Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee. Neunter Gesang.
Ithaka's sonnige Höhn sind meine Heimat; in dieser
Thürmet sich Näritons Haupt mit rauschenden Wipfeln; und ringsum,
Dicht an einander gesät, sind viele bevölkerte Inseln,
Samä, Dulichion und die waldbewachsne Zakünthos.
Ithaka liegt in der See am höchsten hinauf an die Veste, 25
Gegen den Nord; die andern sind östlich und südlich entfernet.
Rauh ist diese, doch nähret sie rüstige Männer; und wahrlich
Süßer als Vaterland ist nichts auf Erden zu finden!
Siehe mich hielt bei sich die hehre Göttin Kalüpso
In der gewölbeten Grotte, und wünschte mich zum Gemahle; 30
Eben so hielt mich auch die aiaiische Zauberin Kirkä
Trüglich in ihrem Palast, und wünschte mich zum Gemahle:
Aber keiner gelang es, mein standhaftes Herz zu bewegen.
Denn nichts ist doch süßer, als unsere Heimat und Eltern,
Wenn man auch in der Fern' ein Haus voll köstlicher Güter, 35
Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet!

Aber wohlan! vernim izt meine traurige Heimfahrt,
Die mir der Donnerer Zeus vom troischen Ufer beschieden.
Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen V. 39.
Ismaros hin. Da verheert' ich die Stadt, und würgte die Männer. 40
Aber die jungen Weiber und Schäze theilten wir alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
Jezo warnet' ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße
Weiter zu fliehn; allein die Unbesonnenen blieben.
Und nun ward in dem Weine geschwelgt, viel Ziegen und Schafe 45
An dem Ufer geschlachtet, und viel schwerwandelndes Hornvieh.

V. 39. Die Kikonen wohnten in Thrazien, und waren Bundsgenoßen der
Trojaner.

Oduͤßee. Neunter Geſang.
Ithaka's ſonnige Hoͤhn ſind meine Heimat; in dieſer
Thuͤrmet ſich Naͤritons Haupt mit rauſchenden Wipfeln; und ringsum,
Dicht an einander geſaͤt, ſind viele bevoͤlkerte Inſeln,
Samaͤ, Dulichion und die waldbewachſne Zakuͤnthos.
Ithaka liegt in der See am hoͤchſten hinauf an die Veſte, 25
Gegen den Nord; die andern ſind oͤſtlich und ſuͤdlich entfernet.
Rauh iſt dieſe, doch naͤhret ſie ruͤſtige Maͤnner; und wahrlich
Suͤßer als Vaterland iſt nichts auf Erden zu finden!
Siehe mich hielt bei ſich die hehre Goͤttin Kaluͤpſo
In der gewoͤlbeten Grotte, und wuͤnſchte mich zum Gemahle; 30
Eben ſo hielt mich auch die aiaiiſche Zauberin Kirkaͤ
Truͤglich in ihrem Palaſt, und wuͤnſchte mich zum Gemahle:
Aber keiner gelang es, mein ſtandhaftes Herz zu bewegen.
Denn nichts iſt doch ſuͤßer, als unſere Heimat und Eltern,
Wenn man auch in der Fern' ein Haus voll koͤſtlicher Guͤter, 35
Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet!

Aber wohlan! vernim izt meine traurige Heimfahrt,
Die mir der Donnerer Zeus vom troiſchen Ufer beſchieden.
Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen V. 39.
Ismaros hin. Da verheert' ich die Stadt, und wuͤrgte die Maͤnner. 40
Aber die jungen Weiber und Schaͤze theilten wir alle
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.
Jezo warnet' ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße
Weiter zu fliehn; allein die Unbeſonnenen blieben.
Und nun ward in dem Weine geſchwelgt, viel Ziegen und Schafe 45
An dem Ufer geſchlachtet, und viel ſchwerwandelndes Hornvieh.

