Sicherlich heget er selbst schon einen solchen zu Hause; Oder er hat auch vor, ihn nachzumachen! Wie dreht er Ihn in den Händen herum, der landdurchstreichende Saudieb! 400
Und von neuem begann ein übermütiger Jüngling: Daß doch jeglicher Wunsch dem Fremdling' also gelinge, Wie es ihm jezo gelingt, den krummen Bogen zu spannen!
Also sprachen die Freier. Allein der weise Odüßeus, Als er den großen Bogen geprüft und ringsum betrachtet: 405 So wie ein Mann, erfahren im Lautenspiel und Gesange, Leicht mit dem neuen Wirbel die klingende Saite spannet, Knüpfend an beiden Enden den schöngesponnenen Schafdarm: So nachläßig spannte den großen Bogen Odüßeus. Und mit der rechten Hand versucht' er die Senne des Bogens; 410 Lieblich tönte die Senne, und hell wie die Stimme der Schwalbe. V. 411. Schrecken ergriff die Freier, und aller Antliz erblaßte. Und Zeus donnerte laut, und sandte sein Zeichen vom Himmel: Freudig vernahm das Wunder der herliche Dulder Odüßeus, Welches ihm sandte der Sohn des unerforschlichen Kronos. 415 Und er nahm den gefiederten Pfeil, der bloß auf dem Tische Vor ihm lag, indeß im hohlen Köcher die andern Ruheten, welche nun bald die Achaier sollten versuchen. Diesen faßt' er zugleich mit dem Griffe des Bogens; dann zog er, Sizend auf seinem Stuhle, die Senn' und die Kerbe des Pfeils an, 420 Zielte dann, schnellte den Pfeil, und verfehlete keine Aexte; Von dem vordersten Oere bis durch das lezte von allen
V. 411. Die straffe, von dem starken Bogen gespannte Senne klang so fein, wie die Stimme der Schwalbe.
Oduͤßee.
Sicherlich heget er ſelbſt ſchon einen ſolchen zu Hauſe; Oder er hat auch vor, ihn nachzumachen! Wie dreht er Ihn in den Haͤnden herum, der landdurchſtreichende Saudieb! 400
Und von neuem begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling: Daß doch jeglicher Wunſch dem Fremdling' alſo gelinge, Wie es ihm jezo gelingt, den krummen Bogen zu ſpannen!
Alſo ſprachen die Freier. Allein der weiſe Oduͤßeus, Als er den großen Bogen gepruͤft und ringsum betrachtet: 405 So wie ein Mann, erfahren im Lautenſpiel und Geſange, Leicht mit dem neuen Wirbel die klingende Saite ſpannet, Knuͤpfend an beiden Enden den ſchoͤngeſponnenen Schafdarm: So nachlaͤßig ſpannte den großen Bogen Oduͤßeus. Und mit der rechten Hand verſucht' er die Senne des Bogens; 410 Lieblich toͤnte die Senne, und hell wie die Stimme der Schwalbe. V. 411. Schrecken ergriff die Freier, und aller Antliz erblaßte. Und Zeus donnerte laut, und ſandte ſein Zeichen vom Himmel: Freudig vernahm das Wunder der herliche Dulder Oduͤßeus, Welches ihm ſandte der Sohn des unerforſchlichen Kronos. 415 Und er nahm den gefiederten Pfeil, der bloß auf dem Tiſche Vor ihm lag, indeß im hohlen Koͤcher die andern Ruheten, welche nun bald die Achaier ſollten verſuchen. Dieſen faßt' er zugleich mit dem Griffe des Bogens; dann zog er, Sizend auf ſeinem Stuhle, die Senn' und die Kerbe des Pfeils an, 420 Zielte dann, ſchnellte den Pfeil, und verfehlete keine Aexte; Von dem vorderſten Oere bis durch das lezte von allen
V. 411. Die ſtraffe, von dem ſtarken Bogen geſpannte Senne klang ſo fein, wie die Stimme der Schwalbe.
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Oduͤßee.
Sicherlich heget er ſelbſt ſchon einen ſolchen zu Hauſe;
Oder er hat auch vor, ihn nachzumachen! Wie dreht er
Ihn in den Haͤnden herum, der landdurchſtreichende Saudieb!
400
Und von neuem begann ein uͤbermuͤtiger Juͤngling:
Daß doch jeglicher Wunſch dem Fremdling' alſo gelinge,
Wie es ihm jezo gelingt, den krummen Bogen zu ſpannen!
Alſo ſprachen die Freier. Allein der weiſe Oduͤßeus,
Als er den großen Bogen gepruͤft und ringsum betrachtet:
So wie ein Mann, erfahren im Lautenſpiel und Geſange,
Leicht mit dem neuen Wirbel die klingende Saite ſpannet,
Knuͤpfend an beiden Enden den ſchoͤngeſponnenen Schafdarm:
So nachlaͤßig ſpannte den großen Bogen Oduͤßeus.
Und mit der rechten Hand verſucht' er die Senne des Bogens;
Lieblich toͤnte die Senne, und hell wie die Stimme der Schwalbe. V. 411.
Schrecken ergriff die Freier, und aller Antliz erblaßte.
Und Zeus donnerte laut, und ſandte ſein Zeichen vom Himmel:
Freudig vernahm das Wunder der herliche Dulder Oduͤßeus,
Welches ihm ſandte der Sohn des unerforſchlichen Kronos.
Und er nahm den gefiederten Pfeil, der bloß auf dem Tiſche
Vor ihm lag, indeß im hohlen Koͤcher die andern
Ruheten, welche nun bald die Achaier ſollten verſuchen.
Dieſen faßt' er zugleich mit dem Griffe des Bogens; dann zog er,
Sizend auf ſeinem Stuhle, die Senn' und die Kerbe des Pfeils an,
Zielte dann, ſchnellte den Pfeil, und verfehlete keine Aexte;
Von dem vorderſten Oere bis durch das lezte von allen
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V. 411. Die ſtraffe, von dem ſtarken Bogen geſpannte Senne klang ſo fein,
wie die Stimme der Schwalbe.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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