Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Sechzehnter Gesang.

Also sprach er, und allen gefiel Amfinomos Rede.
Schnell erhuben sie sich, und gingen zur Wohnung Odüßeus,
Kamen, und sezten sich nieder auf schöngebildete Throne.

Aber jezo beschloß die kluge Pänelopeia,
Sich zu zeigen den Freiern voll übermütiger Bosheit. 410
Denn sie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemächern;
Medon der Herold entdeckte sie ihr, der die Freier belauschet.
Und sie ging zu dem Saale, von ihren Mägden begleitet.
Als das göttliche Weib die Freier jezo erreichte,
Stand sie still an der Schwelle des schönen gewölbeten Saales; 415
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.
Und sie redet' Antinoos an mit scheltenden Worten:

Tückischer frecher Empörer Antinoos, nennen doch alle
Dich in Ithaka's Volke den beßten deiner Gespielen
An Verstand und Reden; allein du warest es nimmer! 420
Rasender, sprich, was suchst du Tälemachos Tod und Verderben;
Und verachtest die Stimme der Leidenden, deren Kronion
Waltet? Es ist ja Sünde, das Unglück andrer zu suchen!
Weißt du nicht mehr, wie einst dein Vater flehend zu uns kam,
Von dem Volke geschreckt? Denn sie waren heftig erbittert, 425
Weil er die Räuberschiffe der Tafier hatte begleitet,
Und die Thesproten beraubt, die Genoßen unseres Bundes.
Tödten wollten sie ihn, und sein Herz dem Busen entreißen,
Und ausplündern den reichen Palast voll köstlicher Güter;
Aber Odüßeus hielt sie zurück, und stillte den Aufruhr. 430
Und nun entehrst du sein Haus durch Schwelgen, wirbst um die Gattin,
Tödtest sein einziges Kind, und meine Seele betrübst du.
Aber ich rathe dir jezt, halt ein, und zähme die andern!

Sechzehnter Geſang.

Alſo ſprach er, und allen gefiel Amfinomos Rede.
Schnell erhuben ſie ſich, und gingen zur Wohnung Oduͤßeus,
Kamen, und ſezten ſich nieder auf ſchoͤngebildete Throne.

Aber jezo beſchloß die kluge Paͤnelopeia,
Sich zu zeigen den Freiern voll uͤbermuͤtiger Bosheit. 410
Denn ſie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemaͤchern;
Medon der Herold entdeckte ſie ihr, der die Freier belauſchet.
Und ſie ging zu dem Saale, von ihren Maͤgden begleitet.
Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte,
Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; 415
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.
Und ſie redet' Antinoos an mit ſcheltenden Worten:

