Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.
Als sie dieser erblickte, da stieß er mit schreiender Stimme 215
Freche Schmähungen aus, und reizte die Seele des Königs:

Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht führet den andern!
Wie gesellet doch Gott beständig Gleiche zu Gleichen!
Sprich, wo führst du den Hungrigen hin, nichtswürdiger Sauhirt,
Diesen beschwerlichen Bettler, der schmierigen Brocken Verschlinger, 220
Welcher von Thüre zu Thür' an den Pfosten die Schulter sich reibet,
Und sich Krümchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Keßel! V. 222.
Gäbest du mir den Kerl zum Hüter meines Geheges,
Daß er die Ställe fegt', und Laub vortrüge den Zicklein;
Molken sollt' er mir saufen, um Fleisch auf die Lenden zu kriegen! 225
Aber da er nun nichts als Bubenstüke gelernt hat,
Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchstreichen,
Seinen gefräßigen Leib mit Bettelbrote zu stopfen.
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich erfüllet:
Kommt er je in das Haus des göttergleichen Odüßeus, 230
Hageln werden die Schemel im Saal aus den Händen der Männer
Rings um sein Haupt, und die Ecken an seinen Rippen zerstoßen!

Also sprach er, und kam und stieß mit der Ferse vor Bosheit
Ihm in die Seit'; allein er wankte nicht aus dem Wege,
Sondern stand unerschüttert. Nun überlegte Odüßeus: 235
Ob er auf ihn mit dem Stab' anrennt', und das Leben ihm raubte;
Oder ihn hoch erhüb', und sein Haupt auf den Boden zerknirschte:
Doch er bezwang sein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt

V. 222. Edle Fremdlinge wurden anständig bewirtet, und mit Schwertern und
Keßeln beschenket.

Oduͤßee.
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.
Als ſie dieſer erblickte, da ſtieß er mit ſchreiender Stimme 215
Freche Schmaͤhungen aus, und reizte die Seele des Koͤnigs:

Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht fuͤhret den andern!
Wie geſellet doch Gott beſtaͤndig Gleiche zu Gleichen!
Sprich, wo fuͤhrſt du den Hungrigen hin, nichtswuͤrdiger Sauhirt,
Dieſen beſchwerlichen Bettler, der ſchmierigen Brocken Verſchlinger, 220
Welcher von Thuͤre zu Thuͤr' an den Pfoſten die Schulter ſich reibet,
Und ſich Kruͤmchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Keßel! V. 222.
Gaͤbeſt du mir den Kerl zum Huͤter meines Geheges,
Daß er die Staͤlle fegt', und Laub vortruͤge den Zicklein;
Molken ſollt' er mir ſaufen, um Fleiſch auf die Lenden zu kriegen! 225
Aber da er nun nichts als Bubenſtuͤke gelernt hat,
Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchſtreichen,
Seinen gefraͤßigen Leib mit Bettelbrote zu ſtopfen.
Aber ich ſage dir an, und das wird wahrlich erfuͤllet:
Kommt er je in das Haus des goͤttergleichen Oduͤßeus, 230
Hageln werden die Schemel im Saal aus den Haͤnden der Maͤnner
Rings um ſein Haupt, und die Ecken an ſeinen Rippen zerſtoßen!

Alſo ſprach er, und kam und ſtieß mit der Ferſe vor Bosheit
Ihm in die Seit'; allein er wankte nicht aus dem Wege,
Sondern ſtand unerſchuͤttert. Nun uͤberlegte Oduͤßeus: 235
Ob er auf ihn mit dem Stab' anrennt', und das Leben ihm raubte;
Oder ihn hoch erhuͤb', und ſein Haupt auf den Boden zerknirſchte:
Doch er bezwang ſein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt

