Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Achter Gesang.

Sprachs; und mitsamt dem Mantel erhub er sich, faßte die Scheibe,
Welche größer und dicker und noch viel schwerer an Wucht war,
Als womit die Faiaken sich unter einander ergözten.
Diese schwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte;
Und hinsauste der Stein. Da bückten sich eilig zur Erden 190
Alle Faiaken, die Führer der langberuderten Schiffe,
Unter dem stürmenden Stein. Weit über die Zeichen der Andern
Flog er, geschnellt von der Faust. Und Athänä sezte das Merkmal,
Eines Mannes Gestalt nachahmend, und sprach zu Odüßeus:

Selbst ein blinder Mann mit tappenden Händen, o Fremdling, 195
Fände dein Zeichen heraus; denn nicht vermischt mit der Menge,
Weit vor den übrigen ist es! In diesem Kampfe sei sicher!
Kein Faiake wird dich erreichen, oder besiegen.

Also rief ihm die Göttin. Der herliche Dulder Odüßeus
Freute sich, einen gewogenen Mann im Volke zu sehen; 200
Und mit leichterem Herzen begann er zu den Faiaken:

Schleudert jezo mir nach, ihr Jünglinge! Bald soll die andre,
Hoff' ich, eben so weit, vielleicht noch weiter, entfliegen!
Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,
Komm' und versuch' ihn mit mir; denn ihr habt mich höchlich beleidigt! 205
Auf die Faust, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!
Jeder faiakische Mann, nur nicht Laodamas, komme!
Denn er ist mein Wirt! Wer kämpfte mit seinem Beschüzer?
Wahrlich vernunftlos ist und keines Wehrtes der Fremdling,
Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn speiset und herbergt, 210
Zum Wettkampfe beruft; er opfert sein eigenes Wohl hin.
Sonst werd' ich Keinen von euch ausschlagen oder verachten,
Sondern jeden erkennen, und seine Stärke versuchen,

Achter Geſang.

Sprachs; und mitſamt dem Mantel erhub er ſich, faßte die Scheibe,
Welche groͤßer und dicker und noch viel ſchwerer an Wucht war,
Als womit die Faiaken ſich unter einander ergoͤzten.
Dieſe ſchwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte;
Und hinſauſte der Stein. Da buͤckten ſich eilig zur Erden 190
Alle Faiaken, die Fuͤhrer der langberuderten Schiffe,
Unter dem ſtuͤrmenden Stein. Weit uͤber die Zeichen der Andern
Flog er, geſchnellt von der Fauſt. Und Athaͤnaͤ ſezte das Merkmal,
Eines Mannes Geſtalt nachahmend, und ſprach zu Oduͤßeus:

Selbſt ein blinder Mann mit tappenden Haͤnden, o Fremdling, 195
Faͤnde dein Zeichen heraus; denn nicht vermiſcht mit der Menge,
Weit vor den uͤbrigen iſt es! In dieſem Kampfe ſei ſicher!
Kein Faiake wird dich erreichen, oder beſiegen.

Alſo rief ihm die Goͤttin. Der herliche Dulder Oduͤßeus
Freute ſich, einen gewogenen Mann im Volke zu ſehen; 200
Und mit leichterem Herzen begann er zu den Faiaken:

