermordung!
Gebt nur Acht: er holet sich Hülf' aus der sandigen Pülos,
Oder sogar aus Sparta! Er treibts mit gewaltigem Eifer!
Oder er lenkt auch jezo nach Efüra's fruchtbarem Lande
Seine Fahrt, und kauft sich tödtende Gifte; die mischt er 330
Heimlich in unseren Wein, dann sind wir alle verloren.

Und von neuem begann ein übermütiger Jüngling:
Aber wer weiß, ob dieser nicht auch mit dem Leben die Schiffahrt,
Fern von den Seinen, bezahlt, umhergestürmt wie Odüßeus?
Denkt, dann macht' er uns hier noch sorgenvollere Arbeit! 335
Theilen müßten wir ja das ganze Vermögen, und räumen
Seiner Mutter das Haus, und ihrem jungen Gemahle!

Aber Tälemachos stieg ins hohe weite Gewölbe
Seines Vaters hinab, wo Gold und Kupfer gehäuft lag,
Prächtige Kleider in Kasten, und Fäßer voll duftendes Oeles. 340
Alda standen auch Tonnen mit altem balsamischen Weine,
Welche das lautre Getränk, das süße, das göttliche, faßten,
Nach der Reihe gelehnt an die Mauer, wenn jemals Odüßeus
Wieder zur Heimat kehrte, nach seiner unendlichen Trübsal.
Fest verschloß das Gewölbe die wohleinfugende Thüre, 345

Zweyter Geſang.
Ob ich gen Puͤlos geh, oder hier in Ithaka bleibe!
Reiſen will ich, und nichts ſoll meinen Entſchluß mir vereiteln,
Im gedungenen Schiffe! Denn weder Schiffe noch Rudrer 320
Hab' ich in meiner Gewalt: ſo ſchien es euch freilich am beßten!

Alſo ſprach er, und zog die Hand aus der Hand des Verraͤthers
Leicht. Die Freier im Saale bereiteten aͤmſig die Mahlzeit.
Und ſie ſpotteten ſeiner, und redeten hoͤhnende Worte.
Unter dem Schwarme begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling: 325

Wahrlich, Taͤlemachos ſinnt recht ernſtlich auf unſre Ermordung!
Gebt nur Acht: er holet ſich Huͤlf' aus der ſandigen Puͤlos,
Oder ſogar aus Sparta! Er treibts mit gewaltigem Eifer!
Oder er lenkt auch jezo nach Efuͤra's fruchtbarem Lande
Seine Fahrt, und kauft ſich toͤdtende Gifte; die miſcht er 330
Heimlich in unſeren Wein, dann ſind wir alle verloren.

Und von neuem begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling:
Aber wer weiß, ob dieſer nicht auch mit dem Leben die Schiffahrt,
Fern von den Seinen, bezahlt, umhergeſtuͤrmt wie Oduͤßeus?
Denkt, dann macht' er uns hier noch ſorgenvollere Arbeit! 335
Theilen muͤßten wir ja das ganze Vermoͤgen, und raͤumen
Seiner Mutter das Haus, und ihrem jungen Gemahle!

Aber Taͤlemachos ſtieg ins hohe weite Gewoͤlbe
Seines Vaters hinab, wo Gold und Kupfer gehaͤuft lag,
Praͤchtige Kleider in Kaſten, und Faͤßer voll duftendes Oeles. 340
Alda ſtanden auch Tonnen mit altem balſamiſchen Weine,
Welche das lautre Getraͤnk, das ſuͤße, das goͤttliche, faßten,
Nach der Reihe gelehnt an die Mauer, wenn jemals Oduͤßeus
Wieder zur Heimat kehrte, nach ſeiner unendlichen Truͤbſal.
Feſt verſchloß das Gewoͤlbe die wohleinfugende Thuͤre, 345

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[39/0045] Zweyter Geſang. Ob ich gen Puͤlos geh, oder hier in Ithaka bleibe! Reiſen will ich, und nichts ſoll meinen Entſchluß mir vereiteln, Im gedungenen Schiffe! Denn weder Schiffe noch Rudrer Hab' ich in meiner Gewalt: ſo ſchien es euch freilich am beßten! 320 Alſo ſprach er, und zog die Hand aus der Hand des Verraͤthers Leicht. Die Freier im Saale bereiteten aͤmſig die Mahlzeit. Und ſie ſpotteten ſeiner, und redeten hoͤhnende Worte. Unter dem Schwarme begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling: 325 Wahrlich, Taͤlemachos ſinnt recht ernſtlich auf unſre Ermordung! Gebt nur Acht: er holet ſich Huͤlf' aus der ſandigen Puͤlos, Oder ſogar aus Sparta! Er treibts mit gewaltigem Eifer! Oder er lenkt auch jezo nach Efuͤra's fruchtbarem Lande Seine Fahrt, und kauft ſich toͤdtende Gifte; die miſcht er Heimlich in unſeren Wein, dann ſind wir alle verloren. 330 Und von neuem begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling: Aber wer weiß, ob dieſer nicht auch mit dem Leben die Schiffahrt, Fern von den Seinen, bezahlt, umhergeſtuͤrmt wie Oduͤßeus? Denkt, dann macht' er uns hier noch ſorgenvollere Arbeit! Theilen muͤßten wir ja das ganze Vermoͤgen, und raͤumen Seiner Mutter das Haus, und ihrem jungen Gemahle! 335 Aber Taͤlemachos ſtieg ins hohe weite Gewoͤlbe Seines Vaters hinab, wo Gold und Kupfer gehaͤuft lag, Praͤchtige Kleider in Kaſten, und Faͤßer voll duftendes Oeles. Alda ſtanden auch Tonnen mit altem balſamiſchen Weine, Welche das lautre Getraͤnk, das ſuͤße, das goͤttliche, faßten, Nach der Reihe gelehnt an die Mauer, wenn jemals Oduͤßeus Wieder zur Heimat kehrte, nach ſeiner unendlichen Truͤbſal. Feſt verſchloß das Gewoͤlbe die wohleinfugende Thuͤre, 340 345

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/45>, abgerufen am 21.11.2024.