Kaiser Marcus Aurelius II. berief zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Fürsten und Weisen aus allen Landen, um eine Verfassung zu grün¬ den, wie das Bedürfniß der vorgerückten Zeiten sie verlangte.
Hier wurde nun vorerst angetragen, den Namen abendländisches Kaiserthum aufzugeben. Was dürfen wir Rom nachahmen? fragte man. Unser Reich ist an Umfang, Reichthum und Ge¬ walt, bei weitem größer als das Reich der Qui¬ riten in seiner üppigsten Blüthe. Haben wir allenfalls in Asien mächtigere Feinde zu fürchten als sie, so fehlt es uns nicht an Bundgenossen, mit denen vereint wir ihnen kräftigen Wider¬ stand leisten können. Da auch die reinste Ge¬ meinsache der Zweck dieses großen Landtags ist, so heiße das Reich künftig die Republik Europa.
Aurelius, weit entfernt, seine Rechte gekränkt zu finden, sahe hier nur seine Wünsche ausge¬ sprochen.
Nur Gleichheit, sagte der weise Gekrönte, ist Verfassung des Rechts. Wenn Spaltung des Willens Ehedem die Republiken erschütterte, und sie zuletzt in Herrschaft der Willkühr untergehen ließ, so kam das daher, weil die Volksvernunft
Kaiſer Marcus Aurelius II. berief zu Anfang des zwanzigſten Jahrhunderts die Fuͤrſten und Weiſen aus allen Landen, um eine Verfaſſung zu gruͤn¬ den, wie das Beduͤrfniß der vorgeruͤckten Zeiten ſie verlangte.
Hier wurde nun vorerſt angetragen, den Namen abendlaͤndiſches Kaiſerthum aufzugeben. Was duͤrfen wir Rom nachahmen? fragte man. Unſer Reich iſt an Umfang, Reichthum und Ge¬ walt, bei weitem groͤßer als das Reich der Qui¬ riten in ſeiner uͤppigſten Bluͤthe. Haben wir allenfalls in Aſien maͤchtigere Feinde zu fuͤrchten als ſie, ſo fehlt es uns nicht an Bundgenoſſen, mit denen vereint wir ihnen kraͤftigen Wider¬ ſtand leiſten koͤnnen. Da auch die reinſte Ge¬ meinſache der Zweck dieſes großen Landtags iſt, ſo heiße das Reich kuͤnftig die Republik Europa.
Aurelius, weit entfernt, ſeine Rechte gekraͤnkt zu finden, ſahe hier nur ſeine Wuͤnſche ausge¬ ſprochen.
Nur Gleichheit, ſagte der weiſe Gekroͤnte, iſt Verfaſſung des Rechts. Wenn Spaltung des Willens Ehedem die Republiken erſchuͤtterte, und ſie zuletzt in Herrſchaft der Willkuͤhr untergehen ließ, ſo kam das daher, weil die Volksvernunft
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0059"n="47"/>
Kaiſer Marcus Aurelius <hirendition="#aq">II</hi>. berief zu Anfang des<lb/>
zwanzigſten Jahrhunderts die Fuͤrſten und Weiſen<lb/>
aus allen Landen, um eine Verfaſſung zu gruͤn¬<lb/>
den, wie das Beduͤrfniß der vorgeruͤckten Zeiten<lb/>ſie verlangte.</p><lb/><p>Hier wurde nun vorerſt angetragen, den<lb/>
Namen abendlaͤndiſches Kaiſerthum aufzugeben.<lb/>
Was duͤrfen wir Rom nachahmen? fragte man.<lb/>
Unſer Reich iſt an Umfang, Reichthum und Ge¬<lb/>
walt, bei weitem groͤßer als das Reich der Qui¬<lb/>
riten in ſeiner uͤppigſten Bluͤthe. Haben wir<lb/>
allenfalls in Aſien maͤchtigere Feinde zu fuͤrchten<lb/>
als ſie, ſo fehlt es uns nicht an Bundgenoſſen,<lb/>
mit denen vereint wir ihnen kraͤftigen Wider¬<lb/>ſtand leiſten koͤnnen. Da auch die reinſte Ge¬<lb/>
meinſache der Zweck dieſes großen Landtags iſt,<lb/>ſo heiße das Reich kuͤnftig die Republik Europa.</p><lb/><p>Aurelius, weit entfernt, ſeine Rechte gekraͤnkt<lb/>
zu finden, ſahe hier nur ſeine Wuͤnſche ausge¬<lb/>ſprochen.</p><lb/><p>Nur Gleichheit, ſagte der weiſe Gekroͤnte,<lb/>
iſt Verfaſſung des Rechts. Wenn Spaltung des<lb/>
Willens Ehedem die Republiken erſchuͤtterte, und<lb/>ſie zuletzt in Herrſchaft der Willkuͤhr untergehen<lb/>
ließ, ſo kam das daher, weil die Volksvernunft<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[47/0059]
Kaiſer Marcus Aurelius II. berief zu Anfang des
zwanzigſten Jahrhunderts die Fuͤrſten und Weiſen
aus allen Landen, um eine Verfaſſung zu gruͤn¬
den, wie das Beduͤrfniß der vorgeruͤckten Zeiten
ſie verlangte.
Hier wurde nun vorerſt angetragen, den
Namen abendlaͤndiſches Kaiſerthum aufzugeben.
Was duͤrfen wir Rom nachahmen? fragte man.
Unſer Reich iſt an Umfang, Reichthum und Ge¬
walt, bei weitem groͤßer als das Reich der Qui¬
riten in ſeiner uͤppigſten Bluͤthe. Haben wir
allenfalls in Aſien maͤchtigere Feinde zu fuͤrchten
als ſie, ſo fehlt es uns nicht an Bundgenoſſen,
mit denen vereint wir ihnen kraͤftigen Wider¬
ſtand leiſten koͤnnen. Da auch die reinſte Ge¬
meinſache der Zweck dieſes großen Landtags iſt,
ſo heiße das Reich kuͤnftig die Republik Europa.
Aurelius, weit entfernt, ſeine Rechte gekraͤnkt
zu finden, ſahe hier nur ſeine Wuͤnſche ausge¬
ſprochen.
Nur Gleichheit, ſagte der weiſe Gekroͤnte,
iſt Verfaſſung des Rechts. Wenn Spaltung des
Willens Ehedem die Republiken erſchuͤtterte, und
ſie zuletzt in Herrſchaft der Willkuͤhr untergehen
ließ, ſo kam das daher, weil die Volksvernunft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/59>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.