Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Erster Gesang.

Eine Dienerin trug in der schönen goldenen Kanne,
Ueber dem silbernen Becken, das Wasser, beströmte zum Waschen
Ihnen die Händ', und stellte vor sie die geglättete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tischte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem gesammelten Vorrat. 140
Hierauf kam der Zerleger, und bracht' in erhobenen Schüßeln
Allerlei Fleisch, und sezte vor sie die goldenen Becher.
Und ein geschäftiger Herold versorgte sie reichlich mit Weine.

Jezo kamen auch die mutigen Freier, und saßen
All' in langen Reihen auf prächtigen Thronen und Seßeln. 145
Herolde goßen ihnen das Wasser über die Hände.
Aber die Mägde sezten gehäufte Körbe mit Brod auf.
Jünglinge füllten die Kelche bis oben mit dem Getränke,
Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speise gestillt war, 150
Dachten die üppigen Freier auf neue Reize der Seelen,
Auf Gesang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden.
Und ein Herold reichte die schöngebildete Harfe
Fämios hin, der an Kunst des Gesangs vor allen berühmt war,
Fämios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu singen. 155
Prüfend durchrauscht' er die Saiten, und hub den schönen Gesang an.

Aber Tälemachos neigte das Haupt zu Pallas Athänä,
Und sprach leise zu ihr, damit es die andern nicht hörten:

Lieber Gastfreund, wirst du mir auch die Rede verargen?
Diese können sich wohl bei Saitenspiel' und Gesange 160
Freun, da sie ungestraft des Mannes Habe verschwelgen,
Deßen weißes Gebein vielleicht schon an fernem Gestade
Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewälzt wird.

Erſter Geſang.

Eine Dienerin trug in der ſchoͤnen goldenen Kanne,
Ueber dem ſilbernen Becken, das Waſſer, beſtroͤmte zum Waſchen
Ihnen die Haͤnd', und ſtellte vor ſie die geglaͤttete Tafel.
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tiſchte das Brot auf,
Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrat. 140
Hierauf kam der Zerleger, und bracht' in erhobenen Schuͤßeln
Allerlei Fleiſch, und ſezte vor ſie die goldenen Becher.
Und ein geſchaͤftiger Herold verſorgte ſie reichlich mit Weine.

Jezo kamen auch die mutigen Freier, und ſaßen
All' in langen Reihen auf praͤchtigen Thronen und Seßeln. 145
Herolde goßen ihnen das Waſſer uͤber die Haͤnde.
Aber die Maͤgde ſezten gehaͤufte Koͤrbe mit Brod auf.
Juͤnglinge fuͤllten die Kelche bis oben mit dem Getraͤnke,
Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle.
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war, 150
Dachten die uͤppigen Freier auf neue Reize der Seelen,
Auf Geſang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden.
Und ein Herold reichte die ſchoͤngebildete Harfe
Faͤmios hin, der an Kunſt des Geſangs vor allen beruͤhmt war,
Faͤmios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu ſingen. 155
Pruͤfend durchrauſcht' er die Saiten, und hub den ſchoͤnen Geſang an.

Aber Taͤlemachos neigte das Haupt zu Pallas Athaͤnaͤ,
Und ſprach leiſe zu ihr, damit es die andern nicht hoͤrten:

