Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Elfter Gesang. Mit graunvollem Geschrei; und bleiches Entsezen ergriff mich.Nun befahl ich, und trieb aufs äußerste meine Gefährten, Beide liegenden Schafe, vom grausamen Erze getödtet, 45 Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten Aidäs schreckliche Macht und die strenge Persefoneia. Aber ich eilt', und zog das geschliffene Schwert von der Hüfte, Sezte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Todten Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teiresias fragte. 50 Erstlich kam die Seele von unserm Gefährten Elpänor. Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde; Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkäs Wohnung verlaßen, Weder beweint noch begraben; uns drängten andere Sorgen. Weinend erblickt' ich ihn, und fühlete herzliches Mitleid, 55 Und ich redet' ihn an, und sprach die geflügelten Worte: Sag', Elpänor, wie kamst du hinab ins nächtliche Dunkel? Also sprach ich; und drauf begann er mit schluchzender Stimme: Elfter Geſang. Mit graunvollem Geſchrei; und bleiches Entſezen ergriff mich.Nun befahl ich, und trieb aufs aͤußerſte meine Gefaͤhrten, Beide liegenden Schafe, vom grauſamen Erze getoͤdtet, 45 Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten Aïdaͤs ſchreckliche Macht und die ſtrenge Perſefoneia. Aber ich eilt', und zog das geſchliffene Schwert von der Huͤfte, Sezte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Todten Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teireſias fragte. 50 Erſtlich kam die Seele von unſerm Gefaͤhrten Elpaͤnor. Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde; Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkaͤs Wohnung verlaßen, Weder beweint noch begraben; uns draͤngten andere Sorgen. Weinend erblickt' ich ihn, und fuͤhlete herzliches Mitleid, 55 Und ich redet' ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte: Sag', Elpaͤnor, wie kamſt du hinab ins naͤchtliche Dunkel? Alſo ſprach ich; und drauf begann er mit ſchluchzender Stimme: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0213" n="207"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Elfter Geſang.</hi></fw><lb/> Mit graunvollem Geſchrei; und bleiches Entſezen ergriff mich.<lb/> Nun befahl ich, und trieb aufs aͤußerſte meine Gefaͤhrten,<lb/> Beide liegenden Schafe, vom grauſamen Erze getoͤdtet, <note place="right">45</note><lb/> Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten<lb/> Aïdaͤs ſchreckliche Macht und die ſtrenge Perſefoneia.<lb/> Aber ich eilt', und zog das geſchliffene Schwert von der Huͤfte,<lb/> Sezte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Todten<lb/> Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teireſias fragte. <note place="right">50</note><lb/> Erſtlich kam die Seele von unſerm Gefaͤhrten Elpaͤnor.<lb/> Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde;<lb/> Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkaͤs Wohnung verlaßen,<lb/> Weder beweint noch begraben; uns draͤngten andere Sorgen.<lb/> Weinend erblickt' ich ihn, und fuͤhlete herzliches Mitleid, <note place="right">55</note><lb/> Und ich redet' ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:</p><lb/> <p>Sag', Elpaͤnor, wie kamſt du hinab ins naͤchtliche Dunkel?<lb/> Gingſt du ſchneller zu Fuß, als ich im ſchwaͤrzlichen Schiffe?</p><lb/> <p>Alſo ſprach ich; und drauf begann er mit ſchluchzender Stimme:<lb/> Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus, <note place="right">60</note><lb/> Ach ein feindlicher Geiſt und der Weinrauſch war mein Verderben!<lb/> Schlummernd auf Kirkaͤs Palaſt, vergaß ich in meiner Betaͤubung,<lb/> Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu ſteigen;<lb/> Sondern ich ſtuͤrzte mich grade vom Dache hinunter; der Nacken<lb/> Brach aus ſeinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe. <note place="right">65</note><lb/> Doch nun fleh' ich dich an bei deinen verlaßenen Lieben,<lb/> Deiner Gemahlin, dem Vater, der dich als Knaben gepfleget,<lb/> Und bei dem einzigen Sohne Taͤlemachos, welcher daheim blieb;<lb/> Denn ich weiß es, du kehrſt zuruͤck aus Aïdaͤs Herſchaft,<lb/> Und dein ruͤſtiges Schiff erreicht die Inſel Aiaia! <note place="right">70</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [207/0213]
Elfter Geſang.
Mit graunvollem Geſchrei; und bleiches Entſezen ergriff mich.
Nun befahl ich, und trieb aufs aͤußerſte meine Gefaͤhrten,
Beide liegenden Schafe, vom grauſamen Erze getoͤdtet,
Abzuziehn und ins Feuer zu werfen, und anzubeten
Aïdaͤs ſchreckliche Macht und die ſtrenge Perſefoneia.
Aber ich eilt', und zog das geſchliffene Schwert von der Huͤfte,
Sezte mich hin, und ließ die Luftgebilde der Todten
Sich dem Blute nicht nahn, bevor ich Teireſias fragte.
Erſtlich kam die Seele von unſerm Gefaͤhrten Elpaͤnor.
Denn er ruhte noch nicht in der weitumwanderten Erde;
Sondern wir hatten den Leichnam in Kirkaͤs Wohnung verlaßen,
Weder beweint noch begraben; uns draͤngten andere Sorgen.
Weinend erblickt' ich ihn, und fuͤhlete herzliches Mitleid,
Und ich redet' ihn an, und ſprach die gefluͤgelten Worte:
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Sag', Elpaͤnor, wie kamſt du hinab ins naͤchtliche Dunkel?
Gingſt du ſchneller zu Fuß, als ich im ſchwaͤrzlichen Schiffe?
Alſo ſprach ich; und drauf begann er mit ſchluchzender Stimme:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus,
Ach ein feindlicher Geiſt und der Weinrauſch war mein Verderben!
Schlummernd auf Kirkaͤs Palaſt, vergaß ich in meiner Betaͤubung,
Wieder hinab die Stufen der langen Treppe zu ſteigen;
Sondern ich ſtuͤrzte mich grade vom Dache hinunter; der Nacken
Brach aus ſeinem Gelenk, und die Seele fuhr in die Tiefe.
Doch nun fleh' ich dich an bei deinen verlaßenen Lieben,
Deiner Gemahlin, dem Vater, der dich als Knaben gepfleget,
Und bei dem einzigen Sohne Taͤlemachos, welcher daheim blieb;
Denn ich weiß es, du kehrſt zuruͤck aus Aïdaͤs Herſchaft,
Und dein ruͤſtiges Schiff erreicht die Inſel Aiaia!
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