Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Theils aus humanitarischen Gründen ist man nun stets darauf aus-
gegangen, alle Menschen als Brüder darzustellen und deßhalb ihre
Abstammung von einem einzigen Paare mit allen nur erdenklichen
Gründen zu verfechten. Diese konnten aber immer nur darauf hinaus-
laufen, daß diese Nachkommen des ersten Menschenpaares sich über
die ganze Erde zerstreut hätten (eine rein hypothetische Annahme, für
die man niemals einen Schatten historischer Beweise aufbringen konnte)
und daß dann durch die Länge der Zeit in den verschiedenen Klimaten
die jetzt zu beobachtenden Varietäten entstanden seien, ebenfalls rein
hypothetische Annahme, für welche, wie schon bemerkt, die Naturge-
schichte des Menschen nicht eine einzige Thatsache bietet. Die gänz-
liche Unhaltbarkeit der mosaischen Mythe läßt sich endlich thatsächlich
nachweisen; -- denn hier handelt es sich nicht um eine Entstehung
des Menschengeschlechtes vor Millionen von Jahren und allmälige
Ausbildung der Varietät, sondern um Entwickelung dieser Varietäten
in chronologisch bestimmbarer Zeit, da durch diese Mythe Noah als
Einheitsvater des Menschengeschlechts dargestellt wird. Die Entwicke-
lung der Varietäten könnte also erst mit dessen Söhnen beginnen und
wir haben Denkmäler genug aus vormosaischer und späterer Zeit, um
thatsächlich darzuthun, daß damals die Verschiedenheit der Menschen-
arten schon in vollem Umfange existirte.

Es unterliegt deßhalb keinem Zweifel, daß die Menschengattung
ursprünglich aus mehreren, eben so genau von einander durch charak-
teristische Merkmale getrennten Arten bestehe, als die übrigen Säuge-
thiergattungen auch. Geologische Thatsachen weisen darauf hin, daß
die Länge der Epoche, während welcher die jetzige Schöpfung sich auf
der Erde befindet, schon außerordentlich bedeutend ist, so daß unsere
Chronologieen nur einen unendlich kleinen Bruchtheil davon darstel-
len und es ist wahrscheinlich, daß die Menschengattung diesen unge-
heueren Zeitraum von Jahren in Zuständen durchlaufen hat, analog
denen der wilden Völkerschaften und daß hierbei durch Mischung die
vielfachen Bastardformen entstanden, die wir jetzt als Zwischentypen
zwischen den schärfer charakterisirten Arten als Varietäten oder Rassen
betrachten.

Eine außerordentliche Schwierigkeit stellt sich ferner noch der
wissenschaftlichen Untersuchung der Naturgeschichte des Menschen durch
die Art und Weise entgegen, wie die Materialien zu derselben ge-
sammelt werden. Die meisten wissenschaftlichen Expeditionen sind bis

Theils aus humanitariſchen Gründen iſt man nun ſtets darauf aus-
gegangen, alle Menſchen als Brüder darzuſtellen und deßhalb ihre
Abſtammung von einem einzigen Paare mit allen nur erdenklichen
Gründen zu verfechten. Dieſe konnten aber immer nur darauf hinaus-
laufen, daß dieſe Nachkommen des erſten Menſchenpaares ſich über
die ganze Erde zerſtreut hätten (eine rein hypothetiſche Annahme, für
die man niemals einen Schatten hiſtoriſcher Beweiſe aufbringen konnte)
und daß dann durch die Länge der Zeit in den verſchiedenen Klimaten
die jetzt zu beobachtenden Varietäten entſtanden ſeien, ebenfalls rein
hypothetiſche Annahme, für welche, wie ſchon bemerkt, die Naturge-
ſchichte des Menſchen nicht eine einzige Thatſache bietet. Die gänz-
liche Unhaltbarkeit der moſaiſchen Mythe läßt ſich endlich thatſächlich
nachweiſen; — denn hier handelt es ſich nicht um eine Entſtehung
des Menſchengeſchlechtes vor Millionen von Jahren und allmälige
Ausbildung der Varietät, ſondern um Entwickelung dieſer Varietäten
in chronologiſch beſtimmbarer Zeit, da durch dieſe Mythe Noah als
Einheitsvater des Menſchengeſchlechts dargeſtellt wird. Die Entwicke-
lung der Varietäten könnte alſo erſt mit deſſen Söhnen beginnen und
wir haben Denkmäler genug aus vormoſaiſcher und ſpäterer Zeit, um
thatſächlich darzuthun, daß damals die Verſchiedenheit der Menſchen-
arten ſchon in vollem Umfange exiſtirte.

