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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Wenn man so vieles erduldet, so viele Länder durchirrt ist. 400
Jezo will ich dir das verkündigen, was du mich fragtest:

Eine der Inseln im Meer heißt Süria, wenn du sie kennest, V. 402.
Ueber Ortügia hin, wo die Sonnenwende zu sehn ist.
Groß ist diese nicht sehr von Umfang, aber doch fruchtbar,
Reich an Schafen und Rindern, an Wein und schönem Getreide. 405
Nimmer besucht der Hunger, und nimmer eine der andern
Schrecklichen Seuchen das Volk, die die armen Sterblichen hinrafft.
Sondern wann in der Stadt die Menschen das Alter erreichen,
Kömmt die Freundin der Pfeil' und der Gott des silbernen Bogens,
Welche sie unversehens mit sanften Geschoßen erlegen. 410
Alda sind zwo Städte, die zwiefach alles getheilet;
Und von diesen beiden war einst mein Vater Beherscher,
Ktäsios, Ormenos Sohn, ein Bild der unsterblichen Götter.

Einst besuchten uns dort Föniker, berühmt in der Seefahrt
Und Erzschinder, und führten im Schiff' unzähliges Spielzeug. 415
Aber im Hause des Vaters war eine fönikische Sklavin,
Schöngebildet und groß und klug in künstlicher Arbeit.
Diese verführten mit List die ränkegeübten Föniker.
Einer von ihnen pflog, da sie wusch, beim schwärzlichen Schiffe,
Heimlicher Liebe mit ihr; die das Herz der biegsamen Weiber 420
Ganz in die Irre führt, wenn eine die Tugend auch ehret.
Dieser fragte darauf, wer sie wär', und von wannen sie käme;

V. 402. Süria, vielleicht die Landzunge, worauf Sürakus steht, die damals
eine Insel oder Halbinsel war, oder von Homer, der diese Gegend nur dunkel kannte,
dafür gehalten ward. Die Insel Ortügia war durch Artemis Geburt unter den
Griechen berühmt. Hier hatten die Föniker vielleicht einen Sonnenweiser, der
durch den Schatten einer Seule die Sonnenwenden und Tagegleichen bemerkte.

Oduͤßee.
Wenn man ſo vieles erduldet, ſo viele Laͤnder durchirrt iſt. 400
Jezo will ich dir das verkuͤndigen, was du mich fragteſt:

Eine der Inſeln im Meer heißt Suͤria, wenn du ſie kenneſt, V. 402.
Ueber Ortuͤgia hin, wo die Sonnenwende zu ſehn iſt.
Groß iſt dieſe nicht ſehr von Umfang, aber doch fruchtbar,
Reich an Schafen und Rindern, an Wein und ſchoͤnem Getreide. 405
Nimmer beſucht der Hunger, und nimmer eine der andern
Schrecklichen Seuchen das Volk, die die armen Sterblichen hinrafft.
Sondern wann in der Stadt die Menſchen das Alter erreichen,
Koͤmmt die Freundin der Pfeil' und der Gott des ſilbernen Bogens,
Welche ſie unverſehens mit ſanften Geſchoßen erlegen. 410
Alda ſind zwo Staͤdte, die zwiefach alles getheilet;
Und von dieſen beiden war einſt mein Vater Beherſcher,
Ktaͤſios, Ormenos Sohn, ein Bild der unſterblichen Goͤtter.

Einſt beſuchten uns dort Foͤniker, beruͤhmt in der Seefahrt
Und Erzſchinder, und fuͤhrten im Schiff' unzaͤhliges Spielzeug. 415
Aber im Hauſe des Vaters war eine foͤnikiſche Sklavin,
Schoͤngebildet und groß und klug in kuͤnſtlicher Arbeit.
Dieſe verfuͤhrten mit Liſt die raͤnkegeuͤbten Foͤniker.
Einer von ihnen pflog, da ſie wuſch, beim ſchwaͤrzlichen Schiffe,
Heimlicher Liebe mit ihr; die das Herz der biegſamen Weiber 420
Ganz in die Irre fuͤhrt, wenn eine die Tugend auch ehret.
Dieſer fragte darauf, wer ſie waͤr', und von wannen ſie kaͤme;

V. 402. Suͤria, vielleicht die Landzunge, worauf Suͤrakus ſteht, die damals
eine Inſel oder Halbinſel war, oder von Homer, der dieſe Gegend nur dunkel kannte,
dafuͤr gehalten ward. Die Inſel Ortuͤgia war durch Artemis Geburt unter den
Griechen beruͤhmt. Hier hatten die Foͤniker vielleicht einen Sonnenweiſer, der
durch den Schatten einer Seule die Sonnenwenden und Tagegleichen bemerkte.
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[298/0304] Oduͤßee. Wenn man ſo vieles erduldet, ſo viele Laͤnder durchirrt iſt. Jezo will ich dir das verkuͤndigen, was du mich fragteſt: 400 Eine der Inſeln im Meer heißt Suͤria, wenn du ſie kenneſt, V. 402. Ueber Ortuͤgia hin, wo die Sonnenwende zu ſehn iſt. Groß iſt dieſe nicht ſehr von Umfang, aber doch fruchtbar, Reich an Schafen und Rindern, an Wein und ſchoͤnem Getreide. Nimmer beſucht der Hunger, und nimmer eine der andern Schrecklichen Seuchen das Volk, die die armen Sterblichen hinrafft. Sondern wann in der Stadt die Menſchen das Alter erreichen, Koͤmmt die Freundin der Pfeil' und der Gott des ſilbernen Bogens, Welche ſie unverſehens mit ſanften Geſchoßen erlegen. Alda ſind zwo Staͤdte, die zwiefach alles getheilet; Und von dieſen beiden war einſt mein Vater Beherſcher, Ktaͤſios, Ormenos Sohn, ein Bild der unſterblichen Goͤtter. 405 410 Einſt beſuchten uns dort Foͤniker, beruͤhmt in der Seefahrt Und Erzſchinder, und fuͤhrten im Schiff' unzaͤhliges Spielzeug. Aber im Hauſe des Vaters war eine foͤnikiſche Sklavin, Schoͤngebildet und groß und klug in kuͤnſtlicher Arbeit. Dieſe verfuͤhrten mit Liſt die raͤnkegeuͤbten Foͤniker. Einer von ihnen pflog, da ſie wuſch, beim ſchwaͤrzlichen Schiffe, Heimlicher Liebe mit ihr; die das Herz der biegſamen Weiber Ganz in die Irre fuͤhrt, wenn eine die Tugend auch ehret. Dieſer fragte darauf, wer ſie waͤr', und von wannen ſie kaͤme; 415 420 V. 402. Suͤria, vielleicht die Landzunge, worauf Suͤrakus ſteht, die damals eine Inſel oder Halbinſel war, oder von Homer, der dieſe Gegend nur dunkel kannte, dafuͤr gehalten ward. Die Inſel Ortuͤgia war durch Artemis Geburt unter den Griechen beruͤhmt. Hier hatten die Foͤniker vielleicht einen Sonnenweiſer, der durch den Schatten einer Seule die Sonnenwenden und Tagegleichen bemerkte.

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/304>, abgerufen am 23.11.2024.