Tuͤckiſcher frecher Empoͤrer Antinoos, nennen doch alle
Dich in Ithaka's Volke den beßten deiner Geſpielen
An Verſtand und Reden; allein du wareſt es nimmer! 420
Raſender, ſprich, was ſuchſt du Taͤlemachos Tod und Verderben;
Und verachteſt die Stimme der Leidenden, deren Kronion
Waltet? Es iſt ja Suͤnde, das Ungluͤck andrer zu ſuchen!
Weißt du nicht mehr, wie einſt dein Vater flehend zu uns kam,
Von dem Volke geſchreckt? Denn ſie waren heftig erbittert, 425
Weil er die Raͤuberſchiffe der Tafier hatte begleitet,
Und die Thesproten beraubt, die Genoßen unſeres Bundes.
Toͤdten wollten ſie ihn, und ſein Herz dem Buſen entreißen,
Und auspluͤndern den reichen Palaſt voll koͤſtlicher Guͤter;
Aber Oduͤßeus hielt ſie zuruͤck, und ſtillte den Aufruhr. 430
Und nun entehrſt du ſein Haus durch Schwelgen, wirbſt um die Gattin,
Toͤdteſt ſein einziges Kind, und meine Seele betruͤbſt du.
Aber ich rathe dir jezt, halt ein, und zaͤhme die andern!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0325" n="319"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Sechzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und allen gefiel Amfinomos Rede.<lb/>
Schnell erhuben &#x017F;ie &#x017F;ich, und gingen zur Wohnung Odu&#x0364;ßeus,<lb/>
Kamen, und &#x017F;ezten &#x017F;ich nieder auf &#x017F;cho&#x0364;ngebildete Throne.</p><lb/>
        <p>Aber jezo be&#x017F;chloß die kluge Pa&#x0364;nelopeia,<lb/>
Sich zu zeigen den Freiern voll u&#x0364;bermu&#x0364;tiger Bosheit. <note place="right">410</note><lb/>
Denn &#x017F;ie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gema&#x0364;chern;<lb/>
Medon der Herold entdeckte &#x017F;ie ihr, der die Freier belau&#x017F;chet.<lb/>
Und &#x017F;ie ging zu dem Saale, von ihren Ma&#x0364;gden begleitet.<lb/>
Als das go&#x0364;ttliche Weib die Freier jezo erreichte,<lb/>
Stand &#x017F;ie &#x017F;till an der Schwelle des &#x017F;cho&#x0364;nen gewo&#x0364;lbeten Saales; <note place="right">415</note><lb/>
Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes.<lb/>
Und &#x017F;ie redet' Antinoos an mit &#x017F;cheltenden Worten:</p><lb/>
        <p>Tu&#x0364;cki&#x017F;cher frecher Empo&#x0364;rer Antinoos, nennen doch alle<lb/>
Dich in Ithaka's Volke den beßten deiner Ge&#x017F;pielen<lb/>
An Ver&#x017F;tand und Reden; allein du ware&#x017F;t es nimmer! <note place="right">420</note><lb/>
Ra&#x017F;ender, &#x017F;prich, was &#x017F;uch&#x017F;t du Ta&#x0364;lemachos Tod und Verderben;<lb/>
Und verachte&#x017F;t die Stimme der Leidenden, deren Kronion<lb/>
Waltet? Es i&#x017F;t ja Su&#x0364;nde, das Unglu&#x0364;ck andrer zu &#x017F;uchen!<lb/>
Weißt du nicht mehr, wie ein&#x017F;t dein Vater flehend zu uns kam,<lb/>
Von dem Volke ge&#x017F;chreckt? Denn &#x017F;ie waren heftig erbittert, <note place="right">425</note><lb/>
Weil er die Ra&#x0364;uber&#x017F;chiffe der Tafier hatte begleitet,<lb/>
Und die Thesproten beraubt, die Genoßen un&#x017F;eres Bundes.<lb/>
To&#x0364;dten wollten &#x017F;ie ihn, und &#x017F;ein Herz dem Bu&#x017F;en entreißen,<lb/>
Und ausplu&#x0364;ndern den reichen Pala&#x017F;t voll ko&#x0364;&#x017F;tlicher Gu&#x0364;ter;<lb/>
Aber Odu&#x0364;ßeus hielt &#x017F;ie zuru&#x0364;ck, und &#x017F;tillte den Aufruhr. <note place="right">430</note><lb/>
Und nun entehr&#x017F;t du &#x017F;ein Haus durch Schwelgen, wirb&#x017F;t um die Gattin,<lb/>
To&#x0364;dte&#x017F;t &#x017F;ein einziges Kind, und meine Seele betru&#x0364;b&#x017F;t du.<lb/>
Aber ich rathe dir jezt, halt ein, und za&#x0364;hme die andern!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0325] Sechzehnter Geſang. Alſo ſprach er, und allen gefiel Amfinomos Rede. Schnell erhuben ſie ſich, und gingen zur Wohnung Oduͤßeus, Kamen, und ſezten ſich nieder auf ſchoͤngebildete Throne. Aber jezo beſchloß die kluge Paͤnelopeia, Sich zu zeigen den Freiern voll uͤbermuͤtiger Bosheit. Denn ſie vernahm des Sohnes Gefahr in ihren Gemaͤchern; Medon der Herold entdeckte ſie ihr, der die Freier belauſchet. Und ſie ging zu dem Saale, von ihren Maͤgden begleitet. Als das goͤttliche Weib die Freier jezo erreichte, Stand ſie ſtill an der Schwelle des ſchoͤnen gewoͤlbeten Saales; Ihre Wangen umwallte der feine Schleier des Hauptes. Und ſie redet' Antinoos an mit ſcheltenden Worten: 410 415 Tuͤckiſcher frecher Empoͤrer Antinoos, nennen doch alle Dich in Ithaka's Volke den beßten deiner Geſpielen An Verſtand und Reden; allein du wareſt es nimmer! Raſender, ſprich, was ſuchſt du Taͤlemachos Tod und Verderben; Und verachteſt die Stimme der Leidenden, deren Kronion Waltet? Es iſt ja Suͤnde, das Ungluͤck andrer zu ſuchen! Weißt du nicht mehr, wie einſt dein Vater flehend zu uns kam, Von dem Volke geſchreckt? Denn ſie waren heftig erbittert, Weil er die Raͤuberſchiffe der Tafier hatte begleitet, Und die Thesproten beraubt, die Genoßen unſeres Bundes. Toͤdten wollten ſie ihn, und ſein Herz dem Buſen entreißen, Und auspluͤndern den reichen Palaſt voll koͤſtlicher Guͤter; Aber Oduͤßeus hielt ſie zuruͤck, und ſtillte den Aufruhr. Und nun entehrſt du ſein Haus durch Schwelgen, wirbſt um die Gattin, Toͤdteſt ſein einziges Kind, und meine Seele betruͤbſt du. Aber ich rathe dir jezt, halt ein, und zaͤhme die andern! 420 425 430

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/325
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/325>, abgerufen am 18.05.2024.