Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Irrt' ich umher, bis die Götter sich meines Jammers erbarmten:
Außer daß du zulezt in dem fetten faiakischen Eiland
Mich durch Worte gestärkt, und zu der Stadt mich geführt hast.
Jezo fleh' ich dich an bei deinem Vater: (ich fürchte
Immer, ich sei noch nicht in Ithaka, sondern durchirre 325
Wieder ein anderes Land, und spottend habest du, Göttin,
Mir dies alles verkündet, um meine Seele zu teuschen:)
Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande?

Drauf antwortete Zeus blauäugichte Tochter Athänä:
Stets bewahrest du doch im Herzen jene Gesinnung; 330
Darum kann ich dich auch im Unglück nimmer verlaßen,
Weil du behutsam bist, scharfsinnig und männliches Herzens.
Jeder irrende Mann der spät heimkehrte, wie freudig
Würd' er zu Hause nun eilen, sein Weib und die Kinder zu sehen!
Aber dich kümmert das nicht, zu wißen oder zu fragen, 335
Eh du selber dein Weib geprüft hast, welche beständig
So im Hause sizt; denn immer schwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Thränen die Nächte.
Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, sondern mein Herz war
Ueberzeugt, du kehrtest ohn alle Gefährten zur Heimat; 340
Aber ich scheuete mich, Poseidon entgegen zu kämpfen,
Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte,
Zürnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet.
Aber damit du mir glaubest, so zeig' ich dir Ithaka's Lage.
Forküs, dem Greise des Meers, ist dieser Hafen geheiligt; 345
Hier am Gestade grünt der weitumschattende Oelbaum;
Dieses ist die große gewölbete Grotte des Felsens,
Wo du den Nümfen oft vollkommene Opfer gebracht hast;

Oduͤßee.
Irrt' ich umher, bis die Goͤtter ſich meines Jammers erbarmten:
Außer daß du zulezt in dem fetten faiakiſchen Eiland
Mich durch Worte geſtaͤrkt, und zu der Stadt mich gefuͤhrt haſt.
Jezo fleh' ich dich an bei deinem Vater: (ich fuͤrchte
Immer, ich ſei noch nicht in Ithaka, ſondern durchirre 325
Wieder ein anderes Land, und ſpottend habeſt du, Goͤttin,
Mir dies alles verkuͤndet, um meine Seele zu teuſchen:)
Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande?

Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ:
Stets bewahreſt du doch im Herzen jene Geſinnung; 330
Darum kann ich dich auch im Ungluͤck nimmer verlaßen,
Weil du behutſam biſt, ſcharfſinnig und maͤnnliches Herzens.
Jeder irrende Mann der ſpaͤt heimkehrte, wie freudig
Wuͤrd' er zu Hauſe nun eilen, ſein Weib und die Kinder zu ſehen!
Aber dich kuͤmmert das nicht, zu wißen oder zu fragen, 335
Eh du ſelber dein Weib gepruͤft haſt, welche beſtaͤndig
So im Hauſe ſizt; denn immer ſchwinden in Jammer
Ihre Tage dahin, und unter Thraͤnen die Naͤchte.
Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, ſondern mein Herz war
Ueberzeugt, du kehrteſt ohn alle Gefaͤhrten zur Heimat; 340
Aber ich ſcheuete mich, Poſeidon entgegen zu kaͤmpfen,
Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte,
Zuͤrnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet.
Aber damit du mir glaubeſt, ſo zeig' ich dir Ithaka's Lage.
Forkuͤs, dem Greiſe des Meers, iſt dieſer Hafen geheiligt; 345
Hier am Geſtade gruͤnt der weitumſchattende Oelbaum;
Dieſes iſt die große gewoͤlbete Grotte des Felſens,
Wo du den Nuͤmfen oft vollkommene Opfer gebracht haſt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0264" n="258"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Irrt' ich umher, bis die Go&#x0364;tter &#x017F;ich meines Jammers erbarmten:<lb/>
Außer daß du zulezt in dem fetten faiaki&#x017F;chen Eiland<lb/>
Mich durch Worte ge&#x017F;ta&#x0364;rkt, und zu der Stadt mich gefu&#x0364;hrt ha&#x017F;t.<lb/>
Jezo fleh' ich dich an bei deinem Vater: (ich fu&#x0364;rchte<lb/>
Immer, ich &#x017F;ei noch nicht in Ithaka, &#x017F;ondern durchirre <note place="right">325</note><lb/>
Wieder ein anderes Land, und &#x017F;pottend habe&#x017F;t du, Go&#x0364;ttin,<lb/>
Mir dies alles verku&#x0364;ndet, um meine Seele zu teu&#x017F;chen:)<lb/>
Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande?</p><lb/>
        <p>Drauf antwortete Zeus blaua&#x0364;ugichte Tochter Atha&#x0364;na&#x0364;:<lb/>
Stets bewahre&#x017F;t du doch im Herzen jene Ge&#x017F;innung; <note place="right">330</note><lb/>
Darum kann ich dich auch im Unglu&#x0364;ck nimmer verlaßen,<lb/>
Weil du behut&#x017F;am bi&#x017F;t, &#x017F;charf&#x017F;innig und ma&#x0364;nnliches Herzens.<lb/>
Jeder irrende Mann der &#x017F;pa&#x0364;t heimkehrte, wie freudig<lb/>
Wu&#x0364;rd' er zu Hau&#x017F;e nun eilen, &#x017F;ein Weib und die Kinder zu &#x017F;ehen!<lb/>
Aber dich ku&#x0364;mmert das nicht, zu wißen oder zu fragen, <note place="right">335</note><lb/>
Eh du &#x017F;elber dein Weib gepru&#x0364;ft ha&#x017F;t, welche be&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
So im Hau&#x017F;e &#x017F;izt; denn immer &#x017F;chwinden in Jammer<lb/>
Ihre Tage dahin, und unter Thra&#x0364;nen die Na&#x0364;chte.<lb/>
Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, &#x017F;ondern mein Herz war<lb/>
Ueberzeugt, du kehrte&#x017F;t ohn alle Gefa&#x0364;hrten zur Heimat; <note place="right">340</note><lb/>
Aber ich &#x017F;cheuete mich, Po&#x017F;eidon entgegen zu ka&#x0364;mpfen,<lb/>
Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte,<lb/>
Zu&#x0364;rnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet.<lb/>
Aber damit du mir glaube&#x017F;t, &#x017F;o zeig' ich dir Ithaka's Lage.<lb/>
Forku&#x0364;s, dem Grei&#x017F;e des Meers, i&#x017F;t die&#x017F;er Hafen geheiligt; <note place="right">345</note><lb/>
Hier am Ge&#x017F;tade gru&#x0364;nt der weitum&#x017F;chattende Oelbaum;<lb/>
Die&#x017F;es i&#x017F;t die große gewo&#x0364;lbete Grotte des Fel&#x017F;ens,<lb/>
Wo du den Nu&#x0364;mfen oft vollkommene Opfer gebracht ha&#x017F;t;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0264] Oduͤßee. Irrt' ich umher, bis die Goͤtter ſich meines Jammers erbarmten: Außer daß du zulezt in dem fetten faiakiſchen Eiland Mich durch Worte geſtaͤrkt, und zu der Stadt mich gefuͤhrt haſt. Jezo fleh' ich dich an bei deinem Vater: (ich fuͤrchte Immer, ich ſei noch nicht in Ithaka, ſondern durchirre Wieder ein anderes Land, und ſpottend habeſt du, Goͤttin, Mir dies alles verkuͤndet, um meine Seele zu teuſchen:) Sage mir, bin ich denn wirklich im lieben Vaterlande? 325 Drauf antwortete Zeus blauaͤugichte Tochter Athaͤnaͤ: Stets bewahreſt du doch im Herzen jene Geſinnung; Darum kann ich dich auch im Ungluͤck nimmer verlaßen, Weil du behutſam biſt, ſcharfſinnig und maͤnnliches Herzens. Jeder irrende Mann der ſpaͤt heimkehrte, wie freudig Wuͤrd' er zu Hauſe nun eilen, ſein Weib und die Kinder zu ſehen! Aber dich kuͤmmert das nicht, zu wißen oder zu fragen, Eh du ſelber dein Weib gepruͤft haſt, welche beſtaͤndig So im Hauſe ſizt; denn immer ſchwinden in Jammer Ihre Tage dahin, und unter Thraͤnen die Naͤchte. Zwar ich zweifelte nie an der Wahrheit, ſondern mein Herz war Ueberzeugt, du kehrteſt ohn alle Gefaͤhrten zur Heimat; Aber ich ſcheuete mich, Poſeidon entgegen zu kaͤmpfen, Meines Vaters Bruder, der dich mit Rache verfolgte, Zuͤrnend, weil du das Auge des lieben Sohnes geblendet. Aber damit du mir glaubeſt, ſo zeig' ich dir Ithaka's Lage. Forkuͤs, dem Greiſe des Meers, iſt dieſer Hafen geheiligt; Hier am Geſtade gruͤnt der weitumſchattende Oelbaum; Dieſes iſt die große gewoͤlbete Grotte des Felſens, Wo du den Nuͤmfen oft vollkommene Opfer gebracht haſt; 330 335 340 345

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/264
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/264>, abgerufen am 18.05.2024.