V. 39. Die Kikonen wohnten in Thrazien, und waren Bundsgenoßen der
Trojaner.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0169" n="163"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee. Neunter Ge&#x017F;ang.</hi></fw><lb/>
Ithaka's &#x017F;onnige Ho&#x0364;hn &#x017F;ind meine Heimat; in die&#x017F;er<lb/>
Thu&#x0364;rmet &#x017F;ich Na&#x0364;ritons Haupt mit rau&#x017F;chenden Wipfeln; und ringsum,<lb/>
Dicht an einander ge&#x017F;a&#x0364;t, &#x017F;ind viele bevo&#x0364;lkerte In&#x017F;eln,<lb/>
Sama&#x0364;, Dulichion und die waldbewach&#x017F;ne Zaku&#x0364;nthos.<lb/>
Ithaka liegt in der See am ho&#x0364;ch&#x017F;ten hinauf an die Ve&#x017F;te, <note place="right">25</note><lb/>
Gegen den Nord; die andern &#x017F;ind o&#x0364;&#x017F;tlich und &#x017F;u&#x0364;dlich entfernet.<lb/>
Rauh i&#x017F;t die&#x017F;e, doch na&#x0364;hret &#x017F;ie ru&#x0364;&#x017F;tige Ma&#x0364;nner; und wahrlich<lb/>
Su&#x0364;ßer als Vaterland i&#x017F;t nichts auf Erden zu finden!<lb/>
Siehe mich hielt bei &#x017F;ich die hehre Go&#x0364;ttin Kalu&#x0364;p&#x017F;o<lb/>
In der gewo&#x0364;lbeten Grotte, und wu&#x0364;n&#x017F;chte mich zum Gemahle; <note place="right">30</note><lb/>
Eben &#x017F;o hielt mich auch die aiaii&#x017F;che Zauberin Kirka&#x0364;<lb/>
Tru&#x0364;glich in ihrem Pala&#x017F;t, und wu&#x0364;n&#x017F;chte mich zum Gemahle:<lb/>
Aber keiner gelang es, mein &#x017F;tandhaftes Herz zu bewegen.<lb/>
Denn nichts i&#x017F;t doch &#x017F;u&#x0364;ßer, als un&#x017F;ere Heimat und Eltern,<lb/>
Wenn man auch in der Fern' ein Haus voll ko&#x0364;&#x017F;tlicher Gu&#x0364;ter, <note place="right">35</note><lb/>
Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet!</p><lb/>
        <p>Aber wohlan! vernim izt meine traurige Heimfahrt,<lb/>
Die mir der Donnerer Zeus vom troi&#x017F;chen Ufer be&#x017F;chieden.<lb/>
Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen <note place="foot" n="V. 39.">Die Kikonen wohnten in Thrazien, und waren Bundsgenoßen der<lb/>
Trojaner.</note><lb/>
Ismaros hin. Da verheert' ich die Stadt, und wu&#x0364;rgte die Ma&#x0364;nner. <note place="right">40</note><lb/>
Aber die jungen Weiber und Scha&#x0364;ze theilten wir alle<lb/>
Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging.<lb/>
Jezo warnet' ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße<lb/>
Weiter zu fliehn; allein die Unbe&#x017F;onnenen blieben.<lb/>
Und nun ward in dem Weine ge&#x017F;chwelgt, viel Ziegen und Schafe <note place="right">45</note><lb/>
An dem Ufer ge&#x017F;chlachtet, und viel &#x017F;chwerwandelndes Hornvieh.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0169] Oduͤßee. Neunter Geſang. Ithaka's ſonnige Hoͤhn ſind meine Heimat; in dieſer Thuͤrmet ſich Naͤritons Haupt mit rauſchenden Wipfeln; und ringsum, Dicht an einander geſaͤt, ſind viele bevoͤlkerte Inſeln, Samaͤ, Dulichion und die waldbewachſne Zakuͤnthos. Ithaka liegt in der See am hoͤchſten hinauf an die Veſte, Gegen den Nord; die andern ſind oͤſtlich und ſuͤdlich entfernet. Rauh iſt dieſe, doch naͤhret ſie ruͤſtige Maͤnner; und wahrlich Suͤßer als Vaterland iſt nichts auf Erden zu finden! Siehe mich hielt bei ſich die hehre Goͤttin Kaluͤpſo In der gewoͤlbeten Grotte, und wuͤnſchte mich zum Gemahle; Eben ſo hielt mich auch die aiaiiſche Zauberin Kirkaͤ Truͤglich in ihrem Palaſt, und wuͤnſchte mich zum Gemahle: Aber keiner gelang es, mein ſtandhaftes Herz zu bewegen. Denn nichts iſt doch ſuͤßer, als unſere Heimat und Eltern, Wenn man auch in der Fern' ein Haus voll koͤſtlicher Guͤter, Unter fremden Leuten, getrennt von den Seinen, bewohnet! 25 30 35 Aber wohlan! vernim izt meine traurige Heimfahrt, Die mir der Donnerer Zeus vom troiſchen Ufer beſchieden. Gleich von Ilion trieb mich der Wind zur Stadt der Kikonen V. 39. Ismaros hin. Da verheert' ich die Stadt, und wuͤrgte die Maͤnner. Aber die jungen Weiber und Schaͤze theilten wir alle Unter uns gleich, daß keiner leer von der Beute mir ausging. Jezo warnet' ich zwar die Freunde, mit eilendem Fuße Weiter zu fliehn; allein die Unbeſonnenen blieben. Und nun ward in dem Weine geſchwelgt, viel Ziegen und Schafe An dem Ufer geſchlachtet, und viel ſchwerwandelndes Hornvieh. 40 45 V. 39. Die Kikonen wohnten in Thrazien, und waren Bundsgenoßen der Trojaner.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/169
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/169>, abgerufen am 21.11.2024.