Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Goldkörnern, welche durch die halb durchsichtigen Gitterwandungen des Raumes hindurch schimmern. Hält dagegen unruhige See lang an, so verschwinden nach und nach die Goldkörner aus dem Kassenraume, das ganze Schluckmaul erscheint abgezehrt, blaß, matt und farblos, und dauert dieser Zustand über eine gewisse Zeit an, so löst sich endlich die ganze Organisation auf und es bleibt nur ein opaler, fadenziehender Gallertklumpen, der einen üblen Geruch verbreitet und das Wasser rings umher vergiftet. Deßhalb schreit auch jede Fiber in dem gesammten Staatsorganismus der Blasenträger nach Ruhe, nach Frieden um jeden Preis; deßhalb verfolgen sie mit wüthendem Hasse den Wind, der die Wogen aufregt, die Wellen, welche in die träge Ruhe Bewegung bringen; und wenn ihr Widerstand nichts fruchtet, so flüchten sie in weite Entfernung oder in tiefe unterseeische Klüfte, in denen sie sich vor dem Tageslichte und vor der Bewegung bergen. Hat man ja doch schon Blasenträger, die sonst nur an europäischen Küsten sich aufhalten, fern auf der hohen See angetroffen, steuernd und lenkend über den Ozean hinüber nach den amerikanischen Küsten, wo sie größere Sicherheit und Bürgschaft für die Ruhe zu finden hofften, als in dem alten Europa, welches nach der Versicherung einiger Sozialpathologen jetzt gerade in den letzten Zügen liegt und dabei noch viel an nervösen Erschütterungen, Krämpfen und Todesschluchzen zu leiden hat. Andere freilich wollen in diesen Erscheinungen einen jugendlichen Veitstanz sehen, eine Entwicklungskrankheit der reifenden Jungfran, nach deren Beendigung die Ehe mit der umgestalteten Gesellschaft erst recht geschlossen werden könne. Die Schluckmägen meiner Blasenträger lassen sich in diesen Streit gegenüberstehender Meinungen nicht ein; ihnen erscheint

Goldkörnern, welche durch die halb durchsichtigen Gitterwandungen des Raumes hindurch schimmern. Hält dagegen unruhige See lang an, so verschwinden nach und nach die Goldkörner aus dem Kassenraume, das ganze Schluckmaul erscheint abgezehrt, blaß, matt und farblos, und dauert dieser Zustand über eine gewisse Zeit an, so löst sich endlich die ganze Organisation auf und es bleibt nur ein opaler, fadenziehender Gallertklumpen, der einen üblen Geruch verbreitet und das Wasser rings umher vergiftet. Deßhalb schreit auch jede Fiber in dem gesammten Staatsorganismus der Blasenträger nach Ruhe, nach Frieden um jeden Preis; deßhalb verfolgen sie mit wüthendem Hasse den Wind, der die Wogen aufregt, die Wellen, welche in die träge Ruhe Bewegung bringen; und wenn ihr Widerstand nichts fruchtet, so flüchten sie in weite Entfernung oder in tiefe unterseeische Klüfte, in denen sie sich vor dem Tageslichte und vor der Bewegung bergen. Hat man ja doch schon Blasenträger, die sonst nur an europäischen Küsten sich aufhalten, fern auf der hohen See angetroffen, steuernd und lenkend über den Ozean hinüber nach den amerikanischen Küsten, wo sie größere Sicherheit und Bürgschaft für die Ruhe zu finden hofften, als in dem alten Europa, welches nach der Versicherung einiger Sozialpathologen jetzt gerade in den letzten Zügen liegt und dabei noch viel an nervösen Erschütterungen, Krämpfen und Todesschluchzen zu leiden hat. Andere freilich wollen in diesen Erscheinungen einen jugendlichen Veitstanz sehen, eine Entwicklungskrankheit der reifenden Jungfran, nach deren Beendigung die Ehe mit der umgestalteten Gesellschaft erst recht geschlossen werden könne. Die Schluckmägen meiner Blasenträger lassen sich in diesen Streit gegenüberstehender Meinungen nicht ein; ihnen erscheint