Es unterliegt deßhalb keinem Zweifel, daß die Menſchengattung
urſprünglich aus mehreren, eben ſo genau von einander durch charak-
teriſtiſche Merkmale getrennten Arten beſtehe, als die übrigen Säuge-
thiergattungen auch. Geologiſche Thatſachen weiſen darauf hin, daß
die Länge der Epoche, während welcher die jetzige Schöpfung ſich auf
der Erde befindet, ſchon außerordentlich bedeutend iſt, ſo daß unſere
Chronologieen nur einen unendlich kleinen Bruchtheil davon darſtel-
len und es iſt wahrſcheinlich, daß die Menſchengattung dieſen unge-
heueren Zeitraum von Jahren in Zuſtänden durchlaufen hat, analog
denen der wilden Völkerſchaften und daß hierbei durch Miſchung die
vielfachen Baſtardformen entſtanden, die wir jetzt als Zwiſchentypen
zwiſchen den ſchärfer charakteriſirten Arten als Varietäten oder Raſſen
betrachten.

Eine außerordentliche Schwierigkeit ſtellt ſich ferner noch der
wiſſenſchaftlichen Unterſuchung der Naturgeſchichte des Menſchen durch
die Art und Weiſe entgegen, wie die Materialien zu derſelben ge-
ſammelt werden. Die meiſten wiſſenſchaftlichen Expeditionen ſind bis