Lieber Gaſtfreund, wirſt du mir auch die Rede verargen?
Dieſe koͤnnen ſich wohl bei Saitenſpiel' und Geſange 160
Freun, da ſie ungeſtraft des Mannes Habe verſchwelgen,
Deßen weißes Gebein vielleicht ſchon an fernem Geſtade
Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewaͤlzt wird.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0021" n="15"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Er&#x017F;ter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
        <p>Eine Dienerin trug in der &#x017F;cho&#x0364;nen goldenen Kanne,<lb/>
Ueber dem &#x017F;ilbernen Becken, das Wa&#x017F;&#x017F;er, be&#x017F;tro&#x0364;mte zum Wa&#x017F;chen<lb/>
Ihnen die Ha&#x0364;nd', und &#x017F;tellte vor &#x017F;ie die gegla&#x0364;ttete Tafel.<lb/>
Und die ehrbare Schaffnerin kam, und ti&#x017F;chte das Brot auf,<lb/>
Und der Gerichte viel aus ihrem ge&#x017F;ammelten Vorrat. <note place="right">140</note><lb/>
Hierauf kam der Zerleger, und bracht' in erhobenen Schu&#x0364;ßeln<lb/>
Allerlei Flei&#x017F;ch, und &#x017F;ezte vor &#x017F;ie die goldenen Becher.<lb/>
Und ein ge&#x017F;cha&#x0364;ftiger Herold ver&#x017F;orgte &#x017F;ie reichlich mit Weine.</p><lb/>
        <p>Jezo kamen auch die mutigen Freier, und &#x017F;aßen<lb/>
All' in langen Reihen auf pra&#x0364;chtigen Thronen und Seßeln. <note place="right">145</note><lb/>
Herolde goßen ihnen das Wa&#x017F;&#x017F;er u&#x0364;ber die Ha&#x0364;nde.<lb/>
Aber die Ma&#x0364;gde &#x017F;ezten geha&#x0364;ufte Ko&#x0364;rbe mit Brod auf.<lb/>
Ju&#x0364;nglinge fu&#x0364;llten die Kelche bis oben mit dem Getra&#x0364;nke,<lb/>
Und &#x017F;ie erhoben die Ha&#x0364;nde zum leckerbereiteten Mahle.<lb/>
Und nachdem die Begierde des Tranks und der Spei&#x017F;e ge&#x017F;tillt war, <note place="right">150</note><lb/>
Dachten die u&#x0364;ppigen Freier auf neue Reize der Seelen,<lb/>
Auf Ge&#x017F;ang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden.<lb/>
Und ein Herold reichte die &#x017F;cho&#x0364;ngebildete Harfe<lb/>
Fa&#x0364;mios hin, der an Kun&#x017F;t des Ge&#x017F;angs vor allen beru&#x0364;hmt war,<lb/>
Fa&#x0364;mios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu &#x017F;ingen. <note place="right">155</note><lb/>
Pru&#x0364;fend durchrau&#x017F;cht' er die Saiten, und hub den &#x017F;cho&#x0364;nen Ge&#x017F;ang an.</p><lb/>
        <p>Aber Ta&#x0364;lemachos neigte das Haupt zu Pallas Atha&#x0364;na&#x0364;,<lb/>
Und &#x017F;prach lei&#x017F;e zu ihr, damit es die andern nicht ho&#x0364;rten:</p><lb/>
        <p>Lieber Ga&#x017F;tfreund, wir&#x017F;t du mir auch die Rede verargen?<lb/>
Die&#x017F;e ko&#x0364;nnen &#x017F;ich wohl bei Saiten&#x017F;piel' und Ge&#x017F;ange <note place="right">160</note><lb/>
Freun, da &#x017F;ie unge&#x017F;traft des Mannes Habe ver&#x017F;chwelgen,<lb/>
Deßen weißes Gebein vielleicht &#x017F;chon an fernem Ge&#x017F;tade<lb/>
Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewa&#x0364;lzt wird.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0021] Erſter Geſang. Eine Dienerin trug in der ſchoͤnen goldenen Kanne, Ueber dem ſilbernen Becken, das Waſſer, beſtroͤmte zum Waſchen Ihnen die Haͤnd', und ſtellte vor ſie die geglaͤttete Tafel. Und die ehrbare Schaffnerin kam, und tiſchte das Brot auf, Und der Gerichte viel aus ihrem geſammelten Vorrat. Hierauf kam der Zerleger, und bracht' in erhobenen Schuͤßeln Allerlei Fleiſch, und ſezte vor ſie die goldenen Becher. Und ein geſchaͤftiger Herold verſorgte ſie reichlich mit Weine. 140 Jezo kamen auch die mutigen Freier, und ſaßen All' in langen Reihen auf praͤchtigen Thronen und Seßeln. Herolde goßen ihnen das Waſſer uͤber die Haͤnde. Aber die Maͤgde ſezten gehaͤufte Koͤrbe mit Brod auf. Juͤnglinge fuͤllten die Kelche bis oben mit dem Getraͤnke, Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle. Und nachdem die Begierde des Tranks und der Speiſe geſtillt war, Dachten die uͤppigen Freier auf neue Reize der Seelen, Auf Geſang und Tanz, des Mahles liebliche Zierden. Und ein Herold reichte die ſchoͤngebildete Harfe Faͤmios hin, der an Kunſt des Geſangs vor allen beruͤhmt war, Faͤmios, der bei den Freiern gezwungen wurde zu ſingen. Pruͤfend durchrauſcht' er die Saiten, und hub den ſchoͤnen Geſang an. 145 150 155 Aber Taͤlemachos neigte das Haupt zu Pallas Athaͤnaͤ, Und ſprach leiſe zu ihr, damit es die andern nicht hoͤrten: Lieber Gaſtfreund, wirſt du mir auch die Rede verargen? Dieſe koͤnnen ſich wohl bei Saitenſpiel' und Geſange Freun, da ſie ungeſtraft des Mannes Habe verſchwelgen, Deßen weißes Gebein vielleicht ſchon an fernem Geſtade Modert im Regen, vielleicht von den Meereswogen gewaͤlzt wird. 160

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/21
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/21>, abgerufen am 19.04.2024.