Schleudert jezo mir nach, ihr Juͤnglinge! Bald ſoll die andre,
Hoff' ich, eben ſo weit, vielleicht noch weiter, entfliegen!
Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,
Komm' und verſuch' ihn mit mir; denn ihr habt mich hoͤchlich beleidigt! 205
Auf die Fauſt, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!
Jeder faiakiſche Mann, nur nicht Laodamas, komme!
Denn er iſt mein Wirt! Wer kaͤmpfte mit ſeinem Beſchuͤzer?
Wahrlich vernunftlos iſt und keines Wehrtes der Fremdling,
Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn ſpeiſet und herbergt, 210
Zum Wettkampfe beruft; er opfert ſein eigenes Wohl hin.
Sonſt werd' ich Keinen von euch ausſchlagen oder verachten,
Sondern jeden erkennen, und ſeine Staͤrke verſuchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0153" n="147"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Achter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
        <p>Sprachs; und mit&#x017F;amt dem Mantel erhub er &#x017F;ich, faßte die Scheibe,<lb/>
Welche gro&#x0364;ßer und dicker und noch viel &#x017F;chwerer an Wucht war,<lb/>
Als womit die Faiaken &#x017F;ich unter einander ergo&#x0364;zten.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;chwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte;<lb/>
Und hin&#x017F;au&#x017F;te der Stein. Da bu&#x0364;ckten &#x017F;ich eilig zur Erden <note place="right">190</note><lb/>
Alle Faiaken, die Fu&#x0364;hrer der langberuderten Schiffe,<lb/>
Unter dem &#x017F;tu&#x0364;rmenden Stein. Weit u&#x0364;ber die Zeichen der Andern<lb/>
Flog er, ge&#x017F;chnellt von der Fau&#x017F;t. Und Atha&#x0364;na&#x0364; &#x017F;ezte das Merkmal,<lb/>
Eines Mannes Ge&#x017F;talt nachahmend, und &#x017F;prach zu Odu&#x0364;ßeus:</p><lb/>
        <p>Selb&#x017F;t ein blinder Mann mit tappenden Ha&#x0364;nden, o Fremdling, <note place="right">195</note><lb/>
Fa&#x0364;nde dein Zeichen heraus; denn nicht vermi&#x017F;cht mit der Menge,<lb/>
Weit vor den u&#x0364;brigen i&#x017F;t es! In die&#x017F;em Kampfe &#x017F;ei &#x017F;icher!<lb/>
Kein Faiake wird dich erreichen, oder be&#x017F;iegen.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o rief ihm die Go&#x0364;ttin. Der herliche Dulder Odu&#x0364;ßeus<lb/>
Freute &#x017F;ich, einen gewogenen Mann im Volke zu &#x017F;ehen; <note place="right">200</note><lb/>
Und mit leichterem Herzen begann er zu den Faiaken:</p><lb/>
        <p>Schleudert jezo mir nach, ihr Ju&#x0364;nglinge! Bald &#x017F;oll die andre,<lb/>
Hoff' ich, eben &#x017F;o weit, vielleicht noch weiter, entfliegen!<lb/>
Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet,<lb/>
Komm' und ver&#x017F;uch' ihn mit mir; denn ihr habt mich ho&#x0364;chlich beleidigt! <note place="right">205</note><lb/>
Auf die Fau&#x017F;t, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines!<lb/>
Jeder faiaki&#x017F;che Mann, nur nicht Laodamas, komme!<lb/>
Denn er i&#x017F;t mein Wirt! Wer ka&#x0364;mpfte mit &#x017F;einem Be&#x017F;chu&#x0364;zer?<lb/>
Wahrlich vernunftlos i&#x017F;t und keines Wehrtes der Fremdling,<lb/>
Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn &#x017F;pei&#x017F;et und herbergt, <note place="right">210</note><lb/>
Zum Wettkampfe beruft; er opfert &#x017F;ein eigenes Wohl hin.<lb/>
Son&#x017F;t werd' ich Keinen von euch aus&#x017F;chlagen oder verachten,<lb/>
Sondern jeden erkennen, und &#x017F;eine Sta&#x0364;rke ver&#x017F;uchen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0153] Achter Geſang. Sprachs; und mitſamt dem Mantel erhub er ſich, faßte die Scheibe, Welche groͤßer und dicker und noch viel ſchwerer an Wucht war, Als womit die Faiaken ſich unter einander ergoͤzten. Dieſe ſchwung er im Wirbel, und warf mit der nervichten Rechte; Und hinſauſte der Stein. Da buͤckten ſich eilig zur Erden Alle Faiaken, die Fuͤhrer der langberuderten Schiffe, Unter dem ſtuͤrmenden Stein. Weit uͤber die Zeichen der Andern Flog er, geſchnellt von der Fauſt. Und Athaͤnaͤ ſezte das Merkmal, Eines Mannes Geſtalt nachahmend, und ſprach zu Oduͤßeus: 190 Selbſt ein blinder Mann mit tappenden Haͤnden, o Fremdling, Faͤnde dein Zeichen heraus; denn nicht vermiſcht mit der Menge, Weit vor den uͤbrigen iſt es! In dieſem Kampfe ſei ſicher! Kein Faiake wird dich erreichen, oder beſiegen. 195 Alſo rief ihm die Goͤttin. Der herliche Dulder Oduͤßeus Freute ſich, einen gewogenen Mann im Volke zu ſehen; Und mit leichterem Herzen begann er zu den Faiaken: 200 Schleudert jezo mir nach, ihr Juͤnglinge! Bald ſoll die andre, Hoff' ich, eben ſo weit, vielleicht noch weiter, entfliegen! Jeden anderen Kampf, wem Herz und Mut ihn gebietet, Komm' und verſuch' ihn mit mir; denn ihr habt mich hoͤchlich beleidigt! Auf die Fauſt, im Ringen, im Lauf, ich weigre mich keines! Jeder faiakiſche Mann, nur nicht Laodamas, komme! Denn er iſt mein Wirt! Wer kaͤmpfte mit ſeinem Beſchuͤzer? Wahrlich vernunftlos iſt und keines Wehrtes der Fremdling, Welcher in fernem Lande den Freund, der ihn ſpeiſet und herbergt, Zum Wettkampfe beruft; er opfert ſein eigenes Wohl hin. Sonſt werd' ich Keinen von euch ausſchlagen oder verachten, Sondern jeden erkennen, und ſeine Staͤrke verſuchen, 205 210

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/153
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/153>, abgerufen am 07.05.2024.