Daß die Bettler hinfort sich scheuen, Lügen zu schwazen. 400
Ihm antwortete drauf der edle Hüter der Schweine: Fremdling, da wäre mir traun! bei allen Menschen auf Erden Großes Lob und Verdienst für jezt und immer gesichert, Hätt' ich dich erst in die Hütte geführt, und freundlich bewirtet, Und erschlüge dich dann, und raubte dein liebes Leben! 405 Freudigkeit gäbe mir das, vor Zeus Kronion zu beten! Aber die Stunde zum Eßen ist da; bald kommen die Leute Heim, mit mir in der Hütte das köstliche Mahl zu bereiten.
Also besprachen diese sich jezo unter einander. Und nun kamen die Schwein' und ihre Hirten vom Felde. 410 Diese schloßen sie drauf in ihre Ställe zum Schlafen, Und laut tönte das Schreien der eingetriebenen Schweine. Aber seinen Gehülfen befahl der trefliche Sauhirt:
Bringt das fetteste Schwein, für den fremden Gast es zu opfern, Und uns selber einmal zu erquicken, da wir so lange 415 Um weißzahnichte Schweine Verdruß und Kummer erduldet, Während andre umsonst all' unsere Mühe verpraßen!
Also sprach er, und spaltete Holz mit dem grausamen Erze. Jene führten ins Haus ein fett fünfjähriges Mastschwein, Stellten es drauf an den Heerd. Es vergaß der trefliche Sauhirt 420 Auch der Unsterblichen nicht, denn fromm war seine Gesinnung; Sondern begann das Opfer, und warf in die Flamme das Stirnhaar Vom weißzahnichten Schwein, und flehte den Himmlischen allen, Daß sie dem weisen Odüßeus doch heimzukehren vergönnten; Schwung nun die Eichenkluft, die er beim Spalten zurückwarf, 425 Schlugs, und sein Leben entfloh; die andern schlachteten, sengten, Und zerstückten es schnell. Das Fett bedeckte der Sauhirt
Oduͤßee.
Daß die Bettler hinfort ſich ſcheuen, Luͤgen zu ſchwazen. 400
Ihm antwortete drauf der edle Huͤter der Schweine: Fremdling, da waͤre mir traun! bei allen Menſchen auf Erden Großes Lob und Verdienſt fuͤr jezt und immer geſichert, Haͤtt' ich dich erſt in die Huͤtte gefuͤhrt, und freundlich bewirtet, Und erſchluͤge dich dann, und raubte dein liebes Leben! 405 Freudigkeit gaͤbe mir das, vor Zeus Kronion zu beten! Aber die Stunde zum Eßen iſt da; bald kommen die Leute Heim, mit mir in der Huͤtte das koͤſtliche Mahl zu bereiten.
Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander. Und nun kamen die Schwein' und ihre Hirten vom Felde. 410 Dieſe ſchloßen ſie drauf in ihre Staͤlle zum Schlafen, Und laut toͤnte das Schreien der eingetriebenen Schweine. Aber ſeinen Gehuͤlfen befahl der trefliche Sauhirt:
Bringt das fetteſte Schwein, fuͤr den fremden Gaſt es zu opfern, Und uns ſelber einmal zu erquicken, da wir ſo lange 415 Um weißzahnichte Schweine Verdruß und Kummer erduldet, Waͤhrend andre umſonſt all' unſere Muͤhe verpraßen!
Alſo ſprach er, und ſpaltete Holz mit dem grauſamen Erze. Jene fuͤhrten ins Haus ein fett fuͤnfjaͤhriges Maſtſchwein, Stellten es drauf an den Heerd. Es vergaß der trefliche Sauhirt 420 Auch der Unſterblichen nicht, denn fromm war ſeine Geſinnung; Sondern begann das Opfer, und warf in die Flamme das Stirnhaar Vom weißzahnichten Schwein, und flehte den Himmliſchen allen, Daß ſie dem weiſen Oduͤßeus doch heimzukehren vergoͤnnten; Schwung nun die Eichenkluft, die er beim Spalten zuruͤckwarf, 425 Schlugs, und ſein Leben entfloh; die andern ſchlachteten, ſengten, Und zerſtuͤckten es ſchnell. Das Fett bedeckte der Sauhirt
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Oduͤßee.
Daß die Bettler hinfort ſich ſcheuen, Luͤgen zu ſchwazen.
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Ihm antwortete drauf der edle Huͤter der Schweine:
Fremdling, da waͤre mir traun! bei allen Menſchen auf Erden
Großes Lob und Verdienſt fuͤr jezt und immer geſichert,
Haͤtt' ich dich erſt in die Huͤtte gefuͤhrt, und freundlich bewirtet,
Und erſchluͤge dich dann, und raubte dein liebes Leben!
Freudigkeit gaͤbe mir das, vor Zeus Kronion zu beten!
Aber die Stunde zum Eßen iſt da; bald kommen die Leute
Heim, mit mir in der Huͤtte das koͤſtliche Mahl zu bereiten.
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Alſo beſprachen dieſe ſich jezo unter einander.
Und nun kamen die Schwein' und ihre Hirten vom Felde.
Dieſe ſchloßen ſie drauf in ihre Staͤlle zum Schlafen,
Und laut toͤnte das Schreien der eingetriebenen Schweine.
Aber ſeinen Gehuͤlfen befahl der trefliche Sauhirt:
410
Bringt das fetteſte Schwein, fuͤr den fremden Gaſt es zu opfern,
Und uns ſelber einmal zu erquicken, da wir ſo lange
Um weißzahnichte Schweine Verdruß und Kummer erduldet,
Waͤhrend andre umſonſt all' unſere Muͤhe verpraßen!
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Alſo ſprach er, und ſpaltete Holz mit dem grauſamen Erze.
Jene fuͤhrten ins Haus ein fett fuͤnfjaͤhriges Maſtſchwein,
Stellten es drauf an den Heerd. Es vergaß der trefliche Sauhirt
Auch der Unſterblichen nicht, denn fromm war ſeine Geſinnung;
Sondern begann das Opfer, und warf in die Flamme das Stirnhaar
Vom weißzahnichten Schwein, und flehte den Himmliſchen allen,
Daß ſie dem weiſen Oduͤßeus doch heimzukehren vergoͤnnten;
Schwung nun die Eichenkluft, die er beim Spalten zuruͤckwarf,
Schlugs, und ſein Leben entfloh; die andern ſchlachteten, ſengten,
Und zerſtuͤckten es ſchnell. Das Fett bedeckte der Sauhirt
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/284>, abgerufen am 25.11.2024.
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