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0239" n="209"/>
Goldkörnern, welche durch die halb durchsichtigen Gitterwandungen des Raumes hindurch schimmern. Hält dagegen unruhige See lang an, so verschwinden nach und nach die Goldkörner aus dem Kassenraume, das ganze Schluckmaul erscheint abgezehrt, blaß, matt und farblos, und dauert dieser Zustand über eine gewisse Zeit an, so löst sich endlich die ganze Organisation auf und es bleibt nur ein opaler, fadenziehender Gallertklumpen, der einen üblen Geruch verbreitet und das Wasser rings umher vergiftet. Deßhalb schreit auch jede Fiber in dem gesammten Staatsorganismus der Blasenträger nach Ruhe, nach Frieden um jeden Preis; deßhalb verfolgen sie mit wüthendem Hasse den Wind, der die Wogen aufregt, die Wellen, welche in die träge Ruhe Bewegung bringen; und wenn ihr Widerstand nichts fruchtet, so flüchten sie in weite Entfernung oder in tiefe unterseeische Klüfte, in denen sie sich vor dem Tageslichte und vor der Bewegung bergen. Hat man ja doch schon Blasenträger, die sonst nur an europäischen Küsten sich aufhalten, fern auf der hohen See angetroffen, steuernd und lenkend über den Ozean hinüber nach den amerikanischen Küsten, wo sie größere Sicherheit und Bürgschaft für die Ruhe zu finden hofften, als in dem alten Europa, welches nach der Versicherung einiger Sozialpathologen jetzt gerade in den letzten Zügen liegt und dabei noch viel an nervösen Erschütterungen, Krämpfen und Todesschluchzen zu leiden hat. Andere freilich wollen in diesen Erscheinungen einen jugendlichen Veitstanz sehen, eine Entwicklungskrankheit der reifenden Jungfran, nach deren Beendigung die Ehe mit der umgestalteten Gesellschaft erst recht geschlossen werden könne. Die Schluckmägen meiner Blasenträger lassen sich in diesen Streit gegenüberstehender Meinungen nicht ein; ihnen erscheint
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0239] Goldkörnern, welche durch die halb durchsichtigen Gitterwandungen des Raumes hindurch schimmern. Hält dagegen unruhige See lang an, so verschwinden nach und nach die Goldkörner aus dem Kassenraume, das ganze Schluckmaul erscheint abgezehrt, blaß, matt und farblos, und dauert dieser Zustand über eine gewisse Zeit an, so löst sich endlich die ganze Organisation auf und es bleibt nur ein opaler, fadenziehender Gallertklumpen, der einen üblen Geruch verbreitet und das Wasser rings umher vergiftet. Deßhalb schreit auch jede Fiber in dem gesammten Staatsorganismus der Blasenträger nach Ruhe, nach Frieden um jeden Preis; deßhalb verfolgen sie mit wüthendem Hasse den Wind, der die Wogen aufregt, die Wellen, welche in die träge Ruhe Bewegung bringen; und wenn ihr Widerstand nichts fruchtet, so flüchten sie in weite Entfernung oder in tiefe unterseeische Klüfte, in denen sie sich vor dem Tageslichte und vor der Bewegung bergen. Hat man ja doch schon Blasenträger, die sonst nur an europäischen Küsten sich aufhalten, fern auf der hohen See angetroffen, steuernd und lenkend über den Ozean hinüber nach den amerikanischen Küsten, wo sie größere Sicherheit und Bürgschaft für die Ruhe zu finden hofften, als in dem alten Europa, welches nach der Versicherung einiger Sozialpathologen jetzt gerade in den letzten Zügen liegt und dabei noch viel an nervösen Erschütterungen, Krämpfen und Todesschluchzen zu leiden hat. Andere freilich wollen in diesen Erscheinungen einen jugendlichen Veitstanz sehen, eine Entwicklungskrankheit der reifenden Jungfran, nach deren Beendigung die Ehe mit der umgestalteten Gesellschaft erst recht geschlossen werden könne. Die Schluckmägen meiner Blasenträger lassen sich in diesen Streit gegenüberstehender Meinungen nicht ein; ihnen erscheint

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universität Michigan: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche „—“ werden als normale Gedankenstriche „–“ wiedergegeben.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/239
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/239>, abgerufen am 13.10.2024.