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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Achzehnter Gesang.

Also sprach er; da lachten sie laut, und sahn nach einander.
Aber nun fuhr ihn Melantho, die rosenwangichte Tochter 320
Dolios, an. Es hatte sie Pänelopeia erzogen,
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunsch ihr gewähret:
Dennoch rührte sie nicht der Kummer Pänelopeiens;
Sondern sie buhlte geheim mit Eurümachos, ihrem Geliebten.
Diese lästerte schändlich den edlen Dulder Odüßeus: 325

Elender Fremdling, du bist wohl deiner Sinne nicht mächtig:
Daß du nicht gehst, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes
Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Gesellschaft
Solcher Männer so dreist, und ohne jemand zu fürchten,
Plauderst! Traun dich bethört der Weinrausch, oder du bist auch 330
Immer ein solcher Geck, und schwazest solche Geschwäze!
Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast?
Daß sich nur keiner erhebe, der tapferer streitet als Iros!
Denn er möchte dein Haupt mit starken Fäusten zerschlagen,
Und aus dem Hause dich stoßen, mit triefendem Blute besudelt. 335

Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odüßeus:
Wahrlich, das sag' ich Tälemachos an, was du Hündin da plauderst:
(Siehst du ihn dort?) damit er dich gleich in Stücke zerhaue!

Also sprach er, und schreckte die bangen Weiber von hinnen;
Und sie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemächer, 340
Zitternd vor Angst; denn sie meinten, er hab' im Ernste geredet.

Und Odüßeus stand, der leuchtenden Feuergeschirre
Flamme nährend, und sahe nach allen. Aber sein Herz war
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.

Aber den mutigen Freiern verstatete Pallas Athänä 345
Nicht, des erbitternden Spottes sich ganz zu enthalten, damit noch

Achzehnter Geſang.

Alſo ſprach er; da lachten ſie laut, und ſahn nach einander.
Aber nun fuhr ihn Melantho, die roſenwangichte Tochter 320
Dolios, an. Es hatte ſie Paͤnelopeia erzogen,
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunſch ihr gewaͤhret:
Dennoch ruͤhrte ſie nicht der Kummer Paͤnelopeiens;
Sondern ſie buhlte geheim mit Euruͤmachos, ihrem Geliebten.
Dieſe laͤſterte ſchaͤndlich den edlen Dulder Oduͤßeus: 325

Elender Fremdling, du biſt wohl deiner Sinne nicht maͤchtig:
Daß du nicht gehſt, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes
Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Geſellſchaft
Solcher Maͤnner ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten,
Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch 330
Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze!
Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt?
Daß ſich nur keiner erhebe, der tapferer ſtreitet als Iros!
Denn er moͤchte dein Haupt mit ſtarken Faͤuſten zerſchlagen,
Und aus dem Hauſe dich ſtoßen, mit triefendem Blute beſudelt. 335

Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus:
Wahrlich, das ſag' ich Taͤlemachos an, was du Huͤndin da plauderſt:
(Siehſt du ihn dort?) damit er dich gleich in Stuͤcke zerhaue!

Alſo ſprach er, und ſchreckte die bangen Weiber von hinnen;
Und ſie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemaͤcher, 340
Zitternd vor Angſt; denn ſie meinten, er hab' im Ernſte geredet.

Und Oduͤßeus ſtand, der leuchtenden Feuergeſchirre
Flamme naͤhrend, und ſahe nach allen. Aber ſein Herz war
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.

Aber den mutigen Freiern verſtatete Pallas Athaͤnaͤ 345
Nicht, des erbitternden Spottes ſich ganz zu enthalten, damit noch

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[357/0363] Achzehnter Geſang. Alſo ſprach er; da lachten ſie laut, und ſahn nach einander. Aber nun fuhr ihn Melantho, die roſenwangichte Tochter Dolios, an. Es hatte ſie Paͤnelopeia erzogen, Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunſch ihr gewaͤhret: Dennoch ruͤhrte ſie nicht der Kummer Paͤnelopeiens; Sondern ſie buhlte geheim mit Euruͤmachos, ihrem Geliebten. Dieſe laͤſterte ſchaͤndlich den edlen Dulder Oduͤßeus: 320 325 Elender Fremdling, du biſt wohl deiner Sinne nicht maͤchtig: Daß du nicht gehſt, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Geſellſchaft Solcher Maͤnner ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten, Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze! Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt? Daß ſich nur keiner erhebe, der tapferer ſtreitet als Iros! Denn er moͤchte dein Haupt mit ſtarken Faͤuſten zerſchlagen, Und aus dem Hauſe dich ſtoßen, mit triefendem Blute beſudelt. 330 335 Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus: Wahrlich, das ſag' ich Taͤlemachos an, was du Huͤndin da plauderſt: (Siehſt du ihn dort?) damit er dich gleich in Stuͤcke zerhaue! Alſo ſprach er, und ſchreckte die bangen Weiber von hinnen; Und ſie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemaͤcher, Zitternd vor Angſt; denn ſie meinten, er hab' im Ernſte geredet. 340 Und Oduͤßeus ſtand, der leuchtenden Feuergeſchirre Flamme naͤhrend, und ſahe nach allen. Aber ſein Herz war Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften. Aber den mutigen Freiern verſtatete Pallas Athaͤnaͤ Nicht, des erbitternden Spottes ſich ganz zu enthalten, damit noch 345

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/363>, abgerufen am 25.08.2024.