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0559" n="553"/>
Theils aus humanitari&#x017F;chen Gründen i&#x017F;t man nun &#x017F;tets darauf aus-<lb/>
gegangen, alle Men&#x017F;chen als Brüder darzu&#x017F;tellen und deßhalb ihre<lb/>
Ab&#x017F;tammung von einem einzigen Paare mit allen nur erdenklichen<lb/>
Gründen zu verfechten. Die&#x017F;e konnten aber immer nur darauf hinaus-<lb/>
laufen, daß die&#x017F;e Nachkommen des er&#x017F;ten Men&#x017F;chenpaares &#x017F;ich über<lb/>
die ganze Erde zer&#x017F;treut hätten (eine rein hypotheti&#x017F;che Annahme, für<lb/>
die man niemals einen Schatten hi&#x017F;tori&#x017F;cher Bewei&#x017F;e aufbringen konnte)<lb/>
und daß dann durch die Länge der Zeit in den ver&#x017F;chiedenen Klimaten<lb/>
die jetzt zu beobachtenden Varietäten ent&#x017F;tanden &#x017F;eien, ebenfalls rein<lb/>
hypotheti&#x017F;che Annahme, für welche, wie &#x017F;chon bemerkt, die Naturge-<lb/>
&#x017F;chichte des Men&#x017F;chen nicht eine einzige That&#x017F;ache bietet. Die gänz-<lb/>
liche Unhaltbarkeit der mo&#x017F;ai&#x017F;chen Mythe läßt &#x017F;ich endlich that&#x017F;ächlich<lb/>
nachwei&#x017F;en; &#x2014; denn hier handelt es &#x017F;ich nicht um eine Ent&#x017F;tehung<lb/>
des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes vor Millionen von Jahren und allmälige<lb/>
Ausbildung der Varietät, &#x017F;ondern um Entwickelung die&#x017F;er Varietäten<lb/>
in chronologi&#x017F;ch be&#x017F;timmbarer Zeit, da durch die&#x017F;e Mythe Noah als<lb/>
Einheitsvater des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts darge&#x017F;tellt wird. Die Entwicke-<lb/>
lung der Varietäten könnte al&#x017F;o er&#x017F;t mit de&#x017F;&#x017F;en Söhnen beginnen und<lb/>
wir haben Denkmäler genug aus vormo&#x017F;ai&#x017F;cher und &#x017F;päterer Zeit, um<lb/>
that&#x017F;ächlich darzuthun, daß damals die Ver&#x017F;chiedenheit der Men&#x017F;chen-<lb/>
arten &#x017F;chon in vollem Umfange exi&#x017F;tirte.</p><lb/>
                  <p>Es unterliegt deßhalb keinem Zweifel, daß die Men&#x017F;chengattung<lb/>
ur&#x017F;prünglich aus mehreren, eben &#x017F;o genau von einander durch charak-<lb/>
teri&#x017F;ti&#x017F;che Merkmale getrennten Arten be&#x017F;tehe, als die übrigen Säuge-<lb/>
thiergattungen auch. Geologi&#x017F;che That&#x017F;achen wei&#x017F;en darauf hin, daß<lb/>
die Länge der Epoche, während welcher die jetzige Schöpfung &#x017F;ich auf<lb/>
der Erde befindet, &#x017F;chon außerordentlich bedeutend i&#x017F;t, &#x017F;o daß un&#x017F;ere<lb/>
Chronologieen nur einen unendlich kleinen Bruchtheil davon dar&#x017F;tel-<lb/>
len und es i&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich, daß die Men&#x017F;chengattung die&#x017F;en unge-<lb/>
heueren Zeitraum von Jahren in Zu&#x017F;tänden durchlaufen hat, analog<lb/>
denen der wilden Völker&#x017F;chaften und daß hierbei durch Mi&#x017F;chung die<lb/>
vielfachen Ba&#x017F;tardformen ent&#x017F;tanden, die wir jetzt als Zwi&#x017F;chentypen<lb/>
zwi&#x017F;chen den &#x017F;chärfer charakteri&#x017F;irten Arten als Varietäten oder Ra&#x017F;&#x017F;en<lb/>
betrachten.</p><lb/>
                  <p>Eine außerordentliche Schwierigkeit &#x017F;tellt &#x017F;ich ferner noch der<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Unter&#x017F;uchung der Naturge&#x017F;chichte des Men&#x017F;chen durch<lb/>
die Art und Wei&#x017F;e entgegen, wie die Materialien zu der&#x017F;elben ge-<lb/>
&#x017F;ammelt werden. Die mei&#x017F;ten wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Expeditionen &#x017F;ind bis<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[553/0559] Theils aus humanitariſchen Gründen iſt man nun ſtets darauf aus- gegangen, alle Menſchen als Brüder darzuſtellen und deßhalb ihre Abſtammung von einem einzigen Paare mit allen nur erdenklichen Gründen zu verfechten. Dieſe konnten aber immer nur darauf hinaus- laufen, daß dieſe Nachkommen des erſten Menſchenpaares ſich über die ganze Erde zerſtreut hätten (eine rein hypothetiſche Annahme, für die man niemals einen Schatten hiſtoriſcher Beweiſe aufbringen konnte) und daß dann durch die Länge der Zeit in den verſchiedenen Klimaten die jetzt zu beobachtenden Varietäten entſtanden ſeien, ebenfalls rein hypothetiſche Annahme, für welche, wie ſchon bemerkt, die Naturge- ſchichte des Menſchen nicht eine einzige Thatſache bietet. Die gänz- liche Unhaltbarkeit der moſaiſchen Mythe läßt ſich endlich thatſächlich nachweiſen; — denn hier handelt es ſich nicht um eine Entſtehung des Menſchengeſchlechtes vor Millionen von Jahren und allmälige Ausbildung der Varietät, ſondern um Entwickelung dieſer Varietäten in chronologiſch beſtimmbarer Zeit, da durch dieſe Mythe Noah als Einheitsvater des Menſchengeſchlechts dargeſtellt wird. Die Entwicke- lung der Varietäten könnte alſo erſt mit deſſen Söhnen beginnen und wir haben Denkmäler genug aus vormoſaiſcher und ſpäterer Zeit, um thatſächlich darzuthun, daß damals die Verſchiedenheit der Menſchen- arten ſchon in vollem Umfange exiſtirte. Es unterliegt deßhalb keinem Zweifel, daß die Menſchengattung urſprünglich aus mehreren, eben ſo genau von einander durch charak- teriſtiſche Merkmale getrennten Arten beſtehe, als die übrigen Säuge- thiergattungen auch. Geologiſche Thatſachen weiſen darauf hin, daß die Länge der Epoche, während welcher die jetzige Schöpfung ſich auf der Erde befindet, ſchon außerordentlich bedeutend iſt, ſo daß unſere Chronologieen nur einen unendlich kleinen Bruchtheil davon darſtel- len und es iſt wahrſcheinlich, daß die Menſchengattung dieſen unge- heueren Zeitraum von Jahren in Zuſtänden durchlaufen hat, analog denen der wilden Völkerſchaften und daß hierbei durch Miſchung die vielfachen Baſtardformen entſtanden, die wir jetzt als Zwiſchentypen zwiſchen den ſchärfer charakteriſirten Arten als Varietäten oder Raſſen betrachten. Eine außerordentliche Schwierigkeit ſtellt ſich ferner noch der wiſſenſchaftlichen Unterſuchung der Naturgeſchichte des Menſchen durch die Art und Weiſe entgegen, wie die Materialien zu derſelben ge- ſammelt werden. Die meiſten wiſſenſchaftlichen Expeditionen ſind bis

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/559
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 553. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/559>, abgerufen am 23.05.2024.