Zinnenbefestigte Mauer mit einem doppelten starken Flügelthor; sie vermöchte wohl schwerlich ein Mann zu erobern! Auch bemerk' ich dieses, daß viele Männer ein Gastmahl Drinnen begehn; denn es duftet von Speisen umher, und die Harfe 270 Tönet, welche die Götter dem Mahl zur Freundin verliehen.
Ihm antwortetest du, Eumaios, Hüter der Schweine: Richtig bemerkst du, da dirs auch sonst an Verstande nicht fehlet. Aber wir wollen anizt nachdenken, wie wir es machen. Geh du entweder zuerst in die schöngebauete Wohnung 275 Unter den Haufen der Freier; so wart' ich hier noch ein wenig: Oder willst du, so bleib; und ich will erstlich hineingehn. Aber zögere nicht; hier draußen möchte dich jemand Schlagen oder auch werfen. Dies überlege nun selber.
Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Odüßeus: 280 Gut, ich verstehe dich schon, dies sind auch meine Gedanken. Gehe denn erst hinein; ich warte hier noch ein wenig. Denn ich verstehe mich auf Schläg' und Würfe so ziemlich, Und nicht schwach ist mein Herz. Ich habe schon vieles erduldet, Schrecken des Meers und des Kriegs; so mag auch dies noch geschehen! 285 Aber man kann unmöglich die Wut des hungrigen Magens Bändigen, welcher den Menschen so vielen Kummer verursacht! Ihn zu besänftigen, gehn selbst schöngezimmerte Schiffe Ueber das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges gerüstet!
Also besprachen diese sich jezo unter einander. 290 Aber ein Hund erhob auf dem Lager sein Haupt und die Ohren, Argos: welchen vordem der leidengeübte Odüßeus Selber erzog; allein er schiffte zur heiligen Troja, Eh er seiner genoß. Ihn führten die Jünglinge vormals
Oduͤßee.
Zinnenbefeſtigte Mauer mit einem doppelten ſtarken Fluͤgelthor; ſie vermoͤchte wohl ſchwerlich ein Mann zu erobern! Auch bemerk' ich dieſes, daß viele Maͤnner ein Gaſtmahl Drinnen begehn; denn es duftet von Speiſen umher, und die Harfe 270 Toͤnet, welche die Goͤtter dem Mahl zur Freundin verliehen.
Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine: Richtig bemerkſt du, da dirs auch ſonſt an Verſtande nicht fehlet. Aber wir wollen anizt nachdenken, wie wir es machen. Geh du entweder zuerſt in die ſchoͤngebauete Wohnung 275 Unter den Haufen der Freier; ſo wart' ich hier noch ein wenig: Oder willſt du, ſo bleib; und ich will erſtlich hineingehn. Aber zoͤgere nicht; hier draußen moͤchte dich jemand Schlagen oder auch werfen. Dies uͤberlege nun ſelber.
Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Oduͤßeus: 280 Gut, ich verſtehe dich ſchon, dies ſind auch meine Gedanken. Gehe denn erſt hinein; ich warte hier noch ein wenig. Denn ich verſtehe mich auf Schlaͤg' und Wuͤrfe ſo ziemlich, Und nicht ſchwach iſt mein Herz. Ich habe ſchon vieles erduldet, Schrecken des Meers und des Kriegs; ſo mag auch dies noch geſchehen! 285 Aber man kann unmoͤglich die Wut des hungrigen Magens Baͤndigen, welcher den Menſchen ſo vielen Kummer verurſacht! Ihn zu beſaͤnftigen, gehn ſelbſt ſchoͤngezimmerte Schiffe Ueber das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges geruͤſtet!
Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander. 290 Aber ein Hund erhob auf dem Lager ſein Haupt und die Ohren, Argos: welchen vordem der leidengeuͤbte Oduͤßeus Selber erzog; allein er ſchiffte zur heiligen Troja, Eh er ſeiner genoß. Ihn fuͤhrten die Juͤnglinge vormals
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0338"n="332"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/>
Zinnenbefeſtigte Mauer mit einem doppelten ſtarken<lb/>
Fluͤgelthor; ſie vermoͤchte wohl ſchwerlich ein Mann zu erobern!<lb/>
Auch bemerk' ich dieſes, daß viele Maͤnner ein Gaſtmahl<lb/>
Drinnen begehn; denn es duftet von Speiſen umher, und die Harfe <noteplace="right">270</note><lb/>
Toͤnet, welche die Goͤtter dem Mahl zur Freundin verliehen.</p><lb/><p>Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine:<lb/>
Richtig bemerkſt du, da dirs auch ſonſt an Verſtande nicht fehlet.<lb/>
Aber wir wollen anizt nachdenken, wie wir es machen.<lb/>
Geh du entweder zuerſt in die ſchoͤngebauete Wohnung <noteplace="right">275</note><lb/>
Unter den Haufen der Freier; ſo wart' ich hier noch ein wenig:<lb/>
Oder willſt du, ſo bleib; und ich will erſtlich hineingehn.<lb/>
Aber zoͤgere nicht; hier draußen moͤchte dich jemand<lb/>
Schlagen oder auch werfen. Dies uͤberlege nun ſelber.</p><lb/><p>Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Oduͤßeus: <noteplace="right">280</note><lb/>
Gut, ich verſtehe dich ſchon, dies ſind auch meine Gedanken.<lb/>
Gehe denn erſt hinein; ich warte hier noch ein wenig.<lb/>
Denn ich verſtehe mich auf Schlaͤg' und Wuͤrfe ſo ziemlich,<lb/>
Und nicht ſchwach iſt mein Herz. Ich habe ſchon vieles erduldet,<lb/>
Schrecken des Meers und des Kriegs; ſo mag auch dies noch geſchehen! <noteplace="right">285</note><lb/>
Aber man kann unmoͤglich die Wut des hungrigen Magens<lb/>
Baͤndigen, welcher den Menſchen ſo vielen Kummer verurſacht!<lb/>
Ihn zu beſaͤnftigen, gehn ſelbſt ſchoͤngezimmerte Schiffe<lb/>
Ueber das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges geruͤſtet!</p><lb/><p>Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander. <noteplace="right">290</note><lb/>
Aber ein Hund erhob auf dem Lager ſein Haupt und die Ohren,<lb/>
Argos: welchen vordem der leidengeuͤbte Oduͤßeus<lb/>
Selber erzog; allein er ſchiffte zur heiligen Troja,<lb/>
Eh er ſeiner genoß. Ihn fuͤhrten die Juͤnglinge vormals<lb/></p></div></body></text></TEI>
[332/0338]
Oduͤßee.
Zinnenbefeſtigte Mauer mit einem doppelten ſtarken
Fluͤgelthor; ſie vermoͤchte wohl ſchwerlich ein Mann zu erobern!
Auch bemerk' ich dieſes, daß viele Maͤnner ein Gaſtmahl
Drinnen begehn; denn es duftet von Speiſen umher, und die Harfe
Toͤnet, welche die Goͤtter dem Mahl zur Freundin verliehen.
270
Ihm antworteteſt du, Eumaios, Huͤter der Schweine:
Richtig bemerkſt du, da dirs auch ſonſt an Verſtande nicht fehlet.
Aber wir wollen anizt nachdenken, wie wir es machen.
Geh du entweder zuerſt in die ſchoͤngebauete Wohnung
Unter den Haufen der Freier; ſo wart' ich hier noch ein wenig:
Oder willſt du, ſo bleib; und ich will erſtlich hineingehn.
Aber zoͤgere nicht; hier draußen moͤchte dich jemand
Schlagen oder auch werfen. Dies uͤberlege nun ſelber.
275
Ihm antwortete drauf der herliche Dulder Oduͤßeus:
Gut, ich verſtehe dich ſchon, dies ſind auch meine Gedanken.
Gehe denn erſt hinein; ich warte hier noch ein wenig.
Denn ich verſtehe mich auf Schlaͤg' und Wuͤrfe ſo ziemlich,
Und nicht ſchwach iſt mein Herz. Ich habe ſchon vieles erduldet,
Schrecken des Meers und des Kriegs; ſo mag auch dies noch geſchehen!
Aber man kann unmoͤglich die Wut des hungrigen Magens
Baͤndigen, welcher den Menſchen ſo vielen Kummer verurſacht!
Ihn zu beſaͤnftigen, gehn ſelbſt ſchoͤngezimmerte Schiffe
Ueber das wilde Meer, mit Schrecken des Krieges geruͤſtet!
280
285
Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander.
Aber ein Hund erhob auf dem Lager ſein Haupt und die Ohren,
Argos: welchen vordem der leidengeuͤbte Oduͤßeus
Selber erzog; allein er ſchiffte zur heiligen Troja,
Eh er ſeiner genoß. Ihn fuͤhrten die Juͤnglinge vormals
290
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/338>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.