Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Funfzehnter Gesang.

Ganz unmöglich, Tälemachos, wär' es, wie sehr wir auch eilten:
Diese düstere Nacht zu durchfahren! Und bald ist es Morgen! 50
Darum warte, bis uns mit Geschenken den Wagen belade
Atreus edler Sohn, der kriegrische Held Menelaos,
Und mit gefälligen Worten uns freundlich von sich entlaße.
Denn es erinnert sich ein Gast zeitlebens des Mannes,
Welcher in fernem Lande mit Lieb und Freundschaft ihn aufnahm. 55

Also sprach er; da kam die goldenthronende Aeos.
Jezo nahte sich ihnen der Rufer im Streit Menelaos,
Seiner Helena Lager, der schöngelockten, verlaßend.
Als der geliebte Sohn von Odüßeus diesen bemerkte,
Hüllte sich eilend der Held in den feinen prächtigen Leibrock, 60
Warf den großen Mantel sich über die rüstigen Schultern,
Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und sagte:

Atreus göttlicher Sohn, Menelaos, Führer der Völker,
Laß mich jezo von dir ins liebe Vaterland ziehen;
Denn von ganzem Herzen begehr' ich jezo der Heimkehr. 65

Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos:
Ferne sei es von mir, Tälemachos, dich zu verweilen,
Wenn du nach Hause dich sehnst! Ich tadle selber den Gastfreund,
Deßen Höflichkeit uns und überzärtliche Freundschaft
Plagende Feindschaft wird. Das Beßte bei allem ist Ordnung! 70
Traun! gleich arg sind beide: Wer seinem zögernden Gaste
Heimzukehren gebeut, und wer den eilenden auf hält.
Bleibt er, so pflege des Gastes; und will er gehen, so laß ihn!
Aber warte, bis ich ein schönes Geschenk auf den Wagen
Leg', und du selber es sehest; und meinen Weibern befehle, 75
Dir von des Hauses Kost ein reichliches Mahl zu bereiten.

Funfzehnter Geſang.

Ganz unmoͤglich, Taͤlemachos, waͤr' es, wie ſehr wir auch eilten:
Dieſe duͤſtere Nacht zu durchfahren! Und bald iſt es Morgen! 50
Darum warte, bis uns mit Geſchenken den Wagen belade
Atreus edler Sohn, der kriegriſche Held Menelaos,
Und mit gefaͤlligen Worten uns freundlich von ſich entlaße.
Denn es erinnert ſich ein Gaſt zeitlebens des Mannes,
Welcher in fernem Lande mit Lieb und Freundſchaft ihn aufnahm. 55

Alſo ſprach er; da kam die goldenthronende Aeos.
Jezo nahte ſich ihnen der Rufer im Streit Menelaos,
Seiner Helena Lager, der ſchoͤngelockten, verlaßend.
Als der geliebte Sohn von Oduͤßeus dieſen bemerkte,
Huͤllte ſich eilend der Held in den feinen praͤchtigen Leibrock, 60
Warf den großen Mantel ſich uͤber die ruͤſtigen Schultern,
Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und ſagte:

Atreus goͤttlicher Sohn, Menelaos, Fuͤhrer der Voͤlker,
Laß mich jezo von dir ins liebe Vaterland ziehen;
Denn von ganzem Herzen begehr' ich jezo der Heimkehr. 65

Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos:
Ferne ſei es von mir, Taͤlemachos, dich zu verweilen,
Wenn du nach Hauſe dich ſehnſt! Ich tadle ſelber den Gaſtfreund,
Deßen Hoͤflichkeit uns und uͤberzaͤrtliche Freundſchaft
Plagende Feindſchaft wird. Das Beßte bei allem iſt Ordnung! 70
Traun! gleich arg ſind beide: Wer ſeinem zoͤgernden Gaſte
Heimzukehren gebeut, und wer den eilenden auf haͤlt.
Bleibt er, ſo pflege des Gaſtes; und will er gehen, ſo laß ihn!
Aber warte, bis ich ein ſchoͤnes Geſchenk auf den Wagen
Leg', und du ſelber es ſeheſt; und meinen Weibern befehle, 75
Dir von des Hauſes Koſt ein reichliches Mahl zu bereiten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0291" n="285"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Funfzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
        <p>Ganz unmo&#x0364;glich, Ta&#x0364;lemachos, wa&#x0364;r' es, wie &#x017F;ehr wir auch eilten:<lb/>
Die&#x017F;e du&#x0364;&#x017F;tere Nacht zu durchfahren! Und bald i&#x017F;t es Morgen! <note place="right">50</note><lb/>
Darum warte, bis uns mit Ge&#x017F;chenken den Wagen belade<lb/>
Atreus edler Sohn, der kriegri&#x017F;che Held Menelaos,<lb/>
Und mit gefa&#x0364;lligen Worten uns freundlich von &#x017F;ich entlaße.<lb/>
Denn es erinnert &#x017F;ich ein Ga&#x017F;t zeitlebens des Mannes,<lb/>
Welcher in fernem Lande mit Lieb und Freund&#x017F;chaft ihn aufnahm. <note place="right">55</note></p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er; da kam die goldenthronende Aeos.<lb/>
Jezo nahte &#x017F;ich ihnen der Rufer im Streit Menelaos,<lb/>
Seiner Helena Lager, der &#x017F;cho&#x0364;ngelockten, verlaßend.<lb/>
Als der geliebte Sohn von Odu&#x0364;ßeus die&#x017F;en bemerkte,<lb/>
Hu&#x0364;llte &#x017F;ich eilend der Held in den feinen pra&#x0364;chtigen Leibrock, <note place="right">60</note><lb/>
Warf den großen Mantel &#x017F;ich u&#x0364;ber die ru&#x0364;&#x017F;tigen Schultern,<lb/>
Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>Atreus go&#x0364;ttlicher Sohn, Menelaos, Fu&#x0364;hrer der Vo&#x0364;lker,<lb/>
Laß mich jezo von dir ins liebe Vaterland ziehen;<lb/>
Denn von ganzem Herzen begehr' ich jezo der Heimkehr. <note place="right">65</note></p><lb/>
        <p>Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos:<lb/>
Ferne &#x017F;ei es von mir, Ta&#x0364;lemachos, dich zu verweilen,<lb/>
Wenn du nach Hau&#x017F;e dich &#x017F;ehn&#x017F;t! Ich tadle &#x017F;elber den Ga&#x017F;tfreund,<lb/>
Deßen Ho&#x0364;flichkeit uns und u&#x0364;berza&#x0364;rtliche Freund&#x017F;chaft<lb/>
Plagende Feind&#x017F;chaft wird. Das Beßte bei allem i&#x017F;t Ordnung! <note place="right">70</note><lb/>
Traun! gleich arg &#x017F;ind beide: Wer &#x017F;einem zo&#x0364;gernden Ga&#x017F;te<lb/>
Heimzukehren gebeut, und wer den eilenden auf ha&#x0364;lt.<lb/>
Bleibt er, &#x017F;o pflege des Ga&#x017F;tes; und will er gehen, &#x017F;o laß ihn!<lb/>
Aber warte, bis ich ein &#x017F;cho&#x0364;nes Ge&#x017F;chenk auf den Wagen<lb/>
Leg', und du &#x017F;elber es &#x017F;ehe&#x017F;t; und meinen Weibern befehle, <note place="right">75</note><lb/>
Dir von des Hau&#x017F;es Ko&#x017F;t ein reichliches Mahl zu bereiten.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[285/0291] Funfzehnter Geſang. Ganz unmoͤglich, Taͤlemachos, waͤr' es, wie ſehr wir auch eilten: Dieſe duͤſtere Nacht zu durchfahren! Und bald iſt es Morgen! Darum warte, bis uns mit Geſchenken den Wagen belade Atreus edler Sohn, der kriegriſche Held Menelaos, Und mit gefaͤlligen Worten uns freundlich von ſich entlaße. Denn es erinnert ſich ein Gaſt zeitlebens des Mannes, Welcher in fernem Lande mit Lieb und Freundſchaft ihn aufnahm. 50 55 Alſo ſprach er; da kam die goldenthronende Aeos. Jezo nahte ſich ihnen der Rufer im Streit Menelaos, Seiner Helena Lager, der ſchoͤngelockten, verlaßend. Als der geliebte Sohn von Oduͤßeus dieſen bemerkte, Huͤllte ſich eilend der Held in den feinen praͤchtigen Leibrock, Warf den großen Mantel ſich uͤber die ruͤſtigen Schultern, Ging dann hinaus, und trat zu Menelaos, und ſagte: 60 Atreus goͤttlicher Sohn, Menelaos, Fuͤhrer der Voͤlker, Laß mich jezo von dir ins liebe Vaterland ziehen; Denn von ganzem Herzen begehr' ich jezo der Heimkehr. 65 Ihm antwortete drauf der Rufer im Streit Menelaos: Ferne ſei es von mir, Taͤlemachos, dich zu verweilen, Wenn du nach Hauſe dich ſehnſt! Ich tadle ſelber den Gaſtfreund, Deßen Hoͤflichkeit uns und uͤberzaͤrtliche Freundſchaft Plagende Feindſchaft wird. Das Beßte bei allem iſt Ordnung! Traun! gleich arg ſind beide: Wer ſeinem zoͤgernden Gaſte Heimzukehren gebeut, und wer den eilenden auf haͤlt. Bleibt er, ſo pflege des Gaſtes; und will er gehen, ſo laß ihn! Aber warte, bis ich ein ſchoͤnes Geſchenk auf den Wagen Leg', und du ſelber es ſeheſt; und meinen Weibern befehle, Dir von des Hauſes Koſt ein reichliches Mahl zu bereiten. 70 75

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/291
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/291>, abgerufen am 25.11.2024.