Guido ward verlegen, da ihm nichts über seine Herkunft bekannt war.
Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang spricht aus deiner Gestalt, die Kunst würde nichts zuzugeben vermögen, wenn sie dich in Marmor darstellte, nur am Haupte, an der Stirn, an Mund und Wange, bleiben einige Umrisse, einige Linien zu wünschen übrig.
Guido erröthete, gab aber doch mit unbe¬ fangenem Selbstgefühl die Antwort: Ich zähle noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung ist unvollendet. Wer weiß --
Dann bat er den Künstler, sein Profil so zu zeichnen, wie es die Forderung der höheren Wissenschaft verlange.
Es geschah. Neugierig gespannt blickte Guido hin. Es dünkte ihm jedoch, der Mann stände in seinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da. So überfliegt denn der Liebe Genius weit die Lehren der Kunsterfahrung, sagte er sich mit geheimen Entzücken.
Während dieser Unterhaltung bemerkte er, daß viele Schüler umher saßen, die ihn zeich¬ neten, und geschmeichelt, weilte er länger. Bei dem allen pflanzte sich Eitelkeit nicht in seine
Guido ward verlegen, da ihm nichts uͤber ſeine Herkunft bekannt war.
Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang ſpricht aus deiner Geſtalt, die Kunſt wuͤrde nichts zuzugeben vermoͤgen, wenn ſie dich in Marmor darſtellte, nur am Haupte, an der Stirn, an Mund und Wange, bleiben einige Umriſſe, einige Linien zu wuͤnſchen uͤbrig.
Guido erroͤthete, gab aber doch mit unbe¬ fangenem Selbſtgefuͤhl die Antwort: Ich zaͤhle noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung iſt unvollendet. Wer weiß —
Dann bat er den Kuͤnſtler, ſein Profil ſo zu zeichnen, wie es die Forderung der hoͤheren Wiſſenſchaft verlange.
Es geſchah. Neugierig geſpannt blickte Guido hin. Es duͤnkte ihm jedoch, der Mann ſtaͤnde in ſeinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da. So uͤberfliegt denn der Liebe Genius weit die Lehren der Kunſterfahrung, ſagte er ſich mit geheimen Entzuͤcken.
Waͤhrend dieſer Unterhaltung bemerkte er, daß viele Schuͤler umher ſaßen, die ihn zeich¬ neten, und geſchmeichelt, weilte er laͤnger. Bei dem allen pflanzte ſich Eitelkeit nicht in ſeine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0074"n="62"/><p>Guido ward verlegen, da ihm nichts uͤber<lb/>ſeine Herkunft bekannt war.</p><lb/><p>Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang<lb/>ſpricht aus deiner Geſtalt, die Kunſt wuͤrde nichts<lb/>
zuzugeben vermoͤgen, wenn ſie dich in Marmor<lb/>
darſtellte, nur am Haupte, an der Stirn, an<lb/>
Mund und Wange, bleiben einige Umriſſe, einige<lb/>
Linien zu wuͤnſchen uͤbrig.</p><lb/><p>Guido erroͤthete, gab aber doch mit unbe¬<lb/>
fangenem Selbſtgefuͤhl die Antwort: Ich zaͤhle<lb/>
noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung iſt<lb/>
unvollendet. Wer weiß —</p><lb/><p>Dann bat er den Kuͤnſtler, ſein Profil ſo zu<lb/>
zeichnen, wie es die Forderung der hoͤheren<lb/>
Wiſſenſchaft verlange.</p><lb/><p>Es geſchah. Neugierig geſpannt blickte Guido<lb/>
hin. Es duͤnkte ihm jedoch, der Mann ſtaͤnde in<lb/>ſeinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da.<lb/>
So uͤberfliegt denn der Liebe Genius weit die<lb/>
Lehren der Kunſterfahrung, ſagte er ſich mit<lb/>
geheimen Entzuͤcken.</p><lb/><p>Waͤhrend dieſer Unterhaltung bemerkte er,<lb/>
daß viele Schuͤler umher ſaßen, die ihn zeich¬<lb/>
neten, und geſchmeichelt, weilte er laͤnger. Bei<lb/>
dem allen pflanzte ſich Eitelkeit nicht in ſeine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[62/0074]
Guido ward verlegen, da ihm nichts uͤber
ſeine Herkunft bekannt war.
Der Bildner fuhr fort: Edler Einklang
ſpricht aus deiner Geſtalt, die Kunſt wuͤrde nichts
zuzugeben vermoͤgen, wenn ſie dich in Marmor
darſtellte, nur am Haupte, an der Stirn, an
Mund und Wange, bleiben einige Umriſſe, einige
Linien zu wuͤnſchen uͤbrig.
Guido erroͤthete, gab aber doch mit unbe¬
fangenem Selbſtgefuͤhl die Antwort: Ich zaͤhle
noch nicht zwanzig Jahre, meine Entwicklung iſt
unvollendet. Wer weiß —
Dann bat er den Kuͤnſtler, ſein Profil ſo zu
zeichnen, wie es die Forderung der hoͤheren
Wiſſenſchaft verlange.
Es geſchah. Neugierig geſpannt blickte Guido
hin. Es duͤnkte ihm jedoch, der Mann ſtaͤnde in
ſeinem Entwurf gegen Ini unvollkommen da.
So uͤberfliegt denn der Liebe Genius weit die
Lehren der Kunſterfahrung, ſagte er ſich mit
geheimen Entzuͤcken.
Waͤhrend dieſer Unterhaltung bemerkte er,
daß viele Schuͤler umher ſaßen, die ihn zeich¬
neten, und geſchmeichelt, weilte er laͤnger. Bei
dem allen pflanzte ſich Eitelkeit nicht in ſeine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/74>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.