V. 222. Edle Fremdlinge wurden anſtaͤndig bewirtet, und mit Schwertern und
Keßeln beſchenket.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="330"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten.<lb/>
Als &#x017F;ie die&#x017F;er erblickte, da &#x017F;tieß er mit &#x017F;chreiender Stimme <note place="right">215</note><lb/>
Freche Schma&#x0364;hungen aus, und reizte die Seele des Ko&#x0364;nigs:</p><lb/>
        <p>Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht fu&#x0364;hret den andern!<lb/>
Wie ge&#x017F;ellet doch Gott be&#x017F;ta&#x0364;ndig Gleiche zu Gleichen!<lb/>
Sprich, wo fu&#x0364;hr&#x017F;t du den Hungrigen hin, nichtswu&#x0364;rdiger Sauhirt,<lb/>
Die&#x017F;en be&#x017F;chwerlichen Bettler, der &#x017F;chmierigen Brocken Ver&#x017F;chlinger, <note place="right">220</note><lb/>
Welcher von Thu&#x0364;re zu Thu&#x0364;r' an den Pfo&#x017F;ten die Schulter &#x017F;ich reibet,<lb/>
Und &#x017F;ich Kru&#x0364;mchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Keßel! <note place="foot" n="V. 222.">Edle Fremdlinge wurden an&#x017F;ta&#x0364;ndig bewirtet, und mit Schwertern und<lb/>
Keßeln be&#x017F;chenket.</note><lb/>
Ga&#x0364;be&#x017F;t du mir den Kerl zum Hu&#x0364;ter meines Geheges,<lb/>
Daß er die Sta&#x0364;lle fegt', und Laub vortru&#x0364;ge den Zicklein;<lb/>
Molken &#x017F;ollt' er mir &#x017F;aufen, um Flei&#x017F;ch auf die Lenden zu kriegen! <note place="right">225</note><lb/>
Aber da er nun nichts als Buben&#x017F;tu&#x0364;ke gelernt hat,<lb/>
Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durch&#x017F;treichen,<lb/>
Seinen gefra&#x0364;ßigen Leib mit Bettelbrote zu &#x017F;topfen.<lb/>
Aber ich &#x017F;age dir an, und das wird wahrlich erfu&#x0364;llet:<lb/>
Kommt er je in das Haus des go&#x0364;ttergleichen Odu&#x0364;ßeus, <note place="right">230</note><lb/>
Hageln werden die Schemel im Saal aus den Ha&#x0364;nden der Ma&#x0364;nner<lb/>
Rings um &#x017F;ein Haupt, und die Ecken an &#x017F;einen Rippen zer&#x017F;toßen!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und kam und &#x017F;tieß mit der Fer&#x017F;e vor Bosheit<lb/>
Ihm in die Seit'; allein er wankte nicht aus dem Wege,<lb/>
Sondern &#x017F;tand uner&#x017F;chu&#x0364;ttert. Nun u&#x0364;berlegte Odu&#x0364;ßeus: <note place="right">235</note><lb/>
Ob er auf ihn mit dem Stab' anrennt', und das Leben ihm raubte;<lb/>
Oder ihn hoch erhu&#x0364;b', und &#x017F;ein Haupt auf den Boden zerknir&#x017F;chte:<lb/>
Doch er bezwang &#x017F;ein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0336] Oduͤßee. Brachte zum Schmaus; es begleiteten ihn zween andere Hirten. Als ſie dieſer erblickte, da ſtieß er mit ſchreiender Stimme Freche Schmaͤhungen aus, und reizte die Seele des Koͤnigs: 215 Wahrlich das heißt wohl recht, ein Taugenicht fuͤhret den andern! Wie geſellet doch Gott beſtaͤndig Gleiche zu Gleichen! Sprich, wo fuͤhrſt du den Hungrigen hin, nichtswuͤrdiger Sauhirt, Dieſen beſchwerlichen Bettler, der ſchmierigen Brocken Verſchlinger, Welcher von Thuͤre zu Thuͤr' an den Pfoſten die Schulter ſich reibet, Und ſich Kruͤmchen erbettelt, nicht Schwerter noch eherne Keßel! V. 222. Gaͤbeſt du mir den Kerl zum Huͤter meines Geheges, Daß er die Staͤlle fegt', und Laub vortruͤge den Zicklein; Molken ſollt' er mir ſaufen, um Fleiſch auf die Lenden zu kriegen! Aber da er nun nichts als Bubenſtuͤke gelernt hat, Wird er nicht gern arbeiten, und lieber das Land durchſtreichen, Seinen gefraͤßigen Leib mit Bettelbrote zu ſtopfen. Aber ich ſage dir an, und das wird wahrlich erfuͤllet: Kommt er je in das Haus des goͤttergleichen Oduͤßeus, Hageln werden die Schemel im Saal aus den Haͤnden der Maͤnner Rings um ſein Haupt, und die Ecken an ſeinen Rippen zerſtoßen! 220 225 230 Alſo ſprach er, und kam und ſtieß mit der Ferſe vor Bosheit Ihm in die Seit'; allein er wankte nicht aus dem Wege, Sondern ſtand unerſchuͤttert. Nun uͤberlegte Oduͤßeus: Ob er auf ihn mit dem Stab' anrennt', und das Leben ihm raubte; Oder ihn hoch erhuͤb', und ſein Haupt auf den Boden zerknirſchte: Doch er bezwang ſein Herz, und duldete. Aber der Sauhirt 235 V. 222. Edle Fremdlinge wurden anſtaͤndig bewirtet, und mit Schwertern und Keßeln beſchenket.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/336
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/336>, abgerufen am 22.05.2024.