Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Elfter Gesang.
Freudig begrüßt zu werden! Doch jene, das Scheusal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedächtniß, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!

Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte: 435
Wehe! wie fürchterlich hat Kronions waltende Vorsicht
Durch arglistige Weiber, den Samen Atreus von Anfang
Heimgesucht! Wie viele sind Helenens halber gestorben!
Und du verlorst, heimkehrend, durch Klütaimnästra dein Leben!

Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte: 440
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau' ihr nicht aus Zärtlichkeit jedes Geheimniß;
Sondern verkündige dies, und jenes halte verborgen!
Aber, Odüßeus, du wirst nicht sterben durch deine Gemahlin;
Denn sie ist rechtschaffen, und Weisheit adelt die Seele 445
Von Ikarios Tochter, der klugen Pänelopeia.
Ach wir verließen sie einst als junge Frau im Palaste,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmündiges Knäblein
Lag an der Brust, der nun in den Kreis der Männer sich hinsezt.
Glücklicher Sohn! ihn schaut einst wiederkehrend sein Vater, 450
Und er begrüßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; sie hat zuvor mich ermordet.
Höre nun meinen Rath, und bewahr' ihn sorgsam im Herzen:
Lande mit deinem Schiff ans vaterländische Ufer 455
Heimlich, nicht öffentlich an; denn nimmer ist Weibern zu trauen!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehört von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der sandigen Pülos,

Elfter Geſang.
Freudig begruͤßt zu werden! Doch jene, das Scheuſal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedaͤchtniß, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine ſich auch des Guten befleißigt!

Alſo ſprach er; und ich antwortete wieder, und ſagte: 435
Wehe! wie fuͤrchterlich hat Kronions waltende Vorſicht
Durch argliſtige Weiber, den Samen Atreus von Anfang
Heimgeſucht! Wie viele ſind Helenens halber geſtorben!
Und du verlorſt, heimkehrend, durch Kluͤtaimnaͤſtra dein Leben!

Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: 440
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau' ihr nicht aus Zaͤrtlichkeit jedes Geheimniß;
Sondern verkuͤndige dies, und jenes halte verborgen!
Aber, Oduͤßeus, du wirſt nicht ſterben durch deine Gemahlin;
Denn ſie iſt rechtſchaffen, und Weisheit adelt die Seele 445
Von Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia.
Ach wir verließen ſie einſt als junge Frau im Palaſte,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmuͤndiges Knaͤblein
Lag an der Bruſt, der nun in den Kreis der Maͤnner ſich hinſezt.
Gluͤcklicher Sohn! ihn ſchaut einſt wiederkehrend ſein Vater, 450
Und er begruͤßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; ſie hat zuvor mich ermordet.
Hoͤre nun meinen Rath, und bewahr' ihn ſorgſam im Herzen:
Lande mit deinem Schiff ans vaterlaͤndiſche Ufer 455
Heimlich, nicht oͤffentlich an; denn nimmer iſt Weibern zu trauen!
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehoͤrt von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der ſandigen Puͤlos,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0227" n="221"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Elfter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Freudig begru&#x0364;ßt zu werden! Doch jene, das Scheu&#x017F;al an Bosheit!<lb/>
Hat ihr eignes Geda&#x0364;chtniß, und alle Weiber der Nachwelt<lb/>
Ewig entehrt, wenn eine &#x017F;ich auch des Guten befleißigt!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er; und ich antwortete wieder, und &#x017F;agte: <note place="right">435</note><lb/>
Wehe! wie fu&#x0364;rchterlich hat Kronions waltende Vor&#x017F;icht<lb/>
Durch argli&#x017F;tige Weiber, den Samen Atreus von Anfang<lb/>
Heimge&#x017F;ucht! Wie viele &#x017F;ind Helenens halber ge&#x017F;torben!<lb/>
Und du verlor&#x017F;t, heimkehrend, durch Klu&#x0364;taimna&#x0364;&#x017F;tra dein Leben!</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach ich; und drauf antwortete jener, und &#x017F;agte: <note place="right">440</note><lb/>
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,<lb/>
Und vertrau' ihr nicht aus Za&#x0364;rtlichkeit jedes Geheimniß;<lb/>
Sondern verku&#x0364;ndige dies, und jenes halte verborgen!<lb/>
Aber, Odu&#x0364;ßeus, du wir&#x017F;t nicht &#x017F;terben durch deine Gemahlin;<lb/>
Denn &#x017F;ie i&#x017F;t recht&#x017F;chaffen, und Weisheit adelt die Seele <note place="right">445</note><lb/>
Von Ikarios Tochter, der klugen Pa&#x0364;nelopeia.<lb/>
Ach wir verließen &#x017F;ie ein&#x017F;t als junge Frau im Pala&#x017F;te,<lb/>
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmu&#x0364;ndiges Kna&#x0364;blein<lb/>
Lag an der Bru&#x017F;t, der nun in den Kreis der Ma&#x0364;nner &#x017F;ich hin&#x017F;ezt.<lb/>
Glu&#x0364;cklicher Sohn! ihn &#x017F;chaut ein&#x017F;t wiederkehrend &#x017F;ein Vater, <note place="right">450</note><lb/>
Und er begru&#x0364;ßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!<lb/>
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick<lb/>
Meines Sohnes erlaubt; &#x017F;ie hat zuvor mich ermordet.<lb/>
Ho&#x0364;re nun meinen Rath, und bewahr' ihn &#x017F;org&#x017F;am im Herzen:<lb/>
Lande mit deinem Schiff ans vaterla&#x0364;ndi&#x017F;che Ufer <note place="right">455</note><lb/>
Heimlich, nicht o&#x0364;ffentlich an; denn nimmer i&#x017F;t Weibern zu trauen!<lb/>
Aber verku&#x0364;ndige mir, und &#x017F;age die lautere Wahrheit:<lb/>
Habt ihr etwa geho&#x0364;rt von meinem noch lebenden Sohne,<lb/>
In Orchomenos, oder vielleicht in der &#x017F;andigen Pu&#x0364;los,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0227] Elfter Geſang. Freudig begruͤßt zu werden! Doch jene, das Scheuſal an Bosheit! Hat ihr eignes Gedaͤchtniß, und alle Weiber der Nachwelt Ewig entehrt, wenn eine ſich auch des Guten befleißigt! Alſo ſprach er; und ich antwortete wieder, und ſagte: Wehe! wie fuͤrchterlich hat Kronions waltende Vorſicht Durch argliſtige Weiber, den Samen Atreus von Anfang Heimgeſucht! Wie viele ſind Helenens halber geſtorben! Und du verlorſt, heimkehrend, durch Kluͤtaimnaͤſtra dein Leben! 435 Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken, Und vertrau' ihr nicht aus Zaͤrtlichkeit jedes Geheimniß; Sondern verkuͤndige dies, und jenes halte verborgen! Aber, Oduͤßeus, du wirſt nicht ſterben durch deine Gemahlin; Denn ſie iſt rechtſchaffen, und Weisheit adelt die Seele Von Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia. Ach wir verließen ſie einſt als junge Frau im Palaſte, Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmuͤndiges Knaͤblein Lag an der Bruſt, der nun in den Kreis der Maͤnner ſich hinſezt. Gluͤcklicher Sohn! ihn ſchaut einſt wiederkehrend ſein Vater, Und er begruͤßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe! Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick Meines Sohnes erlaubt; ſie hat zuvor mich ermordet. Hoͤre nun meinen Rath, und bewahr' ihn ſorgſam im Herzen: Lande mit deinem Schiff ans vaterlaͤndiſche Ufer Heimlich, nicht oͤffentlich an; denn nimmer iſt Weibern zu trauen! Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit: Habt ihr etwa gehoͤrt von meinem noch lebenden Sohne, In Orchomenos, oder vielleicht in der ſandigen Puͤlos, 440 445 450 455

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/227
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/227>, abgerufen am 21